Omikron sorgt für neue Lockdowns. In Schanghai gibt es massive Schutzmaßnahmen, nicht nur Fabriken bleiben zu.

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Vom Speicherstick bis zum Glas für den Bildschirm – so gut wie alle Hersteller warnen nach dem neuerlichen Lockdown in China vor Transportverzögerungen, verspäteten Frachtschiffen und Lieferkettenproblemen. Für die vom Chipmangel gebeutelten Autokonzerne kommt der am Montag verhängte umfassende Lockdown in Wirtschaftszentren wie Schanghai und Shenzen zur Unzeit.

Volkswagen warnte umgehend vor Flaschenhälsen in der Lieferkette und stillstehenden Bändern in drei seiner chinesischen Werke. Der ewige Rivale auf dem internationalen Automobilmarkt, Toyota, hat seinerseits die Produktion in japanischen Werken zumindest bis Monatsende suspendiert. Auch der Apple-Rivale Huawei und der Apple-Produzent Foxconn sind vom neuerlichen Stopp nach dem stärksten Covid-Ausbruch seit 2020 betroffen.

Mangel an Komponenten

Hinzu kommt Komponentenmangel aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine, der die Folgen des anhaltenden Halbleitermangels zusätzlich verstärkt. Allein Volkswagen hat im abgelaufenen Geschäftsjahr nach eigenen Angaben wegen Chipmangels zwei Millionen Fahrzeuge weniger ausgeliefert. Zusammen mit anstehenden Zinserhöhungen sorgt diese Mischung an Unwägbarkeiten nicht nur für gebremstes Wirtschaftswachstum, teils massive Preis- und Kostensteigerungen, sondern auch für eine Talfahrt der Aktienindizes.

Kaum ein Aktienmarkt ist freilich so betroffen wie der chinesische. Titel des Tech-Konzerns Alibaba notierten bei 80 US-Dollar – so niedrig wie zuletzt vor mehr als fünf Jahren. Der Hongkonger Aktienindex Hang Seng ist mittlerweile so tief gefallen wie zuletzt 2008. "Rendite-Grab" nannten das Anleger auf Twitter.

"Dynamische Lockdowns"

Wie lange die Fabriken durch die "dynamischen Lockdowns" geschlossen bleiben, hängt von den örtlichen Behörden ab. Massive Lieferstaus entstehen darüber hinaus dadurch, dass es zu Teilschließungen in Lagerhäusern und Containerhäfen kommt.

Allerdings leiden Chinas Tech-Aktien auch unter dem stärker werdenden Griff des Staates. Alibaba-Gründer Jack Ma ging es im Herbst 2020 an den Kragen. Nachdem er sich mit Kritik am chinesischen Bankensektor wohl zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, verschwand der charismatische Konzerngründer für einige Monate. Ma ist inzwischen wieder aufgetaucht, aber politisch kastriert: In Medien taucht er nur noch mit seinem neuen Hobby auf, der Seidenmalerei. Nun heißt es, Alibaba werde 20 Prozent seiner Belegschaft kündigen müssen.

Kurze Leine für Tech-Riesen

Unter Beschuss steht auch Chinas anderer Megakonzern Tencent. Dessen App Wechat ist im chinesischen Alltag allgegenwärtig und vereint Funktionen, die hierzulande Whatsapp, Instagram und Paypal erfüllen. Tencent ist bereits seit Monaten mehr Druck ausgesetzt, da chinesische Kinder aus Sicht der Regierung zu viel Zeit mit Online-Gaming verbringen. Nun kommen auch noch Vorwürfe der Geldwäsche hinzu: Die Bezahl-App des Konzerns, Wechatpay, soll notwendige KYC-Vorschriften, also das Einholen von Benutzerdaten, zu lax gehandhabt und so Geldwäsche Auftrieb geleistet haben. Auch bei Tencent soll es zu Entlassungen kommen.

Evergrande

Noch nicht ausgestanden ist die Zitterpartie um den Immobilienkonzern Evergrande. Bisher konnte eine Insolvenzwelle vermieden werden, aber die Pleite des Megakonzerns lastet auf der Wirtschaft. Und schließlich droht der geopolitische Sturm, chinesische Unternehmen zu erfassen. Deren Aktien sind oft über auf den Cayman-Inseln registrierte Spezialvehikel an US-Börsen handelbar. US-Anlegerschützer kritisieren seit Jahren, dass die Zulassungsvorschriften viel zu lax seien und damit Anlegergeld gefährdet sei.

Strengere Vorschriften für Tech-Riesen

In den USA wird zunehmend Kritik an den Medienplattformen chinesischer Tech-Konzerne laut. Sie verbreiteten prorussische Propaganda. Als wahrscheinlich gilt, dass die Vorschriften für chinesische Unternehmen strenger werden. Denkbar ist mittlerweile auch, dass große Indizes wie der MSCI World chinesische Aktien aus ethisch-sozialen Gründen ablehnen. Dies würde mehr Verkaufsdruck erzeugen.

Nur in China selbst lässt der Bärenmarkt die Leute relativ kalt. Seit dem Crash im Sommer 2015, bei dem vor allem einfache Anleger, Mittelschichtsfamilien, Wanderarbeiter, viel Geld verloren, ist die Börse als Geldanlage für die allermeisten Chinesen passé. Die Ersparnisse fließen in eine andere Blase: die Immobilien. (Philipp Mattheis aus Peking, 16.3.2022)