Hinter der Börse werden seit ein paar Wochen Würste gebraten, wie sie die Stadt noch nicht gesehen hat.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Wer weiß, wie die Kausalkette jetzt richtig aufgefädelt ist: Muss, wer Wien sagt, automatisch auch Würstel sagen, oder ist es vielmehr umgekehrt? Unbestritten ist jedenfalls, dass die Qualität der Wurst in Wien schon seit Generationen nicht mehr wirklich berühmt ist. Mittelmaß regiert, Massenproduktion ist der Standard, maßlose Überwürzung und bamstiges Mundgefühl sind die Regel. Kein Wunder, dass ausgerechnet die Käsekrainer als Hybridprodukt längst die Umsatzwurst schlechthin ist. Ach, Wien!

Gute Wurst fängt so richtig erst ab Salzburg an. Das seinerzeit von Bayern zu Österreich gekommene Bistum hat sich bis heute einen schamlos bajuwarischen Wurstbegriff zu bewahren gewusst. Dem Bayern kommt halt nur richtig gutes Zeug in den Darm, das fangt bei den Weißwürsten an (nicht zufällig weltberühmt) und hört bei den dicken Kalbsbratwürsten auf. Beim Graben-Meinl wissen sie das, da kommen die guten Würste aus Golling oder von noch weiter westlich her.

Salzburger Metzger

Sebastian Neuschler ist jedenfalls Salzburger und hat jetzt einen Würstelstand in Wien. Eh schon ein paar Monate – bis es mit der Belieferung aus dem Salzburgischen geklappt hat, dauerte es aber. In der Zwischenzeit wurde der mehrfache Haubenkoch eben für seine Trüffelpommes, sein Beef Tartare (von Hand geschnitten!) und seine – wirklich konkurrenzlos köstlichen – Calamari fritti abgefeiert. Kann man alles eh auch am Würstelstand essen, ob man es will, ist eine andere Frage.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Neuschlers Würste waren bis jetzt halt ausschließlich Ostware. Nichts gegen die (eh schon so schmal aufgestellten) Fleischer Wiens und Niederösterreichs, bei der Wurst und beim Leberkäse könnten sie sich aber echt etwas abschauen.

Wer es nicht glaubt, muss auf den Börseplatz. Neuschlers Lieferant ist die Metzgerei Baischer in Lochen am See, die auch Standln am Salzburger Universitätsplatz (Wissenden als Wurstnirvana geläufig) versorgt. Dort sind die legendären Frischen tatsächlich tagesfrisch, gleiten als schlaffe Überzieher ins heiße Wasser, um nach wenigen Minuten als pralle, vor Köstlichkeit berstende Wurstaristokraten wieder emporgehoben zu werden.

Jetzt gibt es die Frischen, wenn auch vorgebrüht, wahrhaftig an einem Wiener Würstelstand: schaumgeborene Wurstherrlichkeit aus 100 Prozent Kalbfleisch, so fein, so zart, dass in Wien sozialisierte Freunde der Wurst sie glatt als zu edel für ihr derbes Biotop befinden könnten. Der Salzburger isst sie vorzugsweise ohne Senf, tendenziell auch ohne Gebäck – Neuschler steht aber mit Händlmaiers picksüßem Weißwurstsenf ebenso parat wie mit Öfferl-Semmeln.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Souveräner Knack

Noch beeindruckender sind aber die Frankfurter, ganz einfach, weil man da als Wiener zu wissen meint, wie sie gut schmecken. Man braucht keine Gegenverkostung, um die Salzburger Frankfurter als unvergleichlich besser zu erkennen als alles, was im Osten unter selbem Namen – oder auch als Sacherwürsteln – angeboten wird.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Die vom Börseplatz spielen in einer eigenen Liga, nur zart vom Rauch geküsst, von souveränem Knack, durch und durch gut. Sie werden aber auch nur auf Bestellung gesiedet – mal sehen, wie das ist, wenn erst der Run einsetzt. Lange Scharfe gibt es auch, darf man sich als XL-Frankfurter mit Chilliflankerln vorstellen, alles andere als eine blöde Idee. Die Debreziner sind vor Paprika berstende Wonneproppen, herrlich fleischig und doch zart, irrsinnig gut.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Leberkäse gibt es in diversen Varianten. Am tollsten ist wohl der von XO Beef aus Gmunden: sauber im Geschmack, geradezu flaumig im Biss, die hohe Schule des Leberkas. Wer bislang auf Käsekrainer geeicht war, sollte die Kalbsbratwurst versuchen, dick, irrsinnig saftig und zart, mit feiner Zitronen- und Muskatnote, von wahrhaft erhabenem Biss. Dazu braucht man Bier, das ist von Schremser. Perrier-Jouët, Bründlmayer und anderes mehr hat der Salzburger Würstelstand in Wien aber auch auf Lager. (Severin Corti, RONDO exklusiv, 25.3.2022)

Weitere Kritiken von Severin Corti