Mit zunehmendem Alter fällt es dem Menschen schwerer, neue Dinge zu lernen. Auch wenn wir lebenslang lernen können, so brauchen Synapsen im Gehirn dann länger, um Vokabeln zu behalten, Tanzschritte abzuspeichern oder einen Joystick perfekt zu bedienen. So wie Menschen immer wieder nach dem Erhalt jugendlicher Schönheit streben, gibt es jüngst auch Versuche, das Gehirn zu verjüngen – zumindest kurzfristig.
Die Hoffnung: Mit künstlich stimulierten Hirnhälften soll das Lernen wieder leichter fallen, die Kreativität nur so sprudeln. Dafür, so das Versprechen, braucht es keinen komplexen operativen Eingriff. Man muss sich nur 20 Minuten lang einen Kopfhörer aufsetzen. Und schon gibt es für mindestens eine Stunde ein "Brain-Upgrade" – das behauptet zumindest die US-Firma Halo.
Zugpferd Sport
Mittels schwacher elektromagnetischer Impulse über die Halo-Kopfhörer will man das Gehirn so stimulieren, dass es in einen Zustand sogenannter Hyperplastizität versetzt wird. Erste Tester berichten von einem anfänglich unangenehmen, aber nicht schmerzhaften Gefühl. In diesem Zustand soll es zu verstärkter Neuronenstimulation kommen, das Erlernen motorisch-komplexer Bewegungen leichter fallen.
Das Know-how bezieht der Firmengründer und Neurowissenschafter Daniel Chao aus seiner Arbeit bei der Firma Neuropace. Sie produziert eine Art Gehirnschrittmacher, der die Hirnaktivitäten von Epilepsiepatienten überwacht. Gegebenenfalls wird mit elektrischen Impulsen eingegriffen. Bislang konzentriert man sich bei Halo vorwiegend auf den Sportbereich. Alle repetitiven, motorischen Handlungen sollen leichter automatisiert und schneller perfektioniert werden – langfristiges und regelmäßiges Training vorausgesetzt. Der motorische Kortex im Hirn dafür liegt praktischerweise direkt unter dem Kopfhörerbügel.
Auch lassen sich mit prominenten Sportlern breitenwirksame PR-Werbespots produzieren, die Hobby- wie Profisportler zum Kauf des 400 Dollar teuren Gadgets verleiten sollen. Dazu erweitert Halo die Zielgruppe um Klavierspieler oder E-Gamer – nach Unternehmensdefinition ebenfalls Sportler. Auch das US-Militär, das maßgeblich in die Entwicklung involviert war, zeigt großes Interesse an der Möglichkeit, Soldaten reaktionsschneller, länger fokussiert und ausdauernder zu machen.
Nicht alle Tester der ersten Generation der Kopfhörer stellten gesteigerte motorische Fähigkeiten fest, dennoch überwogen Berichte rascher Leistungssprünge.
Funktioniert die Stimulation?
Grundsätzlich sei ein positiver Effekt denkbar, bestätigt auch der Neurowissenschafter Wilhelm Eisner von der Universitätsklinik Innsbruck. Für den konkreten Kopfhörer von Halo Sport müsse man sich das in Tests aber genau anschauen und mögliche Placeboeffekte einkalkulieren. Eisner warnt aber auch vor zunehmend im Internet kursierenden Do-it-yourself-Kits zur Neurostimulation. Zwar gebe es immer wieder beachtliche Erfolge in der Behandlung von Schmerz- oder Parkinsonpatienten und auch bei depressiven Menschen, ein Einsatz ohne ärztliche Begleitung berge aber etwa die Gefahr, psychische Wahnvorstellungen zu verstärken oder mit zu hoher Stromstärke zu arbeiten. Bei korrektem Einsatz kann Eisner Langzeitfolgen von elektromagnetischer Neurostimulation aber ausschließen.
Bei Halo will man die Stromstärke bewusst niedrig halten und so die Sicherheit der Nutzer garantieren. Vor einem Einsatz bei Kindern wird seitens Halo dennoch abgeraten – aus Sicherheitsgründen. Eisner befürwortet das. Gerade Jugendliche könnten durch Neurostimulation gewissen Substanzen oder Leidenschaften noch stärker verfallen, sagt er.
Optimierter Mensch
In einer nächsten Projektphase möchte sich Halo verstärkt dem Erlernen von Sprachen und der Unterstützung von Menschen mit Sprachdefiziten widmen. "In der Arbeitswelt werden künftig eher kognitive als motorische Fähigkeiten gefragt sein", meint Gründer Chao. Keinesfalls gehe es ihm aber darum, getunte, optimierte und hocheffiziente Arbeiter zu erschaffen. Genau davor warnt aber Neurowissenschafter Eisner.
Mit Entwicklungen wie dem Kopfhörer könne es in jede Richtung gehen, zum Positiven wie zum Negativen – vom nicht nachweisbaren Sportdoping über den künstlich stimulierten und befriedigten Couchpotato bis hin zur optimierten menschlichen Killermaschine, die emotionslos tötet. Bescheiden ist man bei Halo jedenfalls nicht. Eine einfühlsamere Persönlichkeit dank Kopfhörerstimulation? "Warum nicht!", sagt Chao. Die Möglichkeiten, Menschen zu optimieren, sind da. Es gilt, sie für das Gute einzusetzen. (Fabian Sommavilla, 18.3.2019)