Damen-Bundestrainer Marko Spittka hat mit Kathrin Unterwurzacher und Bernadette Graf bereits zwei Medaillenhoffnungen für Tokio 2020 geformt. Es sollen noch mehr werden.

Foto: Florian Vetter

Wien – Österreichs Judosport steht vor einem Generationswechsel. Kathrin Unterwurzacher holte bei der EM in Warschau zwar Bronze, die Herren gingen aber leer aus. Damen-Bundestrainer Marko Spittka will neue Medaillenkandidaten aufbauen, weiß aber auch um die Schwierigkeiten dieser Aufgabe.

STANDARD: Wie fällt ihre EM-Bilanz nach einer Bronzemedaille durch Kathrin Unterwurzacher aus?

Spittka: Kathrins Weg zu Bronze war souverän. Die Medaille hat unsere Herren beflügelt, aber es reicht eben noch nicht für mehr. Wir dürfen uns nicht als große Judo-Nation bezeichnen. Mit unseren Auftritten bin ich aber insgesamt zufrieden. Der Weg stimmt.

STANDARD: Ludwig Paischer hat seine Karriere beendet, Sabrina Filzmoser sich in die USA verabschiedet. Hinter den Olympia-Hoffnungen Bernadette Graf und Kathrin Unterwurzacher klafft ein Lücke zur Weltspitze, die Herren haben noch mehr Aufholbedarf. Wie wollen sie diese Lücke schließen?

Marko Spittka: Einen Paischer oder eine Filzmoser oder eine Heill gibt es nicht alle Jahre. Wir haben nicht die Masse an Athleten, also müssen wir sehr individuell arbeiten. Das braucht Zeit. Ich habe in meinem Bereich vor zehn Jahren mit über einem Dutzend Damen begonnen, jetzt sind noch zwei übrig. Wer hohe Türme bauen will, braucht ein breites Fundament.

STANDARD: Wie viele Judoka können ihren Sport in Österreich professionell betreiben?

Spittka: Im Moment leider nur genauso viele, wie der ÖJV (Judoverband) Quotenplätze im Heeressportzentrum hat. Derzeit also zehn. Alle anderen sind Amateure. Wenn sie nicht reiche Eltern haben oder in ihrer Freizeit studieren, funktioniert es nicht. Arbeiten und Hochleistungssport, das ging vielleicht vor 20 oder 30 Jahren noch.

STANDARD: Die Judoka sind die Hälfte des Jahres auf Trainingslager und Wettkämpfen im Ausland, zuletzt in Japan. Was nehmen Unterwurzacher und Co. von dort mit?

Spittka: Wir brauchen die besten Trainingspartner, die wir in der Heimat nicht haben. Das ist unser Schicksal. In einer normalen Trainingswoche absolvieren unsere Athleten 18 bis 25 Randori, also Trainingskämpfe, die zwischen vier und fünf Minuten dauern. In Japan haben kamen sie in drei Wochen auf 320 Randori. Bei dieser Härte musst du dich einmal durchsetzen. Das ist kein Urlaub, wir fahren nicht nach Japan zum Sushi essen.

STANDARD: Gibt es ein ideales Alter für Weltklasse-Judo?

Spittka: Die besten Judoka der Welt sind im Schnitt älter als früher. Mit Ausnahme der Japaner, die werden jünger. Dafür ist die Auslese dort viel härter. Wenn es der Erste nicht schafft, dann der Zweite oder der Dritte, und ein paar hundert bleiben auf der Strecke.

STANDARD: Neben Japan gibt es mit mit Russland auch einen starken Trainingspartner in Europa.

Spittka: Das russische Know-How ist sehr gut. Und sie kämpfen mit einer Härte, die unsere Burschen und unsere Mädels nicht kennen. Da spielt es eine andere Musik. Man denkt immer, man trainiert hart in Österreich. Aber wenn man dann nach Russland kommt, sieht man wie hoch die Trauben hängen. In diese Mühle muss man rein. Ansonsten würden sich unsere Athleten wundern, warum sie im Kampf um Medaillen körperlich nicht mithalten können.

STANDARD: Geht es bei den Japan-Reisen auch darum, sich eine Philosophie einzuverleiben? Es ist immerhin das Mutterland des Judo.

Spittka: Nein, aber um einen Spirit. Und wenn man diesen nach so harter Arbeit nicht verliert, ist man einen Schritt weitergekommen. Niemand wird zu irgendetwas gezwungen. Einen Hund, den man zur Jagd treiben muss, der taugt nichts. Da gibt es auch keinen Ooom- oder Aha-Effekt. Diejenigen, die dort dem harten Körperkontakt ausweichen, oder so tun, als ob sie verletzt wären, die werden früher oder später einen anderen Weg gehen.

STANDARD: Kathrin Unterwurzachers hatte bei der EM in der Hoffnungsrunde mit einer schmerzhaften Armverletzung zu kämpfen.

Spittka: Ich war überrascht, wie sie das durchgestanden hat. Es war eine Überdehnung des Ellenbogengelenks, eine schwere Verletzung. Andere geben da auf. Aber das zeichnet sie aus, dass sie souverän die Medaille geholt hat. Aus einem solchen Holz schnitzt man Olympia-Medaillenanwärter.

STANDARD: Sie haben für Deutschland eine olympische Bronze-Medaille in Atlanta geholt. Kann sich der ÖJV etwas von Deutschland abschauen, das bei Großveranstaltungen regelmäßig um Medaillen mitredet?

Spittka: Der Kampfstil ist ähnlich. Weil ich aus Deutschland komme, heißt das aber nicht, dass ich deutsches Judo vertreibe. Für mich geht es darum, beim Athleten zu erkennen, wie er mit seinen Mitteln den Gegner besiegen kann. In der Ausbildung sollten wir Stärken stärken und Schwächen schwächen. Das ist ein altes Trainer-Stichwort. Man muss mit den Waffen, die man hat, den anderen besiegen. Das geht aber nur, wenn man mit seinen Gegnern davor so oft wie möglich trainiert und sie studiert hat.

STANDARD: Bedeutet Judo Enthaltung?

Spittka: Natürlich. Mann muss privat auf vieles verzichten. Auf der anderen Seite findet man Zugänge im Leben, die es nur in diesem Sport gibt. Judo ist Lebensschule und eine Lebenseinstellung. So gesehen hört man auch nie damit auf.

STANDARD: Ist Österreichs Judosport durch den Fall Peter Seisenbacher belastet?

Spittka: Peter Seisenbacher beschäftigt niemanden. Darüber wird auch nicht gesprochen. Das ist nicht wichtig für uns. (Florian Vetter, 25.4.2017)