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Pro-Erdoğan-Korso Sonntagabend am Kurfürstendamm in Berlin.

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Von 110.609 Wahlberechtigten türkischen Staatsbürgern in Österreich stimmten 38.215 (73,23 Prozent) mit einem Ja für die Verfassungsreform ab, 13.972 (26,8 Prozent) dagegen. Wie das? Jahrelang wurde die türkische Community in Österreich von der autochthonen Bevölkerung nicht beachtet. Das Gefühl der Wertschätzung, das viele bis dato nicht verspüren konnten, wurde ihnen von Ankara gegeben. Denn die AKP hat früh realisiert, dass sie die Menschen in Europa an sich binden kann, indem sie sich ihnen zuwendet und ihren Problemen ein Gehör verschafft. Minister besuchten Veranstaltungen und Informationsabende. Auch wenn die Worte nie in Taten umgesetzt wurden, hat es doch in den Menschen etwas ausgelöst: Jemand interessiert sich für ihre Probleme und vermittelt ihnen ein Gefühl der Wertschätzung.

Ein Gefühl, das die etablierten Parteien hierzulande nicht vermitteln. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, dass türkische Bürger nicht wirklich willkommen sind. Steigende Islamfeindlichkeit, die negative Stimmung gegenüber Flüchtlingen – rechte Parolen wurden salonfähig. Die wenigen türkischstämmigen Politiker wie Nurten Yilmaz, Berivan Aslan, Efgani Dönmez sind in keiner Weise repräsentativ für die türkische Bevölkerung in Österreich. Oft fehlt der Draht zur Gemeinschaft – es werden kaum Lokale, Cafés, Moscheen oder Lebensmittelhändler aufgesucht. Nur sobald Wahlen anstehen, werden Betriebe und Vereine abgeklappert.

Land verlassen?

Nachdem in Österreich fast drei Viertel für die neue türkische Verfassung stimmten, geht man wieder einmal den Weg des geringsten Widerstands und posaunt, dass Wähler, welche mit Ja gestimmt haben, doch das Land verlassen sollten. Pauschalisieren und jemanden vehement in eine Schublade zu stecken ist nicht angebracht. Und eine andere Meinung zu verachten, weil sie der eigenen widerspricht, glänzt nicht von einem feinen Demokratieverständnis. Wie schon Mark Twain sagte: "Immer, wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, dann ist es Zeit, sich zu besinnen."

Es ist Zeit, über die Ursachen zu sprechen und Lösungen zu entwickeln, anstatt mit extremen Positionen einen noch größeren Keil in die Bevölkerung zu treiben. Man muss der türkischen Community endlich das Gefühl geben, dass ihre Sprache, Kultur und Kunst einen wichtigen Stellenwert in Österreich haben, dass ihre Töchter und Söhne vollwertige Bürger dieses Landes sind. Zu dieser Stunde über Integration zu sprechen spiegelt klar die Probleme bezüglich Diversität und Pluralität wider.

Spielball der Politik

Wer etwas bewegen möchte, sollte die Probleme der türkischstämmigen Bevölkerung ernst nehmen und sie am politischen System teilhaben lassen. Ansonsten wird sie zum Spielball der österreichischen Innenpolitik oder der türkischen Außenpolitik. Jahrelang hat man zugesehen und nichts dergleichen gemacht. Und jetzt wundert man sich tatsächlich, wie ein kilometerweit entferntes Land solch einen Einfluss haben kann? (Serkan Uzunyurt, 18.4.2017)