Darüber, wie es zur Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA kommen konnte, ist viel geschrieben worden und wird noch viel geschrieben werden. Hier zwei eher ungewöhnliche Thesen dazu. Erstens: Der Sieg Donald Trumps und die Niederlage Hillary Clintons sind zwei verschiedene Ereignisse; sie haben zwar miteinander zu tun, müssen aber deshalb nicht die gleichen Ursachen haben. Zweitens: Beide Ereignisse haben historische Wurzeln, die in vielen der bisherigen Analysen vernachlässigt wurden.

Clintons Hypotheken

Clintons Kandidatur war mit historischen Hypotheken belastet, allen voran das der erstmaligen Kandidatur einer Frau für dieses mächtige Amt. Von der "gläsernen Decke" hat Clinton selbst schon 2008 gesprochen, den Durchbruch hat sie jetzt denkbar knapp verfehlt. Wie Michael Moore zu Recht festgehalten hat, war für viele weiße Männer aus der unteren Mittel- oder der Arbeiterschicht in den wahlentscheidenden Bundesstaaten nach einem schwarzen Präsidenten – für den mehrere von ihnen gestimmt hatten – nun auch noch eine Frau des Gutmenschentums zu viel. Aber die Mehrheit der weißen Frauen hat auch gegen Hillary Clinton gestimmt. Nichts gegen eine Frau als Präsidentin, meinten sie, aber gerade diese Frau wollen wir nicht! Das haben auch Anhänger von Bernie Sanders, Frauen wie Männer, gemeint.

Eine weitere historische Hürde, die mit der Geschlechterfrage wenig zu tun hatte, war: Hat ein Präsident aus einer Partei zwei Amtsperioden hintereinander absolviert, steht es um die Chancen eines jeden Bewerbers aus derselben Partei sehr schlecht. Der Letzte, dem es gelang, dieses Hindernis zu überwinden, war Harry Truman im Jahr 1948, das ist bald 70 Jahre her. Hillary Clinton ist also an der Frauenhürde, aber auch daran gescheitert, dass sie ihr politisches Programm als Fortsetzung des Erbes von Barack Obama darstellte und es somit mit jeder Kritik an diesem Programm aufnehmen musste. Bernie Sanders hätte dieses Problem nur teilweise gehabt, doch man ahnt dunkel die Untergriffe, die Trump oder seine Vertreter gegen einen bekennenden Sozialisten jüdischer Abstammung losgelassen hätten.

Diese beiden Hypotheken waren aber noch lang nicht alles. Die Wahlkampfstrategie Clintons bestand aus einer Reihe von Kompensierungen für Mobilisierungsschwächen. So versuchten sie und ihr Team die vorhersehbar schwächere Wahlbeteiligung der Afroamerikaner im Vergleich zu den beiden Wahlen Barack Obamas mit einer stärkeren Mobilisierung der Latinos auszugleichen, die ja von Trump aufs Gröbste beleidigt wurden. Diese gingen tatsächlich in Scharen wählen und stimmten für Clinton, aber die Mehrheit fiel kleiner aus als erhofft. Zweitens musste Clinton den Ausfall vieler frustrierten Anhänger von Bernie Sanders ausgleichen. Dafür sollten republikanische Frauen mit College-Ausbildung herhalten, deren Ekel wegen der Ausfälle Trumps gegen Frauen sie zum Wechsel bewegen würde.

Tatsächlich gewann Hillary Clinton einige dieser Wählerinnen, aber nicht so viele wie erwartet, denn viele von ihnen hielten Donald Trump zwar für abscheulich, misstrauten aber Clinton wegen ihrer für männliche Politikerkollegen normalen Winkelzüge und ihres äußerst ungeschickten Verhaltens in der E-Mail-Affäre. Der Brief des FBI-Direktors James Comey elf Tage vor der Wahl hat sie nur daran erinnert.

Damit sind wir beim Sieg Donald Trumps, der ebenfalls historische Wurzeln hat. Dass sich Millionen von weißen Arbeitern und Mittelschichtlern im Rust Belt des Mittleren Westens wie im Süden und anderen Regionen der USA als Globalisierungsverlierer sehen, ist seit Jahrzehnten bekannt. Im Süden kommt seit den 1970er-Jahren die erfolgreiche Strategie der Republikaner hinzu, die ärmeren Weißen mit kaum verhohlenen rassistischen Codes von den zunehmend liberalen Demokraten abzuspalten. Dazu summieren sich kulturelle Aspekte wie die ebenfalls seit Jahrzehnten schwelenden Kämpfe um Religiosität und Wertehaltungen.

Kulturkämpfe

Seit langem bedienen Republikaner diese Kulturkämpfe als Hebel, um weiße Wähler der Mittel- und Unterschichten von zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheit abzulenken. Die Wut dieser Menschen ist aber nur noch stärker geworden. Schon beim Sieg der Tea-Party-Bewegung im Jahr 2010 fiel der Spruch "We want to take our country back". Neu ist jetzt, dass diese Wähler es nun endgültig satthatten, sich als Stimmvieh missbrauchen zu lassen. Sie und Millionen gleichgesinnte vormalige Nichtwähler stimmten in Massen für Trump, weil er sich mit dem Establishment beider Parteien anlegte. Wahlkampfprofis und Medienmenschen, die ja Teile eben dieses Establishments sind, haben diese Bewegung aus Betriebsblindheit viel zu lang geringgeschätzt.

Trumps Erfolg

Trotz seiner Mobilisierungserfolge hat Donald Trump weniger Stimmen gewonnen, als Mitt Romney im Jahr 2012. Hillary Clinton hat aber weitaus weniger Stimmen insgesamt und insbesondere in den entscheidenden Bundesstaaten erhalten als Barack Obama im selben Jahr. Mit oder ohne eine Frau an der Spitze werden sich die Demokraten in Zukunft damit befassen müssen, ob sie gegen die Mehrheit der weißen Wähler gewinnen wollen oder können. (Mitchell G. Ash, 16.11.2016)