Reinhold Lopatka will nur zustimmen, wenn alle neun Länder an Bord sind.

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Wien – Auch die letzte Frist wird wohl ohne Einigung verstreichen. Bis Montag, 12 Uhr will Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) von allen Bundesländern verbindlich wissen, ob sie seinem jüngsten Vorschlag zur Reform der Mindestsicherung, der eine Möglichkeit zur Deckelung bei 1.500 Euro, aber keine Schlechterstellung von Flüchtlingen vorsieht, zustimmen werden. Nur wenn es die Zusage von zumindest sieben Ländern gibt, will er eine entsprechende Bund-Länder-Vereinbarung vorlegen.

Das Problem dabei: Zunächst einmal bräuchte Stöger auch die Zustimmung des Koalitionspartners für einen entsprechenden Nationalratsbeschluss, und die werde es zum aktuellen Entwurf keinesfalls geben, wie ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka am Freitag im Gespräch mit dem STANDARD versicherte.

In der Sackgasse

Für die ÖVP komme nur eine österreichweit einheitliche Lösung infrage. "Eine Vereinbarung mit sieben ist keine einheitliche Lösung." Und, so Lopatka: "Ich sehe nicht ein, warum ich mich mit Stöger in eine Sackgasse begeben soll." ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner kritisiert den jüngsten Stöger-Entwurf auch inhaltlich. Der Deckel müsse für alle Länder verpflichtend sein und nicht freiwillig. Zudem dürfe die volle Mindestsicherung erst nach einigen Jahren gewährt werden.

Lopatka fordert den Minister auf, nächste Woche weiterzuverhandeln. Das wird im Stöger-Büro aber abgelehnt. "Wenn es keine Zustimmung gibt, nehmen wir das zur Kenntnis."

Laut dem ÖVP-Klubchef ist auch mit den schwarzen Landtagsklubs "im Detail besprochen", dass nur eine einheitliche Lösung infrage komme. Wie berichtet beharren Ober- und Niederösterreich aber auf Wartefristen für Zuwanderer beziehungsweise Flüchtlinge, die wiederum für SPÖ und Grüne, die in mehreren Landesregierungen sitzen, nicht infrage kommen.

Stöger wertet den Unwillen der Volkspartei, seinem Vorschlag zuzustimmen, als "Schaukampf auf dem Rücken der Ärmsten der Gesellschaft". Dabei sei die ÖVP doch eine christliche Partei. "Es gibt leider Stimmen, denen ein letzter Schutz der Ärmsten nicht wichtig ist", klagte Stöger. Und dies, obwohl man mit Parteichef Reinhold Mitterlehner verhandelt habe und mit ihm auch einig gewesen sei, dass dieser versuche, die Position innerhalb der ÖVP zu koordinieren. Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) ließ Stöger via Ö1-Mittagsjournal ausrichten, dass die ÖVP keinen Millimeter von ihren Forderungen – Deckelung, Wartefrist und gemeinnützige Arbeit – abrücken werde.

Unterschiedliche Konstellationen

Die Situation ist also mehr als vertrackt. DER STANDARD gibt daher nochmals einen Überblick über die unterschiedlichen Konstellationen in den Ländern:

  • Oberösterreich: Oberösterreich hat bereits eine reduzierte Mindestsicherung (520 Euro) für Flüchtlinge mit befristetem Asylbescheid beschlossen. Daran will Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) nicht mehr rütteln. Er schlägt nun vor, dass der Bund überhaupt nur mehr in Teilbereichen Standards vorgibt. Der Rest soll Ländersache sein. Auch sein Koalitionspartner FPÖ lehnt Änderungen kategorisch ab. "Wir werden das OÖ-Modell sicher nicht mehr verwässern", erklärte Landesparteichef Manfred Haimbuchner.

