Zugegeben, selbst bei echten Sportaficionados ist die Vorfreude verschämt. Schließlich hat vor allem auch das IOC durch die und seit der Vergabe der Winterspiele an China viel Anlass zu berechtigter Kritik gegeben. Seinem Präsidenten Thomas Bach kam zu den Themen Menschenrechte oder Pressefreiheit kaum ein kritisches Wort aus. Wie alle vier Jahre sind packende Events zu erwarten, und ja, es gibt Menschen, die sich auf so manchen Bewerb durchaus freuen. Der eine oder die andere wird sich vielleicht sogar die eine oder andere Nacht um die Ohren schlagen. Ein Standard-Oktett mit persönlichen Hinweisen.

Biathlon: Da bleibt dir die Spucke weg

In meiner Kindheit brannten sich Bilder von Ole Einar Björndalen ins Gedächtnis. Der Norweger – Spitzname "Kannibale" – holte 2002 in Salt Lake City viermal Gold, aber das war mir egal. Was mich faszinierte, war das Gemisch aus Rotz und Spucke, das von seinem Kinn triefte.

Heute bleibt mir beim Biathlon die Spucke weg. Vor zwei Jahren war ich als Fan beim Weltcup in Ruhpolding. Was ich dort gelernt habe: Der Sprint heißt aus gutem Grund so. Kräfte einteilen, ist nicht möglich, das Rennen dauert nur etwas mehr als 20 Minuten. Es gibt nur Vollgas. Dazu erzwingt diese Sportart ein Ding der Unmöglichkeit. Puls runterfahren, Atem regulieren, zur Ruhe kommen. Am Schießstand ist Feinmotorik gefragt, über 30 Handgriffe braucht man pro Einlage.

Biathlon meint es zudem ernst mit Gleichberechtigung. Frauen und Männer reisen über den Winter gemeinsam, ihre Rennen werden gleich intensiv vermarktet. Gemischte Wettkämpfe kommen nicht nur bei Großereignissen vor, sondern auch im Weltcup. Am Samstag macht die Mixed-Staffel über viermal sechs Kilometer den Auftakt. Insgesamt elf Bewerbe stehen auf dem Programm, sechs mit Frauenbeteiligung – und in fünf dieser Rennen hat die Tirolerin Lisa Hauser, die Massenstartweltmeisterin, Medaillenchancen. (Lukas Zahrer)

Foto: AFP/CHRISTOF STACHE

Curling: Sagen Sie nie Besenwedeln auf Eis dazu

Würden Sie sich die österreichische Meisterschaft im Curling antun? Hypothetische Frage, weil: natürlich nicht. Im Olympia-Programm aber sind die Curler – als kontemplatives Element – Teil des Gesamtevents. Skifahren, Langlaufen, Bobfahren, Eiskunstlauf – wenn der Fernseher erst mal läuft, dann läuft er.

Curling bietet Entschleunigung, zumindest wirkt es auf den Betrachter so. Es wird viel herumgestanden und diskutiert, dann werden die Steine über die Eisbahn geschoben, während ein Teammitglied mit dem Curlingbesen den Radius der Kurve schrubbernd beeinflusst. Das alles hat wenig mit Wagemut, der Jagd um Tausendstelsekunden oder Eleganz zu tun – aber wer glaubt, dass er das, was die Spielerinnen und Spieler tun, eigentlich selbst auch könnte, der hat so gar nichts verstanden.

Curling ist pure Taktik, Präzision und auch Kraft. Zu schätzen weiß ich das allerdings erst, seit ich vor vier Jahren durch Zufall in New York auf einer Eisbahn neben der grundsympathischen kanadischen Curling-Olympiasiegerin Jennifer Jones gelandet bin, die mich in die Grundzüge des Sports eingeweiht hat. Nur so viel: Wer einmal mit dem Besen über die 45 Meter Distanz gebürstet ist, wird sich nie wieder über die Athletinnen und Athleten lustig machen. Weil er am Ende seiner Kräfte ist. (Nana Siebert)

Foto: Foto: AFP / Sebastien Bozon

Ski alpin: Medaillengleichung mit nur zwei Unbekannten

Wenn man schon mitten in der Nacht aus den Federn kommen muss, dann zumindest für einen Olympiasieg. Die Chance darauf ist groß. Vor vier Jahren wurden bereits aus schläfrigen Augen glänzende, als Matthias Mayer in Südkorea um vier Uhr österreichischer Zeit Gold im Super-G gewann. Der Mann kann Olympische Spiele, gewann schon 2014 in Sotschi in der Abfahrt.

