Im baltischen EU- und Nato-Mitgliedsland Estland ist das Regierungsbündnis aus der wirtschaftsliberalen Reformpartei und der linksgerichteten Zentrumspartei zerbrochen. "Estland braucht gegenwärtig mehr denn je eine funktionierende Regierung auf der Grundlage gemeinsamer Werte", sagte Regierungschefin Kaja Kallas am Freitag einem Rundfunkbericht zufolge. "Die Sicherheitslage in Europa gibt mir als Premierministerin nicht die Möglichkeit, die Zusammenarbeit mit der Zentrumspartei fortzusetzen."

Kallas gilt in Ukraine-Fragen als Hardlinerin gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Ihrem Koalitionspartner warf sie vor, gegen die Interessen des Staates zu agieren und die Unabhängigkeit von Russland nicht ausreichend zu schützen.

Auf Vorschlag von Kallas entließ Staatspräsident Alar Karis die sieben Minister der Zentrumspartei. "Ich hoffe, dass diesem Schritt andere folgen, die Estland wieder eine funktionierende Regierung zurückbringen", schrieb Karis auf Facebook.

Premier Kaja Kallas will sich nun neue Mehrheiten suchen.
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Auf der Suche nach Mehrheiten

Die Regierungskoalition bestand seit Jänner 2021. Die Aufgaben der abberufenen Minister werden nun vorübergehend durch die anderen Kabinettsmitglieder übernommen – bis zur Bildung einer neuen Koalition. Kallas und ihre Reformpartei wollen dazu Gespräche mit den Sozialdemokraten und der konservativen Partei Isamaa aufnehmen. Bis dahin bleibt sie ohne parlamentarische Mehrheit – die Reformpartei hält nur 34 von 101 Sitzen.

Vorausgegangen waren der Regierungskrise Streit und Machtkämpfe über einen Gesetzesentwurf zum Familien- und Kindergeld, für den sich die Zentrumspartei mit der Opposition zusammengetan hatte. Zudem blockierte sie am Mittwoch im Parlament die Verabschiedung eines von der Regierung beschlossenen Gesetzes zur Vorschulbildung. (APA, 3.6.2022)