Er streute vor und nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos Hinweise, wonach er selbst dahinterstecken könnte: der deutsche TV-Satiriker Jan Böhmermann.

Foto: Screenshot, ZDF Neo

Dass sein Name in der Rücktrittsrede jenes Vizekanzlers fiel, den er selbst gerne als "Witzekanzler" bezeichnete, kann Jan Böhmermann als großen Sieg verbuchen. Neben Geheimdiensten und Tal Silberstein hatte Heinz-Christian Strache auch den deutschen Satiriker auf dem Zettel der Verdächtigen, die ihm die Videofalle auf Ibiza gestellt haben könnten. Als Drahtzieher gilt dieser als unwahrscheinlich, aber durch das gezielte Streuen von Hinweisen vor und unmittelbar nach dem Skandal schaffte es Böhmermann, der von dem Video schon früher Kenntnis hatte, Politik, Fans und Medien wieder einmal an der Nase herumzuführen.

Die Furcht der Ibiza-Urlauber vor dem Komiker ging sogar so weit, dass Johann Gudenus sich vorsorglich für weitere mögliche Enthüllungen entschuldigte, die ihn im Zusammenhang mit "psychotropen Substanzen" bloßstellen könnten. Die fraglichen Szenen vermuteten viele hinter einem ominösen Internet-Countdown Böhmermanns, dessen Website unter dem Besucheransturm zusammenbrach. Letztlich präsentierte er einen harmlosen länderübergreifenden Satirikersong zur Europawahl: Enttäuschung beim linken Internetempörium, Aufatmen bei den rechten Saubermännern – Jan Böhmermann legte beides offen.

Woher kommt die neue Macht der Satire? Was bedeutet es, wenn man einem "unseriösen, windigen Komiker", als den sich Böhmermann selbst bezeichnet, den Sturz einer Regierung zutraut?

Satiriker als investigative Journalisten

Abgesehen davon, dass er und sein Team aus Digital Natives es technisch gekonnt hätten; der Satiriker hat längst den Schritt zum tagespolitisch wirksamen Aktivismus vollzogen. Er schleuste Undercoverleute bei RTL ein, löste mit seinem Erdogan-Schmähgedicht eine Staatsaffäre aus, montierte einen Stinkefinger auf die Hand Yanis Varoufakis' (oder umgekehrt?), die dieser am Höhepunkt der Griechenlandkrise gegen Deutschland richtete, und: stellte erst kürzlich ein Wehrsportfoto des Ex-Sportministers als lebensgroße Installation nach.

In seiner Ausstellung im Grazer Künstlerhaus installierte Böhmermann eines jener altbekannten "Wehrsport"-Fotos lebensgroß. Mit einem Baseballschläger kann man dem maskierten Uniformierten das Bundesverfassungsgesetz um die Ohren hauen.
Foto: Markus Krottendorfer

Doch Böhmermann ist keine Ausnahme. Politische Satire blüht überall dort, wo Liberalismus, Demokratie und Rechtsstaat noch nicht offen beseitigt werden, aber in Bedrängnis geraten. Die gestiegene Bedeutung des Komödianten als Aufklärer hat zu tun mit einer Krise der Medien, die an Vertrauen und finanzieller Potenz eingebüßt haben. In den USA unter Donald Trump sehen politsatirische Late-Night-Shows immer mehr Menschen als Informationsquelle Nummer eins, hierzulande sprach der Kabarettist und STANDARD-Kolumnist Florian Scheuba schon vor Jahren davon, dass Satiriker immer mehr die Rolle von investigativen Journalisten einnehmen würden. Mit den vom ORF mittlerweile abgesetzten Staatskünstlern hatte Scheuba selbst einmal eine Videofalle gestellt und den damaligen Team-Stronach-Mann Robert Lugar (heute FPÖ) beim Bekenntnis gefilmt, mit einer Autokratie zu liebäugeln.

Der Komiker als Populist

Es gibt neben der Medienkrise aber noch eine zweite Situation, die Satirikern bisher ungeahnte Höhenflüge beschert: eine tiefgreifende Krise der politischen Repräsentation. Die Erosion tradierter Parteiensysteme bestärkt Komiker in ganz Europa darin, selbst politisch Hand anzulegen. Doch die Fähigkeit, Politik mit Witz und populistischen Ansagen zu verkaufen, hat ihre Kehrseite:

In Italien wurden die selbsternannten obersten Korruptionsbekämpfer der Fünf-Sterne-Bewegung um Komiker Beppe Grillo selbst zum Einfallstor für politische Glücksritter und letztlich zum Schuhlöffel des Rechtspopulismus, der ihnen in Person Matteo Salvinis gerade davonläuft.

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Beppe Grillo und seine "Grillini" gelten in Italien mittlerweile als Geburtshelfer für den Aufschwung der rechtspopulistischen Lega Nord.
Foto: AP

Die Ukraine wählte kürzlich den parteilosen TV-Comedian Wladimir Selenski zum Präsidenten. Er musste zuvor nicht einmal genau erörtern, wofür er eigentlich steht. Und in Österreich mutierte 2016 Roland Düringer vom Wutbürger zum Übermutbürger. Er kanalisierte sein neu entdecktes ökosoziales Gewissen nicht etwa bei den Grünen, die ihm, dem Systemzertrümmerer, als zu etabliert erschienen, sondern in einer eigenen Bürgerbewegung, die sich am Ende vor lauter Offenheit als nicht ganz dicht erwies.

In der Tradition von Karl Kraus

Jan Böhmermann, davon ist auszugehen, wird niemals nach der Macht im Staat greifen. Zu gut kennt er die Mühlen der Politik, die selbst den idealistischsten Geist trüben können. Satiriker wie Böhmermann verstehen ihre Rolle in einem System der "Checks and Balances": Sie sind Beobachter, Kritiker, mitunter Aktivisten im Spiel von Politik und Medien, wie sie schon Karl Kraus und Kurt Tucholsky, die Satire-Giganten der Jahrhundertwende, für ihre Zunft definierten.

"Politische Satire steht immer in Opposition", schrieb Tucholsky 1919. Kraus sah das ähnlich. Trotz der realpolitischen Verlockungen seiner Zeit entzog er sich zeitlebens der Parteilichkeit. Der Hofnarr als oberster Spötter und Kritiker der Mächtigen hat den Thron zu scheuen. Sein Platz ist zwischen allen Stühlen. Dort ist er umso wichtiger, je mehr die vierte Gewalt im Staat – die freie, kritische Presse – unter Druck gerät. (Stefan Weiss, 1.6.2019)