Vizekanzler Heinz-Christian Strache (links) und Kanzler Sebastian Kurz. Ein türkiser Kommunikationsprofi beschreibt ihre Praxis so: Jede Woche wird ein neuer Schwerpunkt gesetzt, der dann medial möglichst lange dahinköcheln soll.

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Das Duo hatte lange Nächte hinter sich, doch nur einer von beiden ließ sich die Strapazen anmerken. Schweißperlen standen Heinz-Christian Strache beim im Doppelpack absolvierten Antrittsinterview auf der Stirn, der FPÖ-Chef wirkte gelöst, aber auch abgekämpft – wie es einem eben so geht nach einem tagelangen Verhandlungsmarathon mit nicht enden wollenden Medienterminen im Anschluss.

DER STANDARD-Videoreporterin Katrin Burgstaller sprach mit Regierungsungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal und mit Journalisten über die Informationspolitik der Bundesregierung.
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Ganz anders der Partner an seiner Seite. Sebastian Kurz sah aus, als komme er direkt vom Maskenbildner, Frisur und Anzug saßen ebenso bombenfest wie die Rhetorik. Allenfalls ließ sich der angehende Kanzler bei kritischen Nachfragen ein Stück aus der Reserve locken, jedoch stets nur für einen flüchtigen Moment. Keine Geste schien unkontrolliert, kein Halbsatz spontan: Kurz sprach humorfrei, aber praktisch druckreif.

Präzises Drehbuch

Perfekt getaktete Auftritte nach einem präzisen Drehbuch: Was Sebastian Kurz vorexerziert, versucht die Regierung als Ganzes nachzuahmen. Der ÖVP-Chef möchte verhindern, dass seine Koalition in jenem Zank und Hader versinkt, wie ihn nicht zuletzt manche seiner Parteifreunde zu rot-schwarzen Zeiten befeuert haben. Ein Gegenmittel ist Kontrolle über (fast) jeden Mucks, den die Regierung nach außen dringen lässt – und dieses wirkt bisher zumindest so gut, dass manche Veteranen der Neid packen könnte. "Wir haben seinerzeit auch versucht, für eine einheitliche Melodie zu sorgen", sagt der PR-Berater Daniel Kapp, einst Kommunikationschef des Vizekanzlers Josef Pröll (ÖVP): "Der Unterschied: Heute funktioniert es."

Das vorgefertigte Skript war schon ein Trumpf des Sebastian Kurz, da saß er noch lange nicht im Kanzleramt. Die Übernahme der ÖVP-Obmannschaft hat der Jungstar systematisch vorbereitet, das zeigen geleakte Strategiepapiere, deren Authentizität nur teilweise bestritten wird. Sehr früh, bereits im Juli, hatte Kurz' Team einen exakten Fahrplan für den Wahlkampf parat, um diesen bis zum Tag null, dem 15. Oktober, penibel und fehlerfrei zu exekutieren. Der Konkurrenz und den Berichterstattern der Medien einen Schritt voraus sein, laute die Maxime, sagt ein Eingeweihter. Dafür ist Schnelligkeit gefragt – und Kontrolle darüber, wer was weiß, damit nichts zu früh nach außen dringt.

Auf den Regierungsalltag umgelegt bedeutet diese Strategie für die einzelnen Minister engen Spielraum. Die türkisen Ressortchefs haben Interviewanfragen von Medien zentral zu melden – für die "Koordination", wie es heißt, sind die Parteizentrale und das Kanzleramt zuständig. Die dortige Stabsstelle für strategische Kommunikation unter der Leitung des langjährigen Kurz-Vertrauten Gerald Fleischmann legt auch fest, welcher Minister mit welchem Thema zu welchem Zeitpunkt an die Öffentlichkeit geht.

Medial köcheln lassen

Ein türkiser Kommunikationsprofi beschreibt die Praxis so: Jede Woche wird ein neuer Schwerpunkt gesetzt, der dann medial möglichst lange dahinköcheln soll – womit Journalisten mit gezielt gestreuten Inhalten beschäftigt sind. Diese Woche auf dem Programm: das für 2019 angepeilte Nulldefizit im Budget. Um divergierende Interpretationen der Koalitionsparteien zu vermeiden, steht mit Peter Launsky-Tieffenthal ein gemeinsamer Regierungssprecher parat.

Anderer Baustein: In den Ministerien ist die Regierung dabei, flächendeckend Generalsekretäre zu installieren, die im Gegensatz zur bisherigen Praxis mit einem Weisungsrecht gegenüber allen nachgeordneten Beamten inklusive Sektionschefs ausgestattet sind. Dem Vernehmen nach treffen sich die neuen Führungsfiguren zu einem wöchentliche Jour Fixe zwecks Abstimmung.

