Der menschliche Körper hat sich im Laufe der Jahrtausende verändert – Viren spielen dabei eine entscheidende Rolle.

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Timo Sieber / Helga Hofmann-Sieber: Wilde Gene – Vom verborgenen Leben in uns. Rororo-Taschenbuch 2016, 13,40 Euro

Es gibt Sätze, die sprechen sich ganz leicht aus. "Wahrscheinlich liegt das in den Genen" zum Beispiel. Das sagen die meisten immer dann, wenn etwas zumeist Körperliches nicht zu ändern ist. Wer sich einmal etwas eingehender mit dem Genom beschäftigt hat, weiß um die Komplexität der Regulierung von Leben Bescheid. Wer es verstehen will, muss tief in die Materie eintauchen.

Der Wunsch, einfache Erklärungen für hochkomplizierte Sachverhalte zu finden, kann durch das kürzlich erschienene "Wilde Gene – Vom verborgenen Leben in uns" nun zumindest teilweise erfüllt werden. Nichtwissenschaftern, die Lust haben, zu kapieren, inwiefern das Genom unser Bauplan ist und wie dieser Bauplan zur Produktion von Abermilliarden Zellen führt, bieten sich diesbezüglich auf 286 Seiten alle Möglichkeiten.

Geschrieben hat das Buch das Biologenehepaar Timo Sieber und Helga Hofmann-Sieber aus Hamburg ganz offensichtlich mit dem Ziel, überaus schwierige Vorgänge in für Laien verständliche Wissenseinheiten zu verpacken. Dazu benutzen sie mehrere Stilmittel. Zum einen eine recht flapsige Sprache (die man mögen muss), zum anderen aber auch viele wunderbare Metaphern, die in ihrer Bildhaftigkeit recht eindrücklich zum Verständnis beitragen (ein Auto im Stau und das Entstehen von Krebs zum Beispiel).

Bauplan, Zellproduktion und Spielräume

Was genau ist DNA, was RNA? Wie haben sie sich in den vergangenen Jahrtausenden verändert, und wie kann man das feststellen? Wie werden Zellen gebildet? Wie funktionieren die Zellkraftwerke (Mitochondrien)? Was sind Krankheiten? Wie unterscheiden sich Bakterien von Viren und Retroviren, und was bedeutet das?

Wer in solchen Dingen Bescheid wissen will, wird beim Lesen Freude haben. Gerade weil sich die Autoren gut auskennen, gelingt ihnen die Vereinfachung mit Bravour. Und zwar, indem sie einerseits das Leben und Wirken von maßgeblichen Forschern nachzeichnen und damit Wissenschaftsgeschichte erzählen, zum anderen durch eine ganze Reihe von Exkursen ins Pflanzen- und Tierreich. Diese Herangehensweise bietet auch Einblicke in die Arbeit von Naturwissenschaftern, etwa in Bezug auf die Notwendigkeit, an Überzeugungen festzuhalten, oder aber auch den positiven Effekt von Misserfolgen, wenn es um Erkenntnisgewinn geht.

Ohne es explizit zu machen, wird in "Wilde Gene" auch die Geschichte der Genomforschung erzählt. Die wunderbare Wirkung: Der Leser (als Mensch) versteht sich in manchen Kapiteln plötzlich auch als Teil eines großen Ganzen, eines riesigen Work in Progress. Zum Beispiel auch, wenn es um die – besonders in der Grippezeit – verteufelten Viren geht. Für die neuen Gentherapien sind sie Hoffnungsträger in Bezug auf die Heilung von Erkrankungen. Ganz nebenbei lernt man aber auch so einiges über die Grundprinzipien des eigenen Körpers (Körpergröße, Blutgefäße, Darm, Schwangerschaft).

Wissen, was möglich ist

Das Buch ist ganz wunderbar gelungen, wären da nicht die Einleitungspassagen jedes Kapitels, die Einblick in den Alltag des Autorenehepaars (beispielsweise den Besuch der Tante Hedwig) geben. Auch diese bieten natürlich eine Art von Metaphern, die sich jedoch irgendwie nicht so ganz erschließen – im Gegenteil sogar in ihrer Halblustigkeit immer wieder aus dem Lesefluss reißen. Da sie und andere comichafte Dialoge jedoch stets in kursiven Buchstaben gesetzt sind, lassen sich diese Passagen sehr leicht überspringen – dem Wissensgewinn tun sie keinen Abbruch. Fazit: Spitzenlektüre für wissenschaftliche Laien mit genetischem Wissenshunger, die wissen wollen, was die Zukunft alles bringen könnte. (Karin Pollack, 17.1.2017)