Die Welt blickt in Peking für zwei Wochen auch auf das kleine Österreich. Aber der Neid ist ein Hund. Nicht wenige belächeln die Erfolge des ÖSV. Mag sein, Skifahren ist keine globale Weltsportart wie Fußball, aber an Konkurrenz mangelt es unseren Skifahrerinnen und Skifahrern wahrlich nicht. Die Jagd nach Hundertstelsekunden Vorsprung ist immer wieder eine Fahrt auf Messers Schneide. Trotzdem gelingt es Österreich immer wieder, dem Erfolgsdruck standzuhalten, auch ohne einen Dominator wie Marcel Hirscher.

Mit Mirjam Puchner und Ramona Siebenhofer in den Speedbewerben und Katharina Liensberger im Slalom gibt es auch bei den Frauen mehrere Siegfahrerinnen. Bleiben nur zwei Unbekannte in der Medaillengleichung, bei der am Ende einmal Gold, dreimal Silber und zweimal Bronze herausschauen sollte: Corona und die reinen Kunstschneepisten. (Florian Vetter)

Foto: AFP/FABRICE COFFRINI

Eiskunstlauf: Pailletten, Federn und Todesspiralen

Als fernsehsüchtiges Indoor-Kind war der erste Winter in Österreich ein wahrer Graus. Im ORF lief monatelang ausschließlich Skifahren. Und zu allem Übel kamen dann noch die Olympischen Winterspiele. Noch mehr Skifahren, Skispringen und Bobfahren, Schnee und noch mehr Schnee. Endlose, schneeweiße Fadesse.

So was wie Screentime gab es in den frühen 1990ern nicht, zumindest nicht in einem jugoslawischen Haushalt. Der Fernseher lief den ganzen Tag, und irgendwann wurde das Gejohle der Abfahrtskommentatoren von beschwingten Melodien unterbrochen. Sie schwebten, sie sprangen, sie drehten sich! Glitzernde, enge, übertrieben kitschige Kostüme! So konnte Wintersport also auch aussehen. Herrlich. Ich blieb vor der Glotze sitzen.

Bis heute kenne ich mich mit Eiskunstlauf nur rudimentär aus. Ich erkenne nicht alle Figuren, ich habe keine Lieblingsläuferin. Ich entscheide ganz und gar oberflächlich – nach Herkunftsland und Eleganz des Kostüms –, mit wem ich mitfiebern werde. Das Unvorhersehbare und das Drama vor, während und nach dem Wettbewerb machen den Eiskunstlauf so großartig. Und außerdem, welche Sportart kann bitte sonst mit Pailletten, Federn und Todesspiralen aufwarten? Na, also!(Olivera Stajic)

Foto: AFP/ANNE-CHRISTINE POUJOULAT

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Eishockey: Es lebe die Jagd nach dem Puck

Man muss nicht Eishockey spielen, um es zu lieben. Man muss auch nicht zwingend des Eislaufens mächtig sein, um sich in dieser Sportart zu versuchen – auch wenn es gewiss nicht von Nachteil ist. Um sich schmerzhafte Landungen zu ersparen, empfiehlt es sich, in einschlägige Schutzausrüstung zu schlüpfen und den Schläger zunächst zum Abstützen zu verwenden. Ob es dann später für einen Einsatz bei Olympia reicht, hängt letztlich von vielen Faktoren ab. Ausreichend Praxis ist jedoch essenziell.

Bequem von der Couch aus dazulernen lässt sich bei den Turnieren in Peking, wo die Frauen ab Donnerstag und die Männer ab 9. Februar dem Puck hinterherjagen, um im Idealfall das Finale am 17. (Frauen) bzw. 20. (Männer) zu erreichen.

Als heimischer Fan der Eisarbeit kann man sich neutral auf das Wesentliche konzentrieren, da die österreichischen Teams mehr (Frauen) oder weniger (Männer) knapp in der Qualifikation gescheitert sind. Dass bei den Männern wie auch 2018 schon in Pyeongchang die Stars der National Hockey League fehlen, sollte der Faszination des ungemein flotten und intensiven Teamsports keinen Abbruch tun. (Thomas Hirner)

Foto: REUTERS/David W Cerny

Rodeln: Mit hundert Sachen durch eisige Steilkurven

Rodeln macht es seinen Sportlerinnen und Sportlern nicht leicht. Mit mehr als 100 Stundenkilometern brettern die Profis durch die Geraden und schmeißen sich in Steilkurven. Ihre Körper stecken in dünnen Rennanzügen – als würden ihre zerbrechlichen Knochen nicht nur wenige Zentimeter über den pickelharten Eisflächen dahinfliegen. Dabei sind die minutenlangen Abfahrten nur ein winziger Einblick in diesen Sport. Die Sieger im Winter werden beim Training im Sommer gemacht.

