Das niederösterreichische System der bedarfsorientierten Mindestsicherung verfehle "seinen eigentlichen Zweck", entschieden die Verfassungsrichter.

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Wien / St. Pölten – Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner März-Session klargestellt, dass die bedarfsorientierte Mindestsicherung nicht nach rein politischen Gesichtspunkten eingeschränkt werden darf. Eine von der Dauer des Aufenthalts in Österreich abhängige Wartefrist für die Mindestsicherung in voller Höhe und eine starre Deckelung der Bezugshöhe bei Haushalten mit mehreren Personen, wie sie im niederösterreichischen Mindestsicherungsgesetz (NÖ MSG) festgeschrieben sind, "sind unsachlich und daher verfassungswidrig", entschieden die Verfassungsrichter.

Die Bestimmungen wurden daher mit sofortiger Wirkung aufgehoben.

Die Verfassungsrichter haben Niederösterreichs Modell der Mindestsicherung aufgehoben ("ZiB 1").
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Das niederösterreichische Modell war von der türkis-blauen Bundesregierung als vorbildlich bezeichnet worden. Die ÖVP hatte auf Bundes- wie auf Landesebene argumentiert, dass ein leichter Zugang zur Mindestsicherung für Migranten einen "Pull-Effekt" bedeuten würde. Klaus Schneeberger, Klubobmann der ÖVP im niederösterreichischen Landtag, kündigte an, dass sich das Landesparlament mit den notwendigen Änderungen des Gesetzes "so rasch wie möglich" befassen werde. Dabei wolle man aber jedenfalls den Grundsätzen treu bleiben, "die wir mit den bisherigen Maßnahmen verfolgt haben", betonte Schneeberger: "Wer arbeiten geht, darf nicht der Dumme sein."

Deckelung widerspricht der Verfassung

Wörtlich heißt es in der Entscheidung der Verfassungsrichter vom 7. März: "Das mit § 11b NÖ MSG geschaffene System [Deckelung, Anm.] nimmt keine Durchschnittsbetrachtung vor, sondern verhindert die Berücksichtigung des konkreten Bedarfes von in Haushaltsgemeinschaft lebenden Personen. Dadurch verfehlt dieses System der bedarfsorientierten Mindestsicherung ab einer bestimmten Haushaltsgröße seinen eigentlichen Zweck, nämlich die Vermeidung und Bekämpfung von sozialen Notlagen bei hilfsbedürftigen Personen."

Vom Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hatte es mehr als 160 Anträge an die Verfassungsrichter gegeben. Dahinter stehen jeweils Beschwerden von Personen, die nach der seit 1. Jänner 2017 geltenden Rechtslage eine geringere Mindestsicherung zugestanden bekommen hatten.

Der Verfassungsgerichtshof verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach jede zusätzliche Person in einem Haushalt eine zusätzliche Belastung für die Familie darstellt. Eine abrupte Kürzung ab einer bestimmten Zahl von Haushaltsmitgliedern sei daher nicht rechtens – auch wenn die Lebenshaltungskosten pro Person mit zunehmender Haushaltsgröße tendenziell abnehmen mögen.

Die Höchstrichter haben erkannt: "Wenngleich € 1500,– für bestimmte Haushaltskonstellationen ausreichend sein können, verhindert das NÖ MSG eine einzelfallbezogene und damit sachliche Bedarfsprüfung." Das Gesetz ist schon aus diesem Grund aufzuheben.

Kein Mindestaufenthalt für Mindestsicherung

Dazu kommt aber auch, dass die niederösterreichische Regelung darauf abzielt, jene schlechterzustellen, die erst seit kurzer Zeit im Land leben. Wer sich nicht mindestens fünf der vergangenen sechs Jahre in Österreich aufgehalten hat, kann unabhängig von der Staatsbürgerschaft statt der Mindestsicherung nur eine geringere Leistung gemäß den "Mindeststandards – Integration" beziehen. Ausnahmen gelten für in Österreich geborene Kinder von voll Anspruchsberechtigten und für Personen, die Österreich für Ausbildungszwecke oder aus beruflichen Gründen verlassen haben.

Auch das widerspricht dem Verfassungsgrundsatz der Gleichbehandlung. Die Anknüpfung an die Aufenthaltsdauer in Österreich ist zudem im Hinblick auf Asylberechtigte (Personen, denen internationaler Schutz bereits zuerkannt wurde) unsachlich: Asylberechtigte mussten ihr Herkunftsland wegen "wohl begründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden", verlassen und können aus denselben Gründen (derzeit) nicht dorthin zurückkehren. Asylberechtigte können daher im vorliegenden Zusammenhang nicht mit anderen Fremden (Unionsbürgern und Drittstaatsangehörigen), denen es freisteht, in ihren Herkunftsstaat zurückzukehren, gleichgestellt werden.

Bundesregierung wenig beeindruckt

Wenig beeindruckt von dem Entscheid des Höchstgerichts zeigte sich am Montag die Bundesregierung. Sie hält trotzdem an ihren Plänen fest: Man werde eine bundesweit einheitliche Lösung erarbeiten, die zwischen jenen unterscheidet, "die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben und jenen Nicht-Österreichern, die neu in das Sozialsystem dazu gekommen sind".

"Natürlich respektiert die Bundesregierung die Entscheidung des VfGH zur Mindestsicherung in Niederösterreich", betonten die Regierungskoordinatoren Gernot Blümel (ÖVP) und Norbert Hofer (FPÖ) in einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme gegenüber der APA. "Wir halten aber an unserem Ziel fest, eine bundesweit einheitliche Lösung zu erarbeiten, die differenziert zwischen denjenigen Personen, die schon länger in das Sozialsystem eingezahlt haben und jenen Nicht-Österreichern, die neu in das Sozialsystem dazu gekommen sind." Einen entsprechenden Vorschlag soll es bis Ende des Jahres geben. (red, APA, 12.3.2018)