Immer mehr Kinder benötigen bezahlte, private Nachhilfe, um die Schule zu meistern.

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Wien – Damit die Zeugnisverteilung zum Erfolgserlebnis wird, müssen Eltern oft tief in die Tasche greifen. Denn auch wenn die Pflichtschulen in Österreich eigentlich kostenlos sind, müssen immer mehr Familien für die Bildung ihrer Kinder bezahlen, kritisiert Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl: "Guter Schulerfolg ist oft nur durch teuren privaten Zusatzunterricht möglich, den sich bei weitem nicht alle leisten können. Aber jedes Kind muss eine faire Chance haben, seinen Platz in unserer Gesellschaft zu finden – unabhängig von den finanziellen oder zeitlichen Ressourcen der Eltern."

Erhebungen im Rahmen des AK-Nachhilfebarometers zeigen, dass im laufenden Schuljahr 27 Prozent aller Schülerinnen und Schüler externe Nachhilfe bekommen haben – in diese Zahl wurden auch kostenlose Schulnachhilfen eingerechnet. 164.000 Kinder, oder 16 Prozent, erhielten von den Eltern bezahlte Nachhilfe. Das belaste die Familienbudgets in Zeiten der Teuerung "stark oder spürbar", wie 48 Prozent der betroffenen Eltern angaben.

Ausgaben um ein Fünftel gestiegen

Im Mittel beliefen sich die Kosten für Nachhilfestunden in diesem Schuljahr auf 630 Euro pro Schulkind, für das Nachhilfe zu bezahlen war. Im Jahr 2020 waren es noch 520 Euro, also um 21 Prozent weniger. Insgesamt gaben Familien im Schuljahr 2021/22 102,7 Millionen Euro für privaten Zusatzunterricht aus – ein Plus von fast 20 Prozent gegenüber dem Jahr 2020.

AK-Präsidentin Anderl macht in erster Linie fehlende Ressourcen an öffentlichen Schulen dafür verantwortlich: "Wir können uns Schulