Die Gründerzeitviertel außerhalb des Wiener Gürtels gelten als "durchschnittliche Wohnlage", deshalb darf dort kein Lagezuschlag auf die Richtwertmiete draufgeschlagen werden.

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Die aktuelle Lagezuschlagskarte der Stadt Wien.

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Die geplanten Maßnahmen für den Bereich Wohnen im neuen Regierungsprogramm sorgen für Diskussionen. Die Eckpunkte lauten: Die Schaffung von Eigentum soll forciert, das Einkommen im sozialen Wohnbau regelmäßig kontrolliert und ein neues Mietrecht geschaffen werden. In bestehende Mietverträge soll dabei nicht eingegriffen werden.

Das gilt auch bei einer weiteren Neuerung: Laut Regierungsprogramm soll das derzeit in Gründerzeitvierteln geltende Lagezuschlagsverbot "zur Herstellung fairer Verhältnisse" aufgehoben werden. Als Gründerzeitviertel sind Lagen definiert, in denen ein Großteil der Gebäude zwischen 1870 und 1917 errichtet wurde und die, zumindest damals, überwiegend kleine, mangelhaft ausgestattete Wohnungen aufwiesen. Diese Gegenden liegen beispielsweise im 15., 16., und 17. Bezirk und sind auf der Lagezuschlagskarte der Stadt ersichtlich.

Während im ersten Bezirk aktuell 10,93 Euro an Lagezuschlag pro Quadratmeter Nutzfläche auf die Richtwertmiete (in Wien derzeit 5,58 Euro pro Quadratmeter) draufgeschlagen werden dürfen, gehen Gründerzeitviertel leer aus. Das dort geltende Lagezuschlagsverbot wurde vor einem Jahr vom Verfassungsgerichtshof bestätigt. Es diene einem sozialpolitischen Ziel, hieß es, weil damit auch Einkommensschwache sich Wohnen in Zentrumsnähe leisten könnten.

Mieten steigen

Von Mieterschützern wird das Vorhaben der Regierung erwartungsgemäß kritisiert: "Im Wahlkampf hat es immer geheißen, wie schlecht Wien ist. Jetzt darf man plötzlich überall einen Lagezuschlag verlangen", sagt Elke Hanel-Torsch, Wiener Landesvorsitzende der SPÖ-nahen Mietervereinigung.

Sie rechnet damit, dass die Mieten ohne Lagezuschlagsverbot "stark steigen" werden, und zwar "durch wechselseitige Wirkung" auch in anderen Gegenden. Ein Blick auf die Lagezuschlagskarte lässt vermuten, wie sich das in bestimmten Grätzeln auf die Mieten auswirken könnte. In Gürtelnähe könnten dann etwa sozusagen "auf einen Schlag" zwischen 1,36 und 3,34 Euro an Lagezuschlag dazukommen.

"Hunderte Millionen Euro" würden die Neuerungen die Mieter kosten, befürchtete SPÖ-Bautensprecherin Ruth Becher in einer Aussendung. "Für die Mieter sehe ich keine einzige Verbesserung", urteilt Wolfgang Kirnbauer, Obmann des Wiener Mieterschutzverbands.

Auch die Erwartungen an den ebenfalls im Regierungsprogramm angekündigten Mietrechtskonvent, im Rahmen dessen ein neues Mietrecht erarbeitet werden soll, fallen gedämpft aus: "Das wäre der gefühlte hundertste Konvent in den letzten 20 Jahren", so Kirnbauer. Kritisch beurteilen Mieterschützer auch die Ankündigung, dass "marktkonforme" Mieten schon bald nicht nur in Neubauten, sondern auch in "auf zeitgemäßen Standard" sanierten Altbauten gelten sollen.

"Vorgaben notwendig"

Wohnbauforscher Wolfgang Amann beurteilt die ebenfalls angekündigte Überprüfung des Einkommens im gemeinnützigen und kommunalen Wohnbau als regelrecht "demokratiepolitisch bedenklich" – und sieht darin auch einen "enormen Verwaltungsaufwand".

Den Mietrechtskonvent hält der Experte immerhin für eine gute Idee. Die Regierung müsse hier aber Vorgaben machen, in welche Richtung ein neues Mietrecht gehen solle. Ansonsten werde sich "das Hickhack der Vergangenheit prolongieren".

Enttäuscht zeigt sich der Wohnbauforscher darüber, dass seiner Ansicht nach ganz wesentliche Dinge im Wohnrechtsprogramm fehlen. Maßnahmen zum betreuten Wohnen etwa, oder dass dem Thema Stadt im Programm nur eine halbe Seite gewidmet wird – absurderweise ausgerechnet im Kapitel "ländlicher Raum". Er vermisst außerdem das Thema regionsübergreifende Verkehrslösungen, ein klares Bekenntnis zu Architektur und Baukultur und hält auch die Punkte bezüglich der von der ÖVP im Wahlkampf so stark beworbenen Anhebung der Eigentumsquote für "mager".

Jubel in Immowirtschaft

Beinahe uneingeschränkter Jubel ist aus diversen Verbänden der Immobilienwirtschaft zu vernehmen. "Von den Überschriften her sehen wir das Programm positiv", sagt Wolfgang Louzek, Präsident des Verbandes der Institutionellen Immobilieninvestoren (VII). "Ich hoffe, der Mut bleibt erhalten." Auch der Österreichische Haus- und Grundbesitzerbund sieht im vorgelegten Regierungsprogramm "viele erste Schritte in die richtige Richtung". (Martin Putschögl, Franziska Zoidl, 20.12.2017)