Auch in anderen Sportarten wird geschuftet, keine Frage. Beim Rodeln werden all die Arbeit, der Wagemut und das Können aber nicht mit außergewöhnlichem Ruhm belohnt. Auf die Champions wartet zu Hause kein Luxusdomizil, kein dicker Wagen und auch kein Fan-Tross. Möglicherweise klopft einem der Bürgermeister auf die Schulter. Das war’s.

Wenn man Rodlerinterviews und Rodlerinnenporträts liest, verdeutlicht sich: Diese Menschen lieben ihren Sport – auch wenn er schwierig, herausfordernd und ungerecht nischig ist. Zusehende haben hingegen Glück: Genau diese Mischung macht es so leicht, den Rodelsport ins Herz zu schließen. (Ana Wetherall-Grujic)

Foto: Imago / Steffen Prössdorf

Skispringen: Flieg, Omi, flieg!

Sara Marita Kramer wird es kein Trost sein, aber noch ist Österreichs weiblicher Skisprung nicht verloren – auch wenn die gegenwärtig beste Skispringerin der Welt wie auch ihre ebenso todtraurige Teamkollegin Jacqueline Seifriedsberger und Chefcoach Harald Rodlauer wegen Corona daheim bleiben müssen. Am Samstag werden es auf der Normalschanze im Snow Ruyi National Ski Jumping Centre eben andere richten. Eva Pinkelnig hat das Zeug dazu. Und Daniela Iraschko-Stolz, wenn sie rechtzeitig ganz fit wird, sowieso. Niemand hätte olympisches Gold mehr verdient als die 38-Jährige, die Ex-Trainer Andreas Felder stets "Omi" zu nennen pflegte.

Ohne das Wirken der Steirerin ist der Aufschwung des Skisprungs der Frauen gar nicht zu denken. Bei der Olympia-Premiere 2014 in Sotschi schnappte ihr die Deutsche Carina Vogt das erste mögliche Gold um lächerliche 1,2 Punkte weg. Den weitesten Sprung des Bewerbs hatte damals Iraschko-Stolz gelandet, die vor elf Jahren schon Weltmeisterin war. In Oslo war das seinerzeit der Auftakt für eine geradezu unheimliche Serie von fünfmal Skisprung-Gold für Österreich. Undenkbar in Peking, aber wer weiß. (Sigi Lützow)

Foto: AFP / Jens Schlüter

Paralympics: Weg mit dem Mitleid, her mit der Anerkennung

Böse, also zynische Zungen freuen sich "besonders auf die Schlusszeremonie" der Olympischen Spiele in Peking. Und ganz ehrlich: So blöd ist das gar nicht. Denn wenn am 22. Februar der Vorhang hinter den Spielen fällt, stehen die Paralympics in den Startlöchern. Start ist am 3. März. Vor den Paralympics 2021 in Tokio sagte ÖPC-Generalsekretärin Petra Huber im STANDARD-Interview: "Olympische Spiele und Paralympics sind gleichwertig." Recht hat sie.

Mit Freude erinnere ich mich an meine Reise zu den Paralympics 2018 nach Pyeongchang. Es waren meine ersten Paralympics, die anfängliche Behutsamkeit wich rasch, wurde zu Respekt und Anerkennung. Am Flughafen vor der Rückreise notierte ich mir: "Mitleid ist kein Respekt." Das gilt noch heute. Die Leistungen der Athletinnen und Athleten mit Behinderung müssen als das bewertet werden, was sie sind: sportliche Höchstleistungen. Ohne bemitleidenswerten Unterton, ohne Fokus auf die Tragik der individuellen Lebensgeschichten. Es ist so wie zwei Wochen zuvor: Es geht ums Gewinnen und Verlieren, vierte Plätze sind wurscht, was zählt, ist das Bling-Bling um den Hals. (Andreas Hagenauer, 3.2.2022)

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