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Immer mehr medikamentöse Tumortherapien werden nach den Charakteristika der bösartigen Zellen ausgesucht. Dazu sind zumeist Gewebebiopsien notwendig. Doch die "Flüssigbiopsie" mit der Untersuchung von im Blut vorhandenen Tumorzellen oder Tumor-DNA dürfte laut einer Studie beim amerikanischen Krebskongress (ASCO) in Chicago einen Teil der Gewebebiopsien ersetzen oder ergänzen können.

An sich werden Gewebebiopsien und Gewebeproben nach der Entfernung eines bösartigen Tumors oft gleich am Beginn einer nachfolgenden zielgerichteten medikamentösen Behandlung zur möglichst passgenauen Erstauswahl von Krebsmedikamenten verwendet. Dabei werden die bösartigen Zellen auf ihre molekularbiologischen Charakteristika untersucht – zum Beispiel auf das Vorhandensein von mehr Hormonrezeptoren (Brustkrebs), von sogenannten EGF- oder VEGF-Rezeptoren oder auf andere jeweils "typische" Merkmale.

Ständige Veränderungen

Doch während bei der Erstdiagnose oder bei der nachfolgenden Operation auf Gewebeproben zurückgegriffen werden kann, ist das für Patienten mit langwierigen Krebserkrankungen ausgesprochen belastend. Die Gewebebiopsien müssten dann nämlich immer wieder durchgeführt werden. Im Laufe der Zeit verändert sich die Charakteristik der Tumorzellen. Viel einfacher wäre es, wenn man einfach aus Blutproben immer wieder dort vorhandene bösartige Zellen herausfischen und analysieren könnte.

Philip Mack, Chef der Abteilung für Molekulare Pharmakologie der Universität von Kalifornien, und seine Co-Autoren haben den Ansatz mit der "Flüssigbiopsie" mit Blutproben von rund 15.000 Krebspatienten untersucht. "Unsere Resultate zeigen, dass die Analyse von Erbgut aus Tumoren im Blut von Patienten – bekannt als 'Flüssigbiopsie' – sehr informativ sein kann. Das ist minimal-invasiv und eine Alternative, wenn eine Gewebebiopsie nicht ausreicht oder nicht sicher durchgeführt werden kann", sagte der Experte.

Analyse der Tumorzellen

Die Untersuchung umfasste Blut und Gewebeproben von 15.191 Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinomen (37 Prozent), Brustkrebs (14 Prozent), Dickdarm- (zehn Prozent) oder anderen bösartigen Erkrankungen (39 Prozent). Die Wissenschafter verglichen, ob die Analyse von Tumorzellen aus Gewebeproben oder von Tumorzell-DNA aus dem Blut auf die individuell vorliegenden Zell-Charakteristika die gleichen Ergebnisse brachte. Das bezog sich auf molekularbiologische Merkmale wie EGFR, BRAF, KRAS, ALK, RET und ROS1 – alles relativ häufige Marker von bestimmten Tumorzellen.

Die Ergebnisse waren positiv: Konnte man im Blut der Patienten Erbgut der Tumorzellen feststellen, stimmten deren Marker (EGFR, BRAF etc.) zu 94 bis hundert Prozent mit den Merkmalen aus den Gewebeproben überein. Die "Flüssigbiopsie" wäre womöglich auch das geeignete Mittel, um im Laufe einer Krebserkrankung die medikamentöse Therapie jeweils auch an die Veränderungen an den Tumorzellen anzupassen. So zeigte sich in der Studie, dass bei fast 64 Prozent der Patienten eine Auswahl von Mitteln der zielgerichteten Krebstherapie durch die Blutproben möglich wurde.

Genetische Mutationen aufspüren

Auch als Alternative bei Gewebeproben von Lungenkrebspatienten, welche für eine molekularbiologische Charakterisierung nicht geeignet sind, könnte sich die "Flüssigbiopsie" anbieten. Bei 63 Prozent von 362 Lungenkrebspatienten waren die Gewebeproben unzureichend.

"Unter diesen Patienten konnten mit dem Test auf zirkulierende Tumor-DNA die wichtigen genetischen Mutationen festgestellt werden. Das erfolge auch mit einer Häufigkeit wie sie sonst in der wissenschaftlichen Literatur auftaucht." Für dieser Patienten war diese Untersuchung die einzige Methode, mit der ein mit hoher Wahrscheinlichkeit wirksames Medikament identifiziert werden konnte. (APA, 7.6.2016)