  • Niederösterreich: In Niederösterreich, wo die ÖVP über eine absolute Mehrheit verfügt, war man stets auf Lopatka-Linie. Das Land will die volle Mindestsicherung erst nach fünf Jahren Aufenthalt zahlen. Offiziell festlegen will sich die zuständige Landesrätin Barbara Schwarz erst am Montag, sie bezeichnete eine Zustimmung zum Stöger-Vorschlag aber als "nicht sehr wahrscheinlich".

  • Tirol: In Tirol, wo die ÖVP mit den Grünen regiert, stehen die Zeichen ebenfalls eher auf Nein. Die Koalitionsparteien wollen zwar über das Wochenende noch intern beraten, der schwarze Landeshauptmann Günther Platter erklärte aber bereits, er wolle sich von Stöger "nicht unter Druck setzen lassen". "Einen Lösungsvorschlag per Ultimatum und via Medien zu unterbreiten ist einer vertrauensvollen Zusammenarbeit nicht gerade förderlich", erklärte er und forderte Stöger auf, weiter an einer bundeseinheitlichen Lösung zu arbeiten.

  • Vorarlberg: Wenig begeistert ist Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP), der von "Pfusch" spricht. Auch im Ländle regiert Schwarz-Grün. Wallners Regierungskollegin Katharina Wiesflecker (Grüne), zuständig für das Sozialressort, kann sich jedoch eine Einigung mit nur sieben Ländern vorstellen. Die Deckelung auf 1.500 Euro kann sie akzeptieren, weil es sich dabei nur um eine Kann-Bestimmung handelt.

  • Salzburg: Abwartend zeigt man sich in Salzburg, wo gleich drei Parteien die Landesregierung bilden (ÖVP, Grüne, Ex-Team-Stronach). Landeshauptmann Wilfried Haslauer hätte gern alle Länder an Bord und richtet SPÖ und ÖVP auf Bundesebene aus: "Insgesamt wäre es hilfreich, wenn sich die Bundesregierung zunächst auf etwas einigen würde und dann mit den Ländern gemeinsam verhandeln würde", wie sein Sprecher sagt.

  • Steiermark: In Lopatkas Heimatbundesland gibt es zwar ein klares Ja der SPÖ zum Stöger-Vorschlag. Dass es sich dabei um eine mit dem Koalitionspartner akkordierte Position handelt, will man in der ÖVP aber noch nicht bestätigen.

  • Kärnten: In Kärnten regieren SPÖ, ÖVP und Grüne gemeinsam. Die ÖVP kritisiert zwar das Stöger-Papier, für eine Mehrheit im Landtag würden aber auch die Stimmen von SPÖ und Grünen reichen.

  • Burgenland: Das Burgenland werde, erklärte Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ), dem Stöger-Vorschlag jedenfalls zustimmen. Dass der Koalitionspartner FPÖ da mitgehen werde, davon könne man ausgehen. Dessen Klubobmann Géza Molnár geht davon allerdings nicht aus. "Selbstverständlich werden wir den Vorschlag des Bundesministers prüfen, allerdings liegt uns zur Stunde lediglich eine dürre Punktation und noch kein fertiger Entwurf einer Vereinbarung vor – dementsprechend lassen wir uns auch kein Ultimatum stellen." Am Montag werde einmal in Eisenstadt verhandelt. Auf die Frage, welche Eckpflöcke die FPÖ da einschlagen werde, meinte Molnár: "Ungefähr eh das, was Landeshauptmann Hans Niessl vor ein paar Tagen via 'Krone' gefordert hat." Also: Deckelung, Wartefrist und mehr Sachbezug.

  • Wien: In der Bundeshauptstadt, wo es mit Abstand die meisten Bezieher gibt, haben sich die Regierungsparteien SPÖ und Grüne vorerst vor einer klaren Festlegung gedrückt. Sozialstadträtin Sonja Wehsely hatte zuletzt bereits laut über einen Plan B nachgedacht. Sollte es also keine Lösung mit den anderen Ländern – vor allem Niederösterreich – geben, werde man künftig jenen, die aus einem anderen Bundesland zuziehen, kein sofortiges Recht auf Mindestsicherung einräumen. Abwartend äußerte sich auch die grüne Sozialsprecherin Birgit Hebein. Sie hatte zuletzt dezidiert ausgeschlossen, dass die Grünen eine Deckelung mit 1.500 Euro für Mehrkindfamilien mittragen würden.

