Istanbul/Ankara – Der deutsche Journalist Deniz Yücel muss ins Gefängnis. Ein Haftrichter in Istanbul hat am Montagabend Untersuchungshaft über den 43-jährigen Korrespondenten der Zeitung "Die Welt" verhängt, dem Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung vorgeworfen werden.

Nach 13 Tagen in Polizeigewahrsam hätte Yücel ohne entsprechenden Richterbeschluss spätestens am Dienstag freigelassen werden müssen. Er ist der erste deutsche Korrespondent, der seit der Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt.

Merkel: "Bitter und enttäuschend"

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nannte die Anordnung der Untersuchungshaft "bitter und enttäuschend": "Diese Maßnahme ist unverhältnismäßig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat." Deutschland erwarte. dass die türkische Justiz im Fall Yücel "den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft" berücksichtige.

Auch der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel kritisierte die Verhängung der U-Haft: "Sie berücksichtigt weder das demokratische hohe Gut der Presse- und Meinungsfreiheit noch, dass Deniz Yücel sich freiwillig der türkischen Justiz gestellt und bereiterklärt hat, für das Ermittlungsverfahren voll zur Verfügung zu stehen."

"Schwierige Zeiten für deutsch-türkische Beziehungen"

Deutschland werde sich "mit allem Nachdruck" für eine Freilassung Yücels einsetzen, sagte Gabriel, es seien "schwierige Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen". Der Fall "wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben".

Haftrichter Mustafa Cakar habe in der Vergangenheit schon mehrere Journalisten der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" zu U-Haft verurteilt, berichtete Die die "Welt". Der Staatsanwalt habe den deutsch-türkischen Doppelstaatsbürger Yücel allgemein zu seinen Artikeln befragt und dann den Haftantrag gestellt.

Auch der deutsche Justizminister Heiko Maas kritisierte das türkische Vorgehen. Wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte halte, "wird eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich", sagte der SPD-Politiker.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kündigte für Dienstag eine Kundgebung vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto #FreeDeniz an. "Wenn die Türkei zeigen will, dass sie eine Demokratie ist, dann muss diese Farce endlich beendet und die Presse- und Meinungsfreiheit geschützt werden", erklärte Mutlu.

Yücel hatte sich am 14. Februar bei der Polizei in Istanbul gemeldet, weil nach ihm gefahndet wurde, und war festgenommen worden. "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt hatte danach an die Behörden appelliert, keine Untersuchungshaft zu verhängen.

Sieben-Quadratmeter-Zelle

Yücel hatte seine Bedingungen im Polizeigewahrsam – vermittelt über seinen Anwalt – in der "Welt am Sonntag" als schwierig bezeichnet, aber hinzugefügt: "Mir geht es ganz gut." Yücel teilte sich demnach mit meist ein oder zwei Mitgefangenen eine Sieben-Quadratmeter-Zelle. Gewalt habe er nicht erfahren oder mitbekommen. Die Polizisten seien manchmal grob im Ton, aber nicht ausfallend und im Rahmen der Vorschriften meistens auch hilfsbereit.

Der 43-Jährige hatte wie andere Korrespondenten über gehackte E-Mails von Energieminister Berat Albayrak berichtet. Darin ging es auch um eine Beeinflussung der Öffentlichkeit etwa durch falsche Twitter-Nachrichten. Albayrak ist ein Schwiegersohn von Erdogan.

Kurz hofft auf baldige Freilassung

Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hofft auf die baldige Freilassung Yücels. Die Pressefreiheit in der Türkei werde "immer massiver eingeschränkt", schrieb Kurz am Dienstag auf Twitter. Die Entscheidung sei "nicht nachvollziehbar".

Reporter ohne Grenzen: "Sofort freilassen"

Die Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) kritisierte die Inhaftierung ebenfalls. "Deniz Yücel und alle anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten müssen sofort freigelassen werden", erklärte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr am Montagabend.

"Die Vorstellung ist unerträglich, dass ein Journalist monate- oder gar jahrelang in Untersuchungshaft einem ungewissen Schicksal entgegensehen muss, nur weil er seine Arbeit ernst genommen hat", sagte Mihr. Es handle sich um "eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen" hinausgehe.

Auch Amnesty International übte Kritik. Der Haftbefehl sei "inakzeptabel", sagte der Türkeiexperte Andrew Gardner der Deutschen Presse-Agentur.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische Journalisten sitzen in der Türkei Haft, im Dezember wurde zudem ein Korrespondent des "Wall Street Journal" vorübergehend festgenommen und verließ anschließend das Land.

VÖZ verurteilt Untersuchungshaft

Auch der Verband Österreichischer Zeitungen verurteilt die Untersuchungshaft für Yücel. "In den letzten Jahren hat sich die Arbeitssituation der Journalisten in der Türkei ständig verschlechtert. Die Verhängung der Untersuchungshaft über den "Welt"-Korrespondenten Deniz Yücel ist ein neuer und nicht mehr tolerabler Tiefpunkt", sagt VÖZ-Präsident Thomas Kralinger. VÖZ-Geschäftsführer Gerald Grünberge ergänzt: "Mit jeder Welle an Journalistenverhaftungen und Medienschließungen fügt Präsident Erdogan der türkischen Gesellschaft einen dauerhaften Schaden zu. Yücels Verhaftung ist mit den Werten der Presse- und Meinungsfreiheit unvereinbar."

Akkreditierung verweigert

Yücel ist seit Mai 2015 Türkei-Korrespondent der "Welt". Die Regierung hatte ihm eine Akkreditierung verweigert. Da er auch türkischer Staatsbürger ist, konnte er dennoch legal im Land arbeiten. Zahlreiche türkische Journalisten sind nicht von der Regierung akkreditiert. Bei ausländischen Korrespondenten ist die Akkreditierung Voraussetzung für die Aufenthaltsgenehmigung. (red, 27.2.2017)