Das European Space Operations Centre (Esoc) in Darmstadt ist das operative Herzstück der europäischen Raumfahrt. Im Bild: Esoc-Leiter Rolf Densing im Missionskontrollraum.

Foto: ESA/J. Mai

STANDARD: Mittlerweile ist klar: Der Landeversuch auf dem Mars vergangene Woche ist fehlgeschlagen, der Roboter Schiaparelli dürfte aus mehreren Kilometern Höhe abgestürzt sein. Wie bewerten Sie aktuell die Situation?

Densing: Der Landeversuch war ein Test. Dass es schwierig ist, auf dem Mars zu landen, wussten wir von Anfang an. Ich bin jedenfalls sehr stolz auf unser Team: Wir haben ein genaues Protokoll von der Landung – insofern können wir gut rekonstruieren, was passiert ist. Viele Schritte der Landung haben nach Drehbuch funktioniert. Wir hätten es natürlich viel lieber gesehen, wenn zum Schluss die Bremsraketen länger gefeuert hätten. Aber immerhin haben wir ein Testergebnis, und daraus können wir für weitere Missionen Korrekturen ableiten.

STANDARD: Gefährdet der Rückschlag die Pläne der Mission ExoMars, 2020 einen wesentlich teureren Rover auf den Mars zu bringen?

Densing: Ich hab keinen Anlass, das anzunehmen, im Gegenteil: Es stimmt mich sehr optimistisch, dass wir unser Landeverfahren mithilfe der vorliegenden Daten korrigieren können. Außerdem haben wir ja erfolgreich einen Orbiter um den Mars ausgesetzt, der schon bald seinen wissenschaftlichen Dienst aufnimmt und die Marsatmosphäre untersuchen wird. Er wird uns auch künftig als Datenstation dienen.

STANDARD: Sie leiten seit Anfang des Jahres das Raumflugkontrollzentrum (Esoc) der Esa in Darmstadt. Was sind die Kernaufgaben dieser Institution?

Densing: Hier läuft die zentrale Steuerung unserer Missionen. Es ist der Ort, von dem beispielsweise Sonden zum Kometen Tschurjumow-Gerassimenko oder zum Mars geflogen werden, wo Manöver von langer Hand geplant und dann durchgeführt werden. Am Esoc in Darmstadt sind insgesamt 900 Leute vor Ort, im Moment haben wir 17 Satelliten in elf Missionen unter Kontrolle.

STANDARD: Wie genau kann man sich die Arbeit der Missionsteams am Esoc vorstellen?

Densing: Die Öffentlichkeit sieht ja meist nur unseren Mission-Control-Room. Das ist da, wo die Leute sitzen, wenn alles fertig ist, den Knopf drücken und eine Sonde landen. Aber so etwas hat natürlich eine wahnsinnig lange Vorlaufzeit, und die beginnt, bevor eine Mission überhaupt beschlossen ist. Schon 20 Jahre vor der Landung auf dem Kometen Tschurjumow-Gerassimenko im Jahr 2014 haben sich unsere Ingenieure und Astrodynamiker mit dem Flugszenario dorthin beschäftigt. Sie suchen unter den jeweiligen technischen Gegebenheiten die Idealbahn. In der Raumfahrt ist es wie in der Formel 1: Wir fliegen keine Umwege.

STANDARD: Wie endgültig lässt sich eine Milliarden Kilometer weite Reise im Vorfeld überhaupt planen – gibt es nicht immer dynamische Faktoren?

Densing: Wenn unsere Analytiker ausgerechnet haben, auf welche Bahn man eine Sonde schickt, damit sie an ihr Ziel kommt, dann ist das schön und gut. Aber tatsächlich kommt es meistens anders: Eine Rakete setzt den Satelliten falsch aus, Weltraumschrott ist im Weg, oder sonst etwas läuft nicht exakt nach Plan. Sobald also Bahndaten von unseren Bodenstationen reinkommen, untersuchen wir, ob die Sonde auf dem richtigen Weg ist, und wenn nicht, was zu tun ist, um sie wieder auf Kurs zu bringen. Aber bevor ein Schnellschuss passiert und der Satellit auf Nimmerwiedersehen in den Weltraum geschossen wird, haben wir zwei Teams, die gegeneinander rechnen. Im besten Fall kommen sie zum gleichen Ergebnis und einigen sich, wie wir den Kurs so korrigieren können, dass er wieder auf die Idealbahn führt.

