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Ungarns Regierungschef Viktor Orbán und Kanzler Kurz übten sich in Wien in Harmonie.

Foto: reuters/HEINZ-PETER BADER

Frage: Was genau ist eigentlich die Visegrád-Gruppe?

Antwort: Ein Bündnis von vier Staaten innerhalb der EU. Mitglieder sind Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei. Heute ist deshalb oft von den "V4" die Rede. Gründerstaaten gab es allerdings nur drei: Das Format entstand im Februar 1991, also knapp zwei Jahre vor der Teilung der Tschechoslowakei. Gemeinsames Anliegen war damals die Annäherung an EU und Nato. Zudem hatten die beteiligten Staaten eine gemeinsame Geschichte als ehemalige kommunistische Diktaturen im sowjetischen Machtbereich. Es gab also ähnliche Strukturprobleme, bei deren Bewältigung man im Transformationsprozess zusammenarbeiten wollte. Daran knüpfen die V4 noch heute an.

Frage: Woher kommt der Name?

Antwort: Visegrád heißt die Gründungsstadt, gelegen an einem Donauknie im Norden Ungarns nahe der Grenze zur Slowakei. Die Wahl des Ortes hatte 1991 durchaus symbolische Bedeutung: Die Burg Visegrád war einst Sitz des ungarischen Königs, der dort im Jahr 1335 mit den Königen Polens und Böhmens stärkere politische Kooperation und engere Handelsbeziehungen vereinbart hatte.

Frage: Warum stehen die V4 derzeit so häufig im Zentrum der Aufmerksamkeit anderer EU-Staaten?

Antwort: Vor allem deshalb, weil sie in der Migrationspolitik eine kontrovers diskutierte Linie verfolgen: Sie sind gegen eine Verteilung von Flüchtlingen auf Basis verpflichtender Quoten und stellen sich damit gegen einen Mehrheitsbeschluss des Europäischen Rats. Allerdings ist diese Ablehnungsfront formal weniger einheitlich, als es auf den ersten Blick scheint. Polen etwa hat 2015 – noch unter einer rechtsliberalen Regierung – für die Quoten gestimmt. Ungarn und die Slowakei haben später gegen die Quoten geklagt, Tschechien und Polen nicht. Und von den derzeitigen Vertragsverletzungsverfahren der EU ist wiederum die Slowakei ausgenommen, die zuletzt bei der konkreten Aufnahme von Flüchtlingen Flexibilität signalisiert hat.

Frage: Gehen die V4 nicht auch in Bereichen wie Rechtsstaatlichkeit oder Außenpolitik gemeinsame Wege?

Antwort: Nur sehr bedingt. Das nationalkonservativ regierte Ungarn hat zwar angekündigt, Polen im Rechtsstaatlichkeitsverfahren der EU zu unterstützen und einen drohenden Stimmrechtsentzug zu blockieren. Dabei geht es um Vorwürfe Brüssels, Warschau untergrabe mit seiner Justizreform die Gewaltenteilung. Als Polen aber die Wiederwahl des liberalen Expremiers Donald Tusk als EU-Ratspräsident verhindern wollte, stand es alleine da. Auch die Beziehungen zu Russland sind zum Teil ein trennender Faktor: Ungarns Premier Viktor Orbán pflegt ein demonstrativ gutes Verhältnis zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, Polen hingegen nimmt Moskau eher als Bedrohung wahr. Tschechien und die Slowakei wiederum haben zuletzt häufig ihre proeuropäische Haltung betont, trotz der Kontroverse in der Flüchtlingskrise. Zudem ist mit der Slowakei ein V4-Staat Mitglied im Euroraum.

Frage: Ziehen die Regierungsparteien der V4 derzeit im Europäischen Parlament an einem Strang?

Antwort: Fast gar nicht. Die ungarische Fidesz ist in der Europäischen Volkspartei, Polens PiS bei der EU-kritischen Fraktion "Europäische Konservative und Reformer". Die EU-Abgeordneten der tschechischen Regierungspartei Ano sitzen in der liberalen Alde-Fraktion. Smer, die stärkste Regierungspartei der Slowakei, gehört zu den europäischen Sozialdemokraten, die mitregierende Nationalpartei ist gar nicht im EU-Parlament. Lediglich der kleine Koalitionspartner Most-Híd hat dort einen Sitz – in der Fraktion der Europäischen Volkspartei.

Frage: Derzeit ist häufig von einer Annäherung Österreichs an die V4 die Rede. Ist das realistisch?

Antwort: Bei der Flüchtlingspolitik gibt es gemeinsame Positionen – und insofern auch eine gewisse Annäherung. Auch die neue Regierung in Wien lehnt Quoten ab. Sonst aber dominieren, abgesehen von der geopolitischen Lage, die Unterschiede: Die V4 sind im Gegensatz zu Österreich Netto-Empfänger in der EU und Mitglieder der Nato. Ein zentraler Konfliktpunkt besteht auch bei der Nutzung der Kernenergie. Eine Mitgliedschaft Österreich streben weder die V4 noch Wien an – was freilich nicht im Gegensatz zum weiteren Ausbau der nachbarschaftlichen Beziehungen steht. (Gerald Schubert, 30.1.2018)