Um sieben Prozent soll die österreichische Wirtschaft 2020 gegenüber dem Vorjahr einbrechen, schätzt der Internationale Währungsfonds. Vor allem aus wirtschaftspolitischer Sicht stellt sich die Frage, wie sich dieser Wirtschaftseinbruch über verschiedene Industrien oder Firmen ausbreiten wird und welche Arbeitsplätze davon besonders betroffen sein werden.

Nationale und internationale Produktionsnetzwerke spielen eine wichtige Rolle

Bekanntlich hängen weiterverarbeitende Betriebe von Zulieferern ab, die oftmals ebenfalls wieder Vorleistungen von anderen Betrieben beziehen. Diese tätigen wiederum Zukäufe von weiteren Firmen, und so weiter. Derartige Wertschöpfungsketten stellen ein zentrales Element einer arbeitsteiligen Wirtschaft dar und haben sich in den letzten Jahrzehnten durch die Entwicklung europäischer und internationaler Produktionsnetzwerke vertieft und globalisiert.

Auch Zusammenbrüche derartiger Produktionsnetzwerke sind nichts Neues. So wurde beispielsweise der starke Wirtschaftseinbruch in den Ländern Zentral- und Osteuropas beim Übergang zum marktwirtschaftlichen System ab 1990 in führenden Studien durch "Auflösungseffekte" erklärt: Durch Pleiten und Eigentümerwechsel staatlicher Betriebe lösten sich bestehende Produktionsnetzwerke auf. Dass der Wirtschaftskollaps in einigen Ländern besonders lange anhielt, war unter anderem auf die Schwierigkeit zurückzuführen, neue Produktionsnetzwerke und Marktbeziehungen zu etablieren.

Die Relevanz solcher Auflösungseffekte zeigt sich auch in anderen Situationen, etwa beim Wegfall von Zulieferbetrieben infolge des Tōhoku-Erdbebens 2011, was sogar auf Firmenebene untersucht wurde. Dabei zeigte sich eine überraschend hohe Abhängigkeit japanischer Firmen in den USA von japanischen Lieferketten, die starke Komplementaritäten mit US-Zulieferern aufwiesen. Auch im Zuge der globalen Finanzkrise zeigte sich ein starker "Bullwhip-Effekt", der die Wichtigkeit von Integration und Koordination entlang internationaler Lieferketten verdeutlicht: Ein Einbruch der Nachfrage beim Endverbrauch wird verstärkt an die Händler und Zulieferer weitergeben und schaukelt sich somit auf.

Das Opel-Werk in Wien steht still.
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Zumindest kurzfristig zeigten sich solche Effekte auch schon infolge von Corona: etwa durch die Produktionsdrosselung bei KTM infolge des Ausfalls italienischer Zulieferer oder durch düstere Erwartungen innerhalb deutscher Produktionsnetzwerke in der Automobilindustrie, die wiederum stark mit Österreich und Osteuropa vernetzt sind.

Wirtschaftswissenschaftliche Prognosemodelle benötigen demnach ein Instrumentarium und empirische Grundlagen, um abschätzen zu können, was der Volkswirtschaft insgesamt, den spezifischen Industrien und Firmen und den damit verbundenen Arbeitsplätzen droht, wenn Zulieferer in der Produktion oder Abnehmer von deren Zwischenprodukten langfristig ausfallen oder sich Schocks durch die globalisierten Wertschöpfungsketten verbreiten. Gemäß aktueller Umfragen könnte gut ein Fünftel aller Firmen hierzulande die Krise nicht überleben. Weitere werden vermutlich einzelne Produktionszweige stilllegen müssen. Ähnliches lässt sich in anderen Ländern erwarten, wodurch sich leicht Engpässe in internationalen Lieferketten für andere Firmen ergeben können. Neue Firmen werden sich schwertun, rasch an ihre Stelle zu treten, und der oben beschriebene "Bullwhip"-Effekt kann negative Schocks aufschaukeln. Vor allem in Branchen mit komplexen Produktionsnetzwerken sind also nachhaltige Einbrüche zu befürchten – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Beschäftigung. Dementsprechend sind auch einzelne Regionen unterschiedlich betroffen, je nach vorherrschender Industrie- und Firmenstruktur.