STANDARD: Wo sehen Sie die europäische Raumfahrt in 20 Jahren?

Densing: Ich glaube, wir müssen in Europa künftig die Aufgaben zwischen öffentlicher Raumfahrt, also den Agenturen, und der Privatindustrie neu verteilen. Da, wo man Geschäfte im Weltraum machen kann, muss die Industrie mehr Eigenverantwortung übernehmen. Es kann einfach nicht sein, dass die öffentliche Hand gefragt ist, wenn die Privatwirtschaft einen Fehler macht. Aber bei astronautischer Raumfahrt, bei Wissenschaft und Vorsorgeprogrammen, etwa in den Bereichen Weltraumschrott, erdnahe Asteroiden oder Weltraumwetter, sind auch in Zukunft die Weltraumagenturen gefragt.

STANDARD: An welche künftigen Programme denken Sie dabei konkret?

Densing: Ich persönlich hoffe, dass wir in 20 Jahren einen Asteroiden-Schutzschild haben. Dass wir also nicht nur schauen, was an Near Earth Objects vorbeikommt, so wie die Ornithologen die Vögel beobachten. Es nützt uns nichts, wenn wir zwar Ort und Zeitpunkt eines Asteroideneinschlags kennen, ihn aber nicht ablenken können. Daher schlagen wir den Mitgliedstaaten eine neue Mission vor. Ich würde mich sehr freuen, wenn man sich bei der Ministerratskonferenz im Dezember dazu durchringen könnte, dieses Projekt zu unterstützen.

STANDARD: Wie soll diese Mission aussehen?

Densing: Wir haben eine Kooperation mit der Nasa im Auge: die sogenannte Asteroid Impact Mission. Es wäre eine zweigeteilte Mission: Die Amerikaner würden den sogenannten Impaktor stellen, eine Sonde, die auf einen schon ausgewählten Asteroiden einschlägt und versucht, ihn abzulenken. Wir würden eine Beobachtungssonde zum Asteroiden schicken, um so viele Daten wie möglich vor und nach dem Einschlag zu sammeln. Das wäre zunächst eine Demonstrationsmission, aber im Idealfall könnte daraus ein Konzept für einen Schutzschild entstehen.

STANDARD: Können Sie sich vorstellen, dass eines Tages von Darmstadt aus auch astronautische Missionen gesteuert werden?

Densing: Ja, das wäre auf jeden Fall mein Wunsch. In Darmstadt haben wir das Europäische Raumfahrtkontrollzentrum, und wir könnten zumindest alle Esa-Missionen von hier aus steuern – vielleicht sogar auch europäische institutionelle Missionen. Denn der Punkt ist: Der europäische Steuerzahler unterhält mit dem Esoc ein Kontrollzentrum. Warum sollte die öffentliche Hand also für die eigenen Missionen auch noch andere Kontrollzentren bezahlen? Das passiert aber immer wieder, und zwar deshalb, weil Mitgliedstaaten sagen: Wir heben bei einem Projekt nur dann die Hand, wenn das Kontrollzentrum dort oder da steht.

STANDARD: Wie wird es aus Ihrer Sicht generell mit der astronautischen Raumfahrt weitergehen?

Densing: US-Präsident Barack Obama hat erst kürzlich die Vision zum Ausdruck gebracht, Menschen in den 2030ern zum Mars zu bringen. Ich glaube, wenn die Amerikaner sich dahinterklemmen, dann geht das. Wir haben das schon in den 1960er-Jahren erlebt, als Kennedy gesagt hat: Wir fliegen zum Mond – nicht, weil es einfach ist, sondern weil es schwer ist. Mir ist aber egal, ob der nächste Kennedy Amerikaner oder Russe oder Chinese ist. Schön wäre es, wenn wir in der Raumfahrt wieder einmal einen großen Schritt für die Menschheit machen würden. (David Rennert, 25.10.2016)