Offiziell sollen die Generalsekretäre das Zusammenspiel von Politik und Verwaltung verbessern – argwöhnische Geister wie Ex-Präsident Heinz Fischer fürchten hingegen, dass "hoch qualifizierte Mitarbeiter an die Leine" genommen werden. Hintergrund: Dominante Sektionschef entfalte(te)n bei politischen Entscheidungen mitunter großen Einfluss – und in so manchem Ressort sitzen natürlich auch einige mit Hang zur SPÖ.

Apropos kurze Leine: Als die Regierung einen Gesetzesentwurf für den rechtlichen umstrittenen Plan vorlegte, die Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder an das dortige Preisniveau anzupassen, kam es zu bemerkenswerten Vorgängen. Wie DER STANDARD berichtete, hatte das Außenministerium eine skeptische Stellungnahme des hauseigenen Völkerrechtsbüros nachträglich von der Parlamentshomepage gelöscht – diese sei zu früh veröffentlicht worden, so die Erklärung. Die Einschätzung des in dieser Frage vor einem Jahr noch sehr kritischen Verfassungsdienstes der Republik fiel plötzlich überhaupt aus.

Pioniere der Parallelwelt

Unliebsame Stimmen aus den Medien lassen sich naturgemäß schwerer unterbinden, doch da gibt es Umgehungsmöglichkeiten. Die FPÖ ist unter den heimischen Parteien die Pionierin in der Kunst, via soziale Medien eine Parallelöffentlichkeit aufzubauen, in der sie ihre Anhänger mit Botschaften ohne Korrektiv versorgen kann – und die ÖVP hat unter Kurz diesbezüglich stark aufgeholt.

Was die Regierung selbst betrifft, fielen bisher nur blaue Protagonisten mit Abweichungen vom Drehbuch auf. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hatte sich gegen die im Koalitionspakt fixierten Verschärfungen beim Arbeitslosengeld ausgesprochen – aber nicht lange. Seither ist die Ressortchefin ausgesprochen ruhig, man munkelt über einen Maulkorb. Selbst bei der jüngsten Sitzung des Sozialausschusses im Parlament wiegelte sie die meisten Fragen ohne Antwort ab.

Dies kann freilich auch daran liegen, dass Hartinger-Klein noch nicht in jedem Thema sattelfest ist – ein Umstand, der Steuerung von "oben" erleichtert. Hängen all die unroutinierten Minister letztlich also am Gängelband? Das kann man auch positiv interpretieren.

Die Frage sei, ob Message-Control auf "interne Zensur" hinauslaufe oder lediglich auf den Versuch, "meine Themen inhaltlich und zeitlich perfekt zu setzen", sagt Kommunikationsberaterin Heidi Glück, einst Kanzlersprecherin unter Wolfgang Schüssel. Unter Kurz beobachte sie jedenfalls, dass Quereinsteiger und junge Minister "professionelle Hilfestellung" bekämen, damit sie nicht "gleich in jede Falle tappen".

Auch Kollege Kapp nötigt der geschlossene Auftritt auf ÖVP-Seite "Respekt" ab: Kurz zehre davon, dass er anders als seine Vorgänger durchgesetzt hat, sich die Minister selbst auszusuchen. Früher tummelten sich in Regierungsteams viele Akteure, die nicht dem Bundeschef, sondern einem Landeshäuptling verantwortlich waren – und dementsprechend eine eigene Agenda verfolgten.

Gescheiterte Liniensuche

Weniger reibungslos klappt das Glattbürsten der Botschaft auf FP-Seite. In der Rauchverbotdebatte schwankte die blaue Kommunikation zwischen den Extremen: von einer Maßregelung der Initiatoren des "Don't smoke"-Volksbegehrens bis zum Ruf nach einer raschen Volksabstimmung.

Mittlerweile redet sich Strache auf die ÖVP aus, dass es kein Plebiszit gebe – womit die türkis-blaue "Message-Control" an ihre Grenzen stößt. Schon macht auf türkiser Seite die Sorge die Runde, dass die Freiheitlichen "in Panik geraten", sobald sie sich in die Ecke gedrängt fühlen – und dann unkontrollierbar werden. In diesem Fall wäre dann auch jene Losung Makulatur, die unlängst ein ÖVP-Mann informell am Rande der wöchentlichen Ministerratssitzung ausgegeben hat: "Egal, welches Wetter, egal, wie viel Dreck auch spritzt – wir fahren mit unserem Traktor durch und präsentieren hier jede Woche eines unserer Regierungsprojekte!" (Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 28.2.2018)