Als Kopf der seit 1992 bestehenden Kabarettgruppe Heilbutt&Rosen hat Helmuth Vavra so ziemlich alle Szenen des Alltäglichen und Zwischenmenschlichen satirisch durchgespielt. Zu seinem fünfzigsten Geburtstag legt er, der sich immer für brav und angepasst hielt, ein rebellisches Alter Ego zu: Che Guevavra. Premiere ist am Montag im Casanova Wien.

STANDARD: Wer oder was ist denn für Sie der echte Che Guevara?

Vavra: Eine sehr diffizile Gestalt. Ich habe ihn eigentlich erst im Zuge der Recherchen zu diesem Programm näher kennengelernt. Auf Fotos aus seiner Jugend sieht man, was für ein biederer, bürgerlicher Mensch er vor seiner Zeit als Berufsrevolutionär war. Als Stalinist wurde er dann sogar Castro suspekt. Stalin hat Millionen von Menschenleben auf dem Gewissen. Also er ist eine sehr bipolare Figur.

STANDARD: Hatten Sie in Ihrer Jugend ein anderes Bild von ihm?

Vavra: Nein, weil ich eher gar keines hatte. Der Hintergrund meines Programms ist ja, dass ich zeit meines Lebens ein sehr angepasstes, bürgerliches Söhnchen und selbst überhaupt kein Revolutionär war. Ich war nicht der Typ mit Nato-Tasche und Peace-Zeichen drauf, sondern der mit der Aktentasche. Dafür wurde man damals auch gemobbt. Wenn man jetzt aber fünfzig wird und sich als Kabarettist von Berufs wegen über alles aufregt, fragt man sich schon: Warum habe ich nicht schon früher damit begonnen? Warum war ich bis Mitte zwanzig so angepasst, in einem Alter, wo Guevara schon Industrieminister von Kuba war?

STANDARD: Es ist also auch ein Programm über die eigene Midlife-Crisis?

Vavra: Es hat ganz massiv damit zu tun. Fünfzig ist insofern ein schönes Alter, weil einem vieles schon wurscht sein kann. Bis vierzig will man es oft noch jedem recht machen. Im Programm wird es so sein, dass ich den Fünfziger aber nicht wirklich verkrafte. Also schlüpfe ich aus meinem scheinbar so langweiligen, unrevolutionären Leben in die Rolle der Kunstfigur Che Guevavra. Eine Quintessenz wird sein: Der Mutige ist eigentlich immer der, der nicht mit der Masse mitgeht, sondern gegen den Strom schwimmt.

STANDARD: Können Kabarettisten mit ihrer Midlife-Crisis entspannter umgehen als andere?

Vavra: Ja, weil ich mich selbst therapieren kann. Ich betrachte im Kabarett meine eigene Bürgerlichkeit aus einem anderen Blickwinkel. Ähnlich wie das Loriot gemacht hat – er ist überhaupt der Stammvater meines Humors. Er kam aus einer zutiefst bürgerlichen Familie, aber er hat aufgezeigt, dass unter dieser Bürgerfassade sehr viel Lustiges bis Erschreckendes steckt. Da wird viel mehr kaschiert und zugedeckt als bei den sogenannten "einfachen Leuten" aus anderen sozialen Schichten.

STANDARD: An Che Guevara fasziniert vor allem diese Rebellen-Ikonik: Wir finden sie heute nicht nur bei Linken. Heinz-Christian Strache wurde etwa als "HC StraChe" beworben. Auch beim IS gibt es Propagandafotos, die dieser Ästhetik ähneln. Ist Che heute so austauschbar?

Vavra: Also verehrt wird Che, weil die Leute im Grunde wenig über ihn wissen. Was geblieben ist, ist das Bild vom Don Quijote, der durch die Länder reist, um den Menschen ein besseres Leben zu bescheren. Dann ist er auch noch fesch, raucht Zigarre und hat etwas Verwegenes.

STANDARD: Der Mythos wurde ja auch durch den frühen Tod genährt. Seine Leiche wurde aufgebahrt wie Jesus, auf Fotos wirkt sie wie eine christliche Pietà.

Vavra: Ja, auch der zerrupfte Bart und das längere, leicht ungepflegte Haar spielen eine Rolle. Am Schluss in Bolivien war er ja auch an schwerem Asthma erkrankt, seine kaputten Schuhe hatte er sich notdürftig zusammengebunden. Es entsteht der Eindruck: Er hat für uns gelitten!

STANDARD: Eine Erlösergestalt.

Vavra: Ja. Das Bild sagt: Er hat unseren Schmerz auf seine Schultern genommen.

