Runter mit dem Niveau der Mindestsicherung, und das rasch: Die Regierungsspitzen Kurz und Strache haben keine Lust, auf die Vorschläge der Länder zu warten.

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Die Argumentation gemahnt an das "Speed Kills" der ersten ÖVP-FPÖ-Koalition der 2000er-Jahre. Viel zu lange würde es dauern, bis die Länder bei der Mindestsicherung eine Einigung zustande bringen, erklärte Verkehrsminister und Regierungskoordinator Norbert Hofer (FPÖ) nach dem Ministerrat der Regierung am Mittwoch: "Deshalb ziehen wir es umgekehrt auf."

Worauf Hofer anspielt, hat am Vorabend Proteste roter und grüner Landespolitiker provoziert. Schließlich hatten die Sozialreferenten aller neun Länder vorletzte Woche vereinbart, Ende Juni gemeinsame Vorschläge für eine österreichweite Regelung der Mindestsicherung zu präsentieren, und die wohlwollende Anwesenheit von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) als Zustimmung interpretiert. Doch nun will die Regierung bereits Anfang Juni die neuen Regeln in einem Grundsatzgesetz festschreiben. Statt die Materie selbst zu verhandeln, dürfen die Länder nur nachträglich ihre Meinung dazu sagen – und müssen hoffen, erhört zu werden.

"Unguided missile" im Ministeramt

Wie das zu Hartinger-Kleins Auftritt vor den Ländervertretern passt? Die Ministerin habe in ihrer Paraderolle als "unguided missile" wieder einmal voreilig etwas zugesagt, das nicht abgesprochen war, lautet eine Erklärung aus der Kanzlerpartei. Eine andere fällt für die Ressortchefin schmeichelhafter aus: Als die Länder gemeinsame Vorschläge ankündigten, habe Hartinger-Klein schwerlich etwas dagegen haben können. Doch dass die Regierung bis dahin stillhalte, habe sie nie zugesagt.

In den Augen der Koalitionäre hätte die Frist bis Juni nur eine fruchtlose Verzögerung gebracht. Mehrere Landeshauptleute hätten im Vertrauen ein eindeutiges Urteil über die Erfolgschancen abgegeben, heißt es aus der ÖVP: In 100 Jahren würden sich die Länder auf kein einheitliches Modell einigen, das scheitere schon allein an der unüberbrückbaren Kluft zwischen dem schwarz-blauen Oberösterreich und dem rot-grünen Wien. Kanzler Sebastian Kurz will aber möglichst viele Projekte abhaken, ehe Österreichs Vorsitz im EU-Rat die Regierung voll in Anspruch nimmt. Warum also auf etwas warten, das ohnehin nie passiere?

Dass die Regierung die Leistungskürzungen für Flüchtlinge in Oberösterreich zum Vorbild nimmt und nicht etwa das großzügigere Modell im schwarz-grün regierten Vorarlberg, ist kein Geheimnis. Doch entgegen einem diesbezüglichen Bekenntnis im Regierungsprogramm räumen in Hintergrundgesprächen mittlerweile auch Koalitionspolitiker ein, dass da eine Kleinigkeit dagegen spricht: Die Verfassung verbietet Diskriminierungen, weshalb sich das oberösterreichische Modell nicht eins zu eins durchsetzen lasse. Gesucht werden deshalb juristische Konstruktionen, die das Ziel der Kürzung mit der Rechtslage vereinbar machen.

Widerspruch im Westen

Doch auch ein politisches Problem gibt es. In Tirol und Vorarlberg regiert die ÖVP mit den Grünen – und Letztere können bei einem harten Kurs nicht mit. Könnte ein Diktat da nicht die Koalitionen im Westen ins Trudeln bringen? Das sei nicht Sorge der Bundesregierung, gibt man sich in koalitionären Kreisen ungerührt. Und was die Proteste aus dem rot-grünen Wien betrifft: Entgegen aller Rhetorik gegen Türkis-Blau werde der neue Bürgermeister Michael Ludwig insgeheim nichts dagegen haben, wenn ihm der Bund das Problem mit dem Kostentreiber Mindestsicherung löst.

Immerhin kommt Wien für mehr als die Hälfte aller Mindestsicherungsbezieher in Österreich auf. Die scheidende Stadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ) bleibt dennoch beim offiziellen Nein – sowohl zu Kürzungen der Leistungen als auch zu einem Grundsatzgesetz des Bundes: "Was jetzt geplant ist, kann ich nur ablehnen." (Gerald John, 26.4.2018)