Was steht dazu nun konkret im jüngsten Stöger-Entwurf?

  • Deckelung: Wie berichtet ist die SPÖ vom kategorischen Nein zu einer Obergrenze bei 1.500 Euro für Mehrkindfamilien abgerückt. Bei dem am Donnerstag den Soziallandesräten vorgelegten Text ist die Deckelung aber nur als Kann-Bestimmung vorgesehen. Konkret heißt es: Die Mindestsicherung könne so begrenzt werden, "dass im Regelfall ein monatlicher Betrag in Höhe von 1.500 Euro nicht überschritten wird". Zulässig wäre eine Deckelung nur, sofern die Personen "arbeitsfähig sind und der Einsatz der Arbeitskraft von diesen verlangt werden darf".

    Allerdings: Wenn ein Land das will, kann es sehr wohl mehr zahlen. Auch zusätzliche Leistungen zur Deckung des Wohnbedarfs wären weiterhin möglich. Im Sozialministerium argumentiert man, auf diese Möglichkeit hätten die westlichen Länder (sie zahlen jetzt schon höhere Wohnzuschüsse) gedrängt. An den grundsätzlichen Mindestsätzen würde sich nichts ändern. Aktuell gibt es 837,76 Euro für Alleinstehende, 1256,64 Euro für Paare. Auch an den Mindestkinderzuschlägen würde sich nichts ändern.

  • Integrationshilfe: Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte müssten laut dem Stöger-Papier eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen, um die volle Mindestsicherung zu bekommen. Tun sie das nicht, können ihnen 38 Prozent der Leistung abgezogen werden. Freilich: In Vorarlberg, das dieses Modell bereits praktiziert, gab es noch keinen Fall, wo die Integrationsvereinbarung nicht unterzeichnet wurde. Werden Deutsch-, Werte- und Orientierungskurse verweigert, wäre eine weitere stufenweise Kürzung der Mindestsicherung möglich.

    Von einer Wartefrist von mehreren Jahren, auf die die ÖVP drängt, findet sich allerdings nichts im Entwurf. Die hält das Sozialministerium für rechtlich nicht haltbar.

  • Sanktionen: Explizit aufgenommen wurde, dass die Mindestsicherung auch bei Verweigerung von AMS-Qualifizierungsmaßnahmen gekürzt werden kann. Zwar war das theoretisch schon bisher möglich, in der Praxis kam es laut AMS aber selten vor.

  • Zuverdienst: Um einen stärkeren Arbeitsanreiz zu liefern, sollen die Zuverdienstmöglichkeiten ausgebaut werden. Der Freibetrag würde von 15 auf 25 Prozent des Nettoeinkommens angehoben.

  • Sachleistungen: Von allen Seiten stets gefordert wurde, dass die Länder stärker auf Sach- statt auf Geldleistungen setzen sollen. Im Prinzip ist das eine Vollzugssache, die Möglichkeiten bestanden schon bisher. Im Entwurf wird noch explizit darauf hingewiesen, dass Sachleistungen vor allem dann gewährt werden sollen, wenn der Deckel von 1500 Euro überschritten wird.

  • Bestehende Ansprüche: Gelten würden die Änderungen nur für neue Antragsteller. Bereits bestehende Ansprüche blieben unberührt.

  • Datenaustausch: Um einen möglichst einheitlichen Vollzug zu gewährleisten, sieht der Entwurf eine gemeinsame Plattform von Bund und Ländern vor. (go, ars, jub, ruep, wei, spri, mue 4.11.2016)