STANDARD: Seine umstrittenen Taten wurden vielfach zugedeckt und verklärt. Färben sich nach diesem Prinzip auch viele ihre eigene Jugend schöner, als sie tatsächlich war?

Vavra: Ich glaube, das beginnt schon damit, dass bei Frauen bei der Geburt ein Hormon ausgeschüttet wird, das sie die Schmerzen vergessen lässt. Deswegen bekommen Frauen nach dem ersten Kind zuweilen auch noch ein zweites oder drittes. Das Vergessen und Verklären ist so gesehen wahrscheinlich auch etwas sehr Friedvolles, Notwendiges. In der Politik ist diese Verklärung aber natürlich fehl am Platz: Wie kann zum Beispiel die Partei Die Linke existieren, obwohl sie ihre Wurzeln in der SED hat? DDR-Verklärung verstehe ich nicht. Es braucht wahrscheinlich immer die Mahner, die sagen: Kinder, erinnert euch!

STANDARD: Sind Kabarettisten solche Mahner?

Vavra: Ich glaube Kabarettisten sollten zwar den Finger in die Wunde legen, aber die Therapie sollten andere machen. Gerade in der Künstlerbranche reden so viele politisch, ohne aber jeden Sinn für die Komplexität der Dinge zu haben. Künstler sehen die Welt oft auf eine sehr undifferenzierte Weise, nur schwarz und weiß. Dabei zeigt sich das Leben immer in Grautönen. Darum gehöre ich zu denen, die das Politische eher außen vor lassen. Nehmen wir die Flüchtlingskrise: Ich kann hier nicht alles loben, was die sogenannte gute Seite sagt; und auch nicht alles verteufeln, was die böse Seite sagt.

STANDARD: Wen meinen Sie mit guter und böser Seite?

Vavra: Ich meine das oft als "Gutmenschen" bezeichnete linke Milieu auf der einen und das konservativ bis rechte Spektrum auf der anderen Seite. Ich habe zum Beispiel letzten Sommer Angst gehabt. In dieser großen Dimension hat mir eine unreflektierte, unkontrollierte "Wir schaffen das"-Mentalität Angst gemacht.

STANDARD: Warum? Weil die Krise chaotisch abgewickelt wurde?

Vavra: Ja, weil nicht Vernunft, sondern Chaos geherrscht hat. Ich könnte es mir ja leisten, mich abzunabeln – wenn ich Kinder hätte, würde ich sie wahrscheinlich in Privatschulen geben. Aber die, die sich das nicht leisten können: Was haben die davon? Ich habe vor diesem sozialen Unfrieden Angst, der hier entsteht.

STANDARD: Sie wollen aber keine Lösungsvorschläge machen?

Vavra: Es ist schwierig: Im privaten Kreis tu ich das sehr wohl. Aber öffentlich würde ich vielleicht Applaus von Leuten bekommen, von denen ich keinen Applaus will. Ich will aber auch keinen Applaus für "Zickezacke HC Strache Hühnerkacke". Man bekommt derzeit von beiden Seiten so einen Bierzeltapplaus.

STANDARD: Eine Polarisierung, die Sie nicht wollen?

Vavra: Ja. Ich merke das selbst im Bekanntenkreis. Derzeit gehen wegen politischer Themen Freundschaften zugrunde. Dieses Nicht-mehr-aufeinander-Zugehen und Nicht-mehr-zuhören-Können ist fatal.

STANDARD: In dem Zusammenhang wird viel über Social Media gesprochen. Man bewegt sich in Echokammern und Blasen, die jeweils nur die eigene Meinung verstärken.

Vavra: Das stimmt. Und diese Blasen kann ich aber auch im Kabarett erzeugen. Das passiert vielfach. Wirklich politisches Kabarett gibt es in Österreich kaum. In Deutschland hatte man Dieter Hildebrand oder Georg Schramm. Bei uns bedeutet politisches Kabarett viel zu oft "Namedropping": Man nimmt sich jemanden her, der medial gerade blöd dasteht, zieht ihn durch den Kakao, und danach klopfen sich Künstler und Publikum gegenseitig auf die Schulter.

STANDARD: Sie könnten das ja anders machen.

Vavra: Das brauchte sehr viel Mut, und man dürfte vermutlich nicht auf sein Bankkonto schauen. Aber ich nehme mir für die zweite Lebenshälfte vor, mich nicht mehr so sehr verbiegen zu lassen. Ab jetzt gilt es, die Ecken und Kanten, die man sich zwischen zwanzig und vierzig abreiben lässt, wieder zu schärfen. (Stefan Weiss, 26.9.2016)