Für die Verteidigungsministerin ist es ein großer Moment: 100 Milliarden Euro soll es ziemlich plötzlich als Zusatzbudget für die Nachrüstung geben. Und das Geld wird auch dringend gebraucht. Nein, die Rede ist nicht von Klaudia Tanner (ÖVP), sondern von Christine Lambrecht (SPD), ihrer deutschen Amtskollegin: Die deutsche Bundeswehr, einst Rückgrat der westeuropäischen Verteidigung, ist materiell ausgelaugt.

Das ist natürlich kein Trost für das Bundesheer, dem es um nichts besser geht. Aber es ist ein Ansporn: Wenn die deutsche Ampelregierung angesichts des Kriegs in der Ukraine die bisherigen Versäumnisse erkennt und der Nationale Sicherheitsrat in Österreich gleichzeitig – und mit den Stimmen aller Parteien – fordert, mehr in die Landesverteidigung zu investieren, dann könnte auch Tanner demnächst über die Mittel verfügen, die Lücken zu schließen, die bekanntermaßen beim Bundesheer klaffen.

Von ihrem Amtsvorgänger Thomas Starlinger, der als kurzzeitiger Fachminister 2019 eine Mängelliste erstellt hat, hat Tanner eine Art Einkaufsliste geerbt. Wenn sie plötzlich mit mehr Budget gesegnet sein sollte, müsste sie diese nur abarbeiten. Möchte man glauben.

100 Milliarden Euro soll es ziemlich plötzlich als Zusatzbudget für die Nachrüstung geben.
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So läuft das in Österreich aber nicht. Hierzulande wird zwar viel Aufwand für das Erstellen von strategischen Überlegungen getrieben; aber das, was in den schönen – und in sich schlüssigen – Papieren steht, wird bei der Umsetzung nicht ernst genommen. So kam man vor 30 Jahren zu der Erkenntnis, dass die Vorwarnzeit für einen Krieg in Europa acht bis zehn Jahre betragen würde; man hätte also genug Zeit, die Systeme hochzufahren. Dass Russland vor acht Jahren die Krim besetzt hat, wollte die Politik aber nicht als den Auslöser jener Vorwarnzeit sehen.

Falsches Bild

Es wäre ja auch extrem unpopulär gewesen, damals einer Nachrüstung das Wort zu reden. Schlimmer noch: Wenn man überhaupt an Rüstungsbeschaffungen gedacht hat, dann hat man versucht, die Dinge kleinzureden. Beispiel Eurofighter: Aus geplanten 28 hochmodernen Kampfflugzeugen wurden 15 Fluggeräte für "luftpolizeiliche Einsätze".

Ähnlich bei der laufenden Hubschrauberbeschaffung: Um nur ja nicht von Kriegsgerät sprechen zu müssen, wurde der militärische Nutzen kleingeredet und die nur als Zweitverwendung zulässige Bedeutung der Einrichtung für medizinische Transporte betont. Diese über Jahrzehnte gewachsene Kommunikation hat ein falsches Bild vom Heer entstehen lassen: Viele sehen vor allem seine Assistenzeinsätze, die sehr populär sind, und gleichzeitig die Defizite in der rein militärischen Ausrüstung.

So entsteht der Eindruck, dass das Militär für seine primäre Aufgabe, die militärische Landesverteidigung, ohnehin nicht geeignet wäre. Umgekehrt wäre es richtig: Wenn das Heer seine ureigensten Aufgaben erfüllen kann und in seinem Grundwehrdienst tüchtige Soldaten als "Bürger in Uniform" heranbildet, wird sein Ansehen steigen. Dann kann es Sicherheitsinseln bilden, die auch zivile Organisationen stützen; dann kann es auch nebenbei Feuerwehr und Hilfspolizei spielen. Aber glaubwürdige Landesverteidigung lebt eben auch vom Bekenntnis zu moderner Bewaffnung.

Solche Waffen kurzfristig auf dem kleinen Weltmarkt für Rüstungsgüter zu kaufen wird schwer genug: Auch andere Heere haben lange Einkaufslisten – wie etwa die deutsche Bundeswehr. (Conrad Seidl, 3.3.2022)