Die Relevanz von Input-Output-Daten für evidenzbasierte Wirtschaftspolitik

Dank sogenannter Input-Output-Tabellen weiß man über die Abhängigkeiten zwischen Wirtschaftssektoren Bescheid. Sie zeigen, welche Industrien in welchem Umfang Zwischengüter für welche weiterverarbeitenden Sektoren produzieren. Das zeigt auch, wie sich Entwicklungen der Nachfrage oder bei Zuliefer-Industrien auf die unterschiedlichen Industrien auswirken. Auch internationale Wertschöpfungsketten lassen sich auf Industrieebene mithilfe derartiger länderübergreifender Daten ("World-Input-Output-Tabellen") gut untersuchen. Solche wurden maßgeblich von der Universität Groningen und dem Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche entwickelt.

Auf Grundlage dieser Daten lässt sich zum Beispiel folgern, dass die österreichische Computerproduktion stark von heimischen metallverarbeitenden Betrieben abhängt: Sie bezieht 16,5 Prozent ihres Outputs als Zwischenprodukte aus den metallverarbeitenden Sektoren. Umgekehrt lässt sich errechnen, wie sehr heimische Zulieferer und die dazugehörigen Arbeitsplätze von Produktionsausfällen im Ausland betroffen wären. So zeigt die World-Input-Output-Tabelle etwa, dass 2,6 Prozent des Outputs der heimischen Chemieindustrie als Zwischengüter in Italien weiterverarbeitet werden. Noch stärker ist diese Abhängigkeit für die heimische Auto- und Fahrzeugindustrie im Fall von Deutschland: 25,5 Prozent des heimischen Outputs in diesem Sektor werden von deutschen Firmen weiterverarbeitet.

Je detaillierter die Daten, desto zielgerichteter die wirtschaftspolitischen Empfehlungen

Die ökonomische Forschung hat ein solides Instrumentarium entwickelt, um die komplexen arbeitsteiligen Wirtschaftssysteme darzustellen und damit Auswirkungen von Schocks oder wirtschaftspolitischen Maßnahmen abzuschätzen, wodurch relevante Schlussfolgerungen gezogen werden können. In den letzten Jahren wurden insbesondere auch Datengrundlagen geschaffen, die die internationale Dimension der komplexen Produktionsnetzwerke verdeutlichen. Internationale Beispiele zeigen außerdem, dass sich aus detaillierten Informationen auf Regions- oder sogar Firmenebene besonders zielgerichtete und detaillierte Aussagen über "Ansteckungsketten" in derartigen komplexen Systemen treffen lassen. So gibt es etwa Daten für Input-Output-Beziehungen auf Firmenebene und entsprechende Forschungsergebnisse in Ländern wie Belgien oder Kolumbien.

Auch für Österreich würden sich mit Firmenstichproben, Umsatzsteuerdaten und anderen Quellen entsprechend granulare Input-Output-Daten erstellen lassen. Klarerweise muss und kann hierbei die Anonymität einzelner Firmen gewahrt bleiben. Dass das möglich ist, zeigen internationale Best-Practice-Modelle mit entsprechenden Datenschnittstellen zwischen Statistik und Forschung. Wirtschaftswissenschaftliche Forschung könnte auf dieser Grundlage weitaus bessere statistische und ökonometrische Erkenntnisse liefern.

In dieser Hinsicht hat die Wirtschaftswissenschaft in Österreich aber ein ähnliches Problem, wie es die Corona-Krise für die Epidemiologie aufgezeigt hat: Die wissenschaftliche Community muss auf andere Quellen zurückgreifen, um grundlegende Parameter über die Ausbreitung von Ansteckungen in Erfahrung zu bringen. Ähnlich fehlen granulare Daten, um über "wirtschaftliche Ansteckungsketten" zwischen Zulieferern und Verarbeitern bis hin zum Endverbraucher detaillierte Aussagen nach Regionen und eventuell sogar Firmentypen treffen zu können. Diese wären aber für eine zielgerichtete evidenzbasierte Wirtschaftsberatung und -politik unabdingbar. (Robert Stehrer, Konstantin Wacker, 12.5.2020)

Robert Stehrer ist wissenschaftlicher Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche. Er forscht zu verschiedenen Aspekten von wirtschaftlicher Integration, Wertschöpfungsketten, Produktivitäts- und Technologiewandel und deren Effekten auf Arbeitsmärkte und Beschäftigung.
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Konstantin Wacker ist Assistenzprofessor an der Universität Groningen. Er forscht insbesondere zu multinationalen Unternehmen, makroökonomischen Entwicklungsfragen und Exportqualität.
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