Das Verbot von Lagezuschlägen in Gründerzeitviertel führt zu Unmut bei manchem Vermieter.

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Von Lila bis zu dezentem Grau und Weiß reicht das Farbspektrum auf der Lagezuschlagskarte der Stadt Wien. Mit der bunten Stadtkarte werden die Lagezuschläge, die in den einzelnen Gebieten empfohlen sind, illustriert. Besonders die grauen Bereiche, die beispielsweise im 15. , 16., 17. und 18. sowie im 20. und 2. Bezirk vorzufinden sind, sorgen für Unmut bei manchen Wiener Vermietern. In diesen Gründerzeitvierteln, wo, so die Definition, ein Großteil des Gebäudebestands zwischen 1870 und 1917 errichtet wurde die zum damaligen Zeitpunkt überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen aufwiesen, darf nämlich kein Lagezuschlag zum gesetzlich festgelegten Richtwertmietzins verlangt werden.

Das hat erst vergangene Woche der Verfassungsgerichtshof in einem Urteil als verfassungskonform bestätigt. Auch der pauschale Abschlag von 25 Prozent für befristete Mietverträge von Wohnungen, die in den Vollanwendungsbereich des MRG fallen, wurde darin bestätigt. Der Österreichischen Verband der Immobilientreuhänder (ÖVI) analysierte diesen Entscheid des VfGH am Mittwoch gemeinsam mit dem Wohnrechtsexperten Christoph Kothbauer. Es sei ein "ernüchterndes Urteil", mit dem das "verkrustete österreichische Mietrecht" nicht einmal partiell in Frage gestellt wurde, so ÖVI-Geschäftsführer Anton Holzapfel.

Entscheid zu Richtwerten offen

Ein ganz großer Stein des Anstoßes – die von Bundesland zu Bundesland unterschiedliche Höhe der Richtwerte – wurde vom VfGH aufgrund von formellen Kriterien inhaltlich nicht behandelt, so Jurist Kothbauer. 141.000 Richtwertmietverträge gibt es in Wien laut Zahlen des ÖVI, österreichweit sind es 230.000.

Am höchsten ist der Richtwertmietzins in Vorarlberg, wo er bei 8,28 Euro pro Quadratmeter liegt. In Wien ist dieser Wert – nach dem Burgenland – der niedrigste in Österreich und liegt aktuell bei 5,39 Euro. Diese Preisunterschiede sind eine Ungerechtigkeit, findet der ÖVI und fanden auch jene Wiener Hausbesitzer, die darüber Beschwerden beim Verfassungsgerichtshof eingereicht hatten. In den übrigen acht Bundesländern würden die Richtwerte in der Nähe des Marktniveaus liegen, während in Wien der Richtwert sogar in den günstigsten Bezirken nicht einmal zwei Drittel der durchschnittlichen Marktmiete entspreche, so Kothbauer.

Die Auseinandersetzung rund um die Verfassungskonformität der Richtwerte sei vom VfGH nun "auf die lange Bank geschoben worden". Laut Kothbauer bleibt es nun also abzuwarten, bis ein formell einwandfreier Antrag bei Gericht einlangt: "Das Thema wird sicher einmal erläutert werden, aber Vermieter werden jetzt keine großen Erwartungen mehr haben. Der VfGH wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch hier auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers verweisen", so Kothbauer.

Moderner Standard

Damit argumentierte der VfGH nämlich beim eingangs erwähnten Lagezuschlagsverbot in Gründerzeitvierteln. Denn Wohnen solle auch in Zentrumsnähe für Menschen mit niedrigem Einkommen leistbar sein, hieß es im Urteil. Für Kothbauer gibt es "keine wirklich überzeugende Begründung" des VfGH. Dieser übersehe, dass es in den Anträgen nicht um verfassungsrechtliche Bedenken am mietrechtlichen Preisschutz per se gehe, sondern um eine augenscheinlich sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung innerhalb des Preisschutzsystems. Mit dem Lagezuschlagsverbot in Gründerzeitvierteln werde an einen "historischen Tatbestand angeschlossen, der mit den heutigen Gegebenheiten nichts mehr zu tun hat", so Kothbauer.

Denn die Wohnungen in den Vierteln sei mittlerweile "in den seltensten Fällen" tatsächlich noch Substandard, so Holzapfel. "Doch selbst wenn man mithilfe von Sachverständigen belegten kann, dass es sich um eine überdurchschnittliche Lage handelt, ist der Lagezuschlag dort verboten", so Kothbauer.

"So wird die Diskriminierung im Altbau fortgesetzt, die sich wie ein roter Faden durch das Mietrechtsgesetz zieht", urteilt der Jurist. Aus der Situation könne man sich nur dann "wegretten", wenn diese Häuser weggerissen und neu gebaut werden, anstatt den Bestand zu sanieren, weil dann "irgendwann die Definition eines Gründerzeitviertels nicht mehr erfüllt ist".

Streitthema Befristungsabschlag

Auch den pauschalen Befristungsabschlag von 25 Prozent für Wohnungen, die in den Vollanwendungsbereich des Mietrechtsgesetzes fallen, hat der Verfassungsgerichtshof bestätigt. "Man muss davon ausgehen, dass das eine politische Entscheidung war", sagt ÖVI-Präsident Georg Flödl dazu. Die Befristungsabschläge waren auch eines der großen Streitthemen zwischen ÖVP und SPÖ bei den im Sommer erneut gescheiterten Verhandlungen zur Mietrechtsreform. "Der VfGH hat sich relativ ungefragt ausgelassen zu dem Thema. Ich gehe jetzt davon aus, dass man das nicht mehr angreifen wird", so Holzapfel.

"Es geht darum, was man wirklich will: Will man befristete Verträge komplett ausrotten oder durch degressive Abschläge eine Motivation schaffen, tendenziell längere Befristungen einzugehen, weil damit den Mietern schon geholfen wäre?", so Kothbauer. Diese Entscheidung liege wohl auf lange Sicht nicht beim Verfassungsgerichtshof, sondern beim Gesetzgeber.

Drei Maßnahmen

Dieser dürfe trotz "Freibriefs" vom VfGH nun nicht weiter in Untätigkeit verharren, sagt Flödl, der eine "Politik der kleinen Schritte" vorschlägt. Die wichtigsten Punkte: Das Vertrauen in den Standort solle erhalten bleiben und die Invesititionssicherheit erhöht werden – etwa durch Investitionsanreize wie eine Sonder-Afa sowie eine angemessene Miete für umfassend sanierte Objekte.

Außerdem, so Flödl, sei eine zeitgemäße Adaptierung des Lagebegriffs im Richtwertgesetz wichtig, die nicht auf historischen Ausstattungsmerkmalen fußt. Zuletzt fordert der ÖVI eine Erhöhung der sozialen Treffsicherheit erhöht werden, indem ein periodischer Nachweis des Mieters über Einkommens- und Vermögensverhältnisse im sozialen Wohnbau erbracht wird, der fast 60 Prozent der Wiener Hauptmietwohnungen ausmacht. "Die Wohnungen sind vorhanden, sie werden nur falsch vergeben", so Flödl. Die Frage der Leistbarkeit dürfe nicht mehr vorrangig auf dem Rücken der privaten Vermieter ausgetragen werden. (Franziska Zoidl, 23.11.2016)