In der Gumpendorfer Straße 33 wird nach dem XO-Burger- jetzt der Döner-Brutal-Hype gezündet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Alexander Ehrmann verfolgt als Apotheker einen ganzheitlichen Ansatz. Gutes Essen und Trinken scheinen ihm als Voraussetzung für dauerhaftes Wohlergehen nicht minder wesentlich als exakte Medikation nach den Regeln der Pharmazie. Bloßes Pillendrehen und Rezeptausfolgen sind ihm jedenfalls zu fad: Der Mann spürt seit Jahrzehnten auch dem Wissen der traditionellen europäischen Medizin von der Antike bis zu Paracelsus nach, er sammelt Kräuter und Wurzeln, hat Kenner und Kennerinnen der Volksmedizin ebenso an der Hand wie ausgesuchte Thai-Masseure, Yoga-Lehrende, Naturkosmetikerinnen. Parallel dazu setzt Ehrmann auch Wermut, Magenbitter (gut!) und Gin an, braut Kräuterbier. Wir erkennen: Auch dem Konsum kann Heilkraft innewohnen.

Der Mensch ist, was er isst

Essen zum Beispiel. Ehrmann ist selbst kein Kostverächter, er will sein Team nachhaltig verköstigt wissen, versteht aber auch die Paracelsus’sche Weisheit als Auftrag, wonach der Mensch ist, was er isst. Seit 2006 ist Nahrung Teil des St.-Charles-Programms – und das war gleich der New York Times einen Bericht wert.

Was der Künstler Philipp Furtenbach damals gemeinsam mit Philipp Riccabona im winzigen St. Charles Alimentary auf die Teller brachte, war nicht nur ausnahmslos selbst gesammelt, selbst gemacht oder selbst erlegt, sondern auch so herzergreifend gut, dass man tatsächlich von einem Heilmittel sprechen durfte: An akuter Fadesse der Wiener Gastrolandschaft Laborierenden wurde hier geholfen.

Danach ging es immer wieder bergab und bergauf. Im Lockdown durften die Buben von XO Beef hier ihren Smash Burger aus dem Fleisch richtig alter Weiderinder testen, was Lüftungstechniker und Anrainer gleichermaßen forderte, Wien aber einen ausgewachsenen Burgerhype und der Ecke Gumpendorfer/Köstlergasse eine monatelange Belagerung durch hypehungrige Hipster bescherte.

Qualitative Totalrenovierung

Der Burger ist weitergezogen, jetzt ist Döner dran: Wird gemeinhin ebenso als Junkfood wahrgenommen, ist also mindestens so überfällig für eine qualitative Totalrenovierung. Dafür treten Javier Mancilla, Sendi Gbinia und Xaver Kislinger, Habitués der Wiener Gastroszene, an. Gbinia kennt sich außerdem mit Fermentieren aus, was, wichtig für den Apotheker, neben geschmacklichen auch volksmedizinisch angezeigte Effekte zeitigt.

Bio-Schulterspitz wird abwechselnd mit Kernfett auf den Spieß geschichtet, nachdem es zuvor in hausfermentiertem Garum aus Koji-Kulturen und Fleischabschnitten marinieren durfte. Gesäbelt wird nicht ganz so virtuos und hauchfein wie beim Döner-Heiligtum Ferhat in Favoriten – aber halb so wild, das Fleisch wirkt auch so fast unwirklich weich.

Dazu gibt es frisch gezupften Dill und Petersil, richtig köstlich fermentierte Cherryparadeiser, mächtige Salzgurkenradeln, Rotkrautsalat und Joghurt. Wer scharf will, kriegt eine Sauce aus gerösteten Zwiebeln, Knoblauch und Chili draufgepackt. Das schmeckt alles imposant gut, speziell, wenn man sich für "Extra Fleisch" (+ 2,50 Euro) entscheidet.

Schmeckt imposant gut, speziell wenn man sich für "Extra Fleisch" entscheidet.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Sauerei!

Ohne Fleisch geht aber auch gut. Dann kommt selbst gemachter Seitan zum Einsatz, der geschmacklich mit Linsen-Miso und Pilzgarum aufgeladen wird: keineswegs ein Ersatzprodukt.

Lángos haben die Herren vom Brutal-Döner als Dürüm-Alternative angedacht, die müssen in der Realität wegen übergroßer Luftigkeit und Überladung mit Fleisch und Condiments aber aus dem Karton gegessen werden. Das artet, eh amüsant, angesichts fehlender Tische zur Sauerei aus.

Gar nicht lustig ist das Bierangebot: Konzernplörre wie Gösser, Villacher, Wieselburger et al. hat in einem Laden derart ausgesuchter Qualität nichts verloren. Zum Glück gibt’s Weißbier von Weihenstephan, das schmeckt wie Craftbier, ist aber (warum eigentlich?) alles andere als hip. (Severin Corti, RONDO, 20.5.2022)

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