Ein Mountainbikerennen in Südafrika steht bevor. Zwei Freunde wollen dafür trainieren. Doch sie leben in der Schweiz, wo gerade Winter ist, die Alpen dick verschneit. Auf dem Weg über die Große Scheidegg sinken die Reifen immer weiter in den tiefen Schnee, sie müssen die Bikes schultern. Als es dunkel wird, schaufeln sie die Tür einer Hütte frei, in der sie nicht einmal Streichhölzer finden.

Auf tauben Füßen stapfen sie schließlich zurück nach Grindelwald. Man könnte jetzt sagen: Wer macht das schon, im Winter Radfahren? Doch inzwischen muss man sagen: ganz schön viele. Vor allem seit man sich nicht mehr auf schmalen Reifen durchs Weiß plagt, sondern auf doppelt so breiten Fatbikereifen.

Bigfoot unter den Bikes

In Europa sind die Fattys seit rund drei Jahren unterwegs. Anfangs weckten sie in erster Linie Erstaunen, oft auch Amüsement. Kein Wunder, sehen die Bikes mit den Breitreifen irgendwie übertrieben aus, aufgeblasen, falsch dimensioniert. Eine Art Bigfoot der Zweiräder. So neu, wie sie schienen, waren sie allerdings gar nicht. In Alaska gibt es die Fatbikes seit zwanzig Jahren. Fahrradverrückte haben sie dort mit einer fixen Idee im Kopf und einem Schweißgerät in der Hand erfunden.

Ausgehend von Ramsau am Dachstein stehen Winterradlern über 170 Kilometer Winterwanderwege und Trails zur Verfügung.
Foto: www.alpinefatbike.com

Sie fixierten zwei Felgen nebeneinander, fabrizierten breite Mäntel und hatten endlich Bikes, mit denen sie nicht nur im kurzen Sommer Alaskas Radfahren konnten, sondern auch den Rest des Jahres. Längst werden sie professionell produziert, in den USA seit mehr als zehn Jahren. Man fährt sie auf bis zu 4,8 Zoll, also 12 Zentimeter Breite, mit wenig Luftdruck, rund 0,5 bar. Dadurch ist die Traktion enorm. Auch im kurzen mitteleuropäischen Winter machen sie sich gut – sogar, wenn es wenig oder keinen Schnee gibt. Manche Skiregionen begreifen das als Chance.

Auf Skipisten verboten

Radeln im Winter klingt anstrengend, ist es aber nicht, denn die Reifen rollen leicht. Sie hinterlassen auch weniger Spuren im Schnee als Langlaufskier und rutschen auf Eis weniger als Abfahrtskier. Gefahren wird auf Wanderpfaden, Forstwegen, Loipen, Schlittenbahnen und Rodelabfahrten. Je nachdem, was die Gemeinden erlauben. Fast immer verboten ist das Befahren von Skipisten, teils sogar das Kreuzen. Perfekt sind eigens dafür präparierte Strecken oder von Wanderern ausgetretene Wege. Mühselig wird es nur im Tiefschnee.

In Europa kamen die Fatbikes vor ein paar Jahren wie aus dem Nichts. In Alaska sind Radler schon lange mit breiten Reifen und wenig Luft auf Schneefahrbahnen unterwegs.
Foto: iStock/Gibson Pictures

Für den Steirer Michael Stix ist dies die dritte Wintersaison, in der er geführte Touren mit Fattys anbietet. Zu Beginn war die Sache in den Alpen noch so unbekannt, dass er nicht mal Bilder von Fatbikes im heimischen Schnee hatte, mit denen er Touristen hätte begeistern können. Er startete in Ramsau am Dachstein mit zehn Bikes, hat heute fast vierzig. Die Wünsche sind ganz unterschiedlich: vom gemütlichen Cruisen im Schnee mit viel Hüttenaufenthalt über abenteuerliche Touren bis zur aufregenden Downhillfahrt auf der Rodelbahn. Viele sind fasziniert, die Winterlandschaft einmal anders zu erfahren: "Die Geräusche, die Optik, – das sind Eindrücke, die man so noch nicht hatte", beschreibt es Stix. Besonders beliebt sei die Sache bei Leuten, die auch im Sommer gern mit dem Rad unterwegs sind: "Der Körper freut sich über Bekanntes, der Kopf über Unbekanntes."

Fattys für Kinder

Mag der Fatbike-Hype in der Mountainbikeszene ein wenig abflachen, könnte das Winterbiken gerade als Angebot für Urlauber Fuß fassen. Allenthalben finden sich die Angebote fürs Radfahren auf Schnee. In Chamonix und La Plagne genauso wie in St. Moritz, Kandersteg, Gstaad und Lenzerheide. In den Kitzbüheler Alpen, in Tirol und Kärnten. Auch in Ruhpolding. Dabei bleibt die Sache nicht nur auf die Alpen beschränkt, findet sich genauso im französischen Zentralmassiv oder im Schwarzwald und im Fichtelgebirge.

Alpine Fatbike

Angeboten werden Fatbikes zum Mieten, geführte Touren, auch in der Nacht. Beliebtes Accessoire: die Helmkamera. Außerdem öffneten die ersten Winter-Funparks. Es gibt auch Fattys für Kinder und welche mit Elektromotor. Wer es ein wenig schlanker liebt, greift zum Plusbike – ein Mittelding zwischen Mountainbike und Fatbike.

Offizielles Schneeradrennen

Die beiden Freunde mit ihrem verzweifelten Training an der Großen Scheidegg ließen sich im Übrigen nicht abschrecken, übten weiter Jahr für Jahr in den winterlichen Alpen fürs sommerliche Kapstadt. Als die Fatbikes aufkamen, begründeten Herman Coertze und Evert van Muyden einen Wettbewerb, der seit letztem Jahr in Gstaad zuhause ist. Jetzt bekam das Snow Bike Festival sogar die Anerkennung des Weltradsportverbands und ist damit weltweit das erste offizielle Radrennen auf Schnee. Im Jänner werden im Luxus-Alpenort 200 Teilnehmer erwartet, davon 50 Profis, die sich auf Fatbikes, Plusbikes oder normalen Mountainbikes mit minimalem Reifendruck über die winterlichen Berge strampeln – und dann ausnahmsweise sogar die Pisten nutzen dürfen.

Breite Reifen und wenig Luftdruck ergeben enorme Traktion.
Foto: APA/dpa/Arne Dedert

Trend hin oder her: Dass Winterbiken nicht nur Spaß machen kann, sondern auch hilfreich ist, zeigt ein Blick ins Berchtesgadener Land. In der letzten Wintersaison dürfte sich ein Schneeschuhwanderer gewundert haben, als ihn die Bergretter mit Fatbikes aus seiner Notlage befreiten. Denn dort eilen die Helfer mit E-Fattys herbei – jedenfalls wenn der Heli wegen schlechter Sicht am Boden bleiben muss und es für Jeep oder Quad zu steil ist. (Anja Martin, 18.12.2016)