Tariq Ramadan muss im Gefängnis isoliert werden.

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Eine kleine Narbe könnte Tariq Ramadan zum Verhängnis werden. Eine der beiden Frauen, die angeben, von dem 55-jährigen Islamtheologen schon vor Jahren vergewaltigt worden zu sein, erklärte im Jänner den französischen Ermittlern, Ramadan trage dieses drei Zentimeter lange Merkmal zwischen Leiste und Geschlecht. Der Angesprochene musste die Angabe bestätigen. Seine Behauptung, er habe mit "Christelle", wie sie in den Pariser Medien genannt wird, gar keinen Körperkontakt gehabt, erweist sich damit als überaus wacklig.

Die Justiz ordnete die Verwahrung des Theologiestars an. Sie will verhindern, dass Ramadan mutmaßliche Opfer kontaktiert. Das zweite, eine Studentin namens Henda Ayari, berichtete von massiven Drohungen und Einschüchterungsversuchen durch Ramadans Community. Er trete als galanter Verführer auf, werde aber gewalttätig, wenn er nicht ans Ziel gelange. Gläubigen Musliminnen habe er Vorhaltungen gemacht, wenn sie sich schminkten oder die Haare offen trugen. In der Intimität seines Hotelzimmers habe er sie hingegen als willige Objekte seiner Sexfantasien missbraucht.

Saudi-Arabien soll dahinter stecken

Ramadans immer noch zahlreiche Anhänger gehen im Internet zum Gegenangriff über. Sie behaupten, ihr Idol sei Ziel einer internationalen Verschwörung. Dahinter steckten Islamfeinde der französischen Rechten und Laizisten, daneben aber auch das Regime in Saudi-Arabien. Riad versuche den Enkel von Hassan al-Banna – dem Gründer der ägyptischen Muslimbrüderschaft – mit allen Mitteln anzuschwärzen. Die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Ramadan seien insofern eine Folge des innerarabischen Machtkampfes zwischen den saudischen Wahhabiten und den ägyptischen Muslimbrüdern.

Ramadan ist aber möglicherweise auch von Katar, seinem einstigen Gönner, fallengelassen worden: Im Zuge der MeToo-Debatte wurde ihm im Jänner die Einreise in die katarische Hauptstadt Doha – wo Ramadan ein Islamzentrum leitete – verwehrt. Drei Monate zuvor hatte der Schweizer schon den Universitätslehrstuhl in Oxford verloren.

Das hindert seine Sympathisanten nicht, überall ein Komplott auszumachen. "Ramadan macht glauben, er werde von den Juden, den Geheimdiensten und den Islamophoben auf der ganzen Welt verfolgt", sagte ein Genfer Muslimwürdenträger, der sich aus Angst vor der Ramadan-Gefolgschaft nicht namentlich äußern will, dem französischen Magazin Le Point. "Und leider zieht das bei vielen jungen Muslimen, die ihn als ihren neuen Propheten sehen. Dies hat seine Popularität in den französischen Banlieues gesichert."

Zweifelhaftes Alibi

Ramadans U-Haft im größten europäischen Gefängnis Fleury-Mérogis südöstlich von Paris dauert nun schon mehr als eine Woche. Der kontroverse Islamologe muss dem Vernehmen nach in einer Art VIP-Zelle vor den Angriffen anderer Häftlinge geschützt werden. Seine Anwälte versuchen vergeblich, ihn freizubringen, und bringen ein angebliches Alibi vor.

Für das Datum der angeblichen Vergewaltigung in Lyon präsentieren sie ein Flugticket Ramadans aus London. Der Flug kam aber schon am späten Nachmittag in Lyon an; und "Christelle" will ihn noch "bei Tageslicht" getroffen haben, wie sie aussagte. Am Tag danach erhielt sie von Ramadan eine SMS: "Ich habe deine Verlegenheit gespürt. Tut mir leid wegen meiner 'Gewalt'. Ich mochte es. Willst du noch?"

Kein vollständiger Beweis

Ramadans Anhänger fragen mit einem gewissen Recht, warum die Polizei das Flugticket nicht zu den Akten gegeben habe, und schließen auch deshalb auf eine manipulierte Ermittlung. Polizeikreise bestätigten aber laut Le Monde, das Flugticket sei kein vollständiger Beweis, da im Zeitplan Ramadans zwei Stunden fehlen.

In dieser Zeit will "Christelle" auch die ominöse Narbe gesehen haben. Ramadans Verteidiger entgegnen nicht sehr überzeugend, dieses Beweisstück sei vermutlich von einer Hotelkamera festgehalten und verbreitet worden. Die Polizei überwache den populären Islamexperten, der die Steinigung von Ehebrecherinnen nicht rundum verurteilen wollte, seit langem wie einen Staatsfeind. Mit anderen Worten, Ramadan sei nicht Täter, sondern Opfer. Sicher ist: Fürs Erste bleibt er in Haft. (Stefan Brändle aus Paris, 11.2.2018)