Antonio Tajani, Schulz-Nachfolger.

Foto: APA/AFP/Florin

Bild nicht mehr verfügbar.

Manfred Weber (links), Fraktionsvorsitzender der Europäischen Christdemokraten, sah sich als Dealmaker. Er handelte ein Abkommen mit den Liberalen aus – eine riskante Strategie.

Foto: AP Photo/Jean-Francois Badias

Dass praktisch alle 751 Abgeordneten des Europaparlaments an einem Plenartag am Hauptsitz Straßburg anwesend sind, kommt in der fünf Jahre dauernden Legislaturperiode selten vor. Krankheiten, Todesfälle, unaufschiebbare Termine verhindern an normalen Sitzungstagen ein "volles Haus".

In der konstituierenden Sitzung nach den Wahlen oder wenn – wie diese Woche – die Neubesetzung des Präsidiums aus Präsident und seinen vierzehn Stellvertretern (wie die Besetzung der Ausschussvorsitzenden) ansteht, sind die Reihen aber voll besetzt. Da zählt jede Stimme um Posten.

So war es auch am Dienstag, als Präsident Martin Schulz (SP) pünktlich um neun Uhr die Sitzung eröffnete, in der zuerst sein Nachfolger gewählt werden sollte. Die Namen von sieben Kandidaten waren in der Früh auf der Schulz-Liste verzeichnet. Eine oder einer von ihnen sollte bis zur EU-Wahl 2019 den Stuhl des Präsidenten einnehmen.

Weitere Kooperation nach der Wahl

Nach der Wahl, so wurde es von den erfahrenen Mandataren kolportiert, würden sich alle Aufregungen der vergangenen Wochen wieder legen. Dann könnte die bewährte Zusammenarbeit der beiden größten Fraktionen von Christdemokraten (EVP, 217 Mandate) und den Sozialdemokraten (S&D, 189) wieder fortgesetzt werden. Sie garantierte nicht zuletzt durch Schulz, dass eine große Koalition die EU-Kommission unter Jean-Claude Juncker in fast allen Entscheidungen stützt. Das, so glaubte man, werde den langen Streit um den der EVP von der SP 2014 zugesagten Posten schon wieder beenden. Es kam anders.

Als Favorit galt seit Wochen Antonio Tajani von den Christdemokraten, die gemäß einer Vereinbarung mit Schulz aus 2014 auf den Posten auch pochten. Aber die Sozialdemokraten hatten sich quergelegt, Fraktionschef Gianni Pittella (auch Italiener) sich selbst als Kandidat aufgestellt. Daneben kandidierten der Belgier Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen (Alde), mehrere Briten wie Helga Stevens (Konservative, Tories), Jean Lamberts (Grüne), der Rumäne Laurentiu Rebega (ENF, Rechtsfraktion), die Italienerin Eleonora Forenza (Linksfraktion).

Bevor Schulz die Kandidaten aufrief, dem Plenum ihre Bewerbung vorzutragen, ließ er jedoch eine politische Bombe platzen. Der Liberale Verhofstadt habe "vor wenigen Minuten" die Bewerbung zurückgezogen, so Schulz.

Der Alde-Chef hatte in der Nacht ein Angebot der EVP zur "umfassenden Zusammenarbeit" ausgehandelt und angenommen. Offiziell gilt diese der inhaltlichen Arbeit an Integrationsprojekten. Die Alde bekommt aber auch bessere Posten im Parlament. Die liberale Fraktion erklärte daraufhin, in der Wahl von Anfang an Tajani zu unterstützen.

Die SP zeigte sich entrüstet: "Es wird nie wieder, ganz egal, welches Ergebnis herauskommt, eine große Koalition bestehen", rief Pitella in seiner Rede. Er kündigte eine neue Politik der "Klarheit und der Unterschiede" an.

Den ganzen Tag über wurde in mehreren Wahlgängen gerungen. Erst im vierten Wahlgang wurde Tajani mit 351 Stimmen gewählt. Pittella kam auf 282 Stimmen, verlautete Dienstagabend in Parlamentskreisen in Straßburg. (Thomas Mayer aus Straßburg, 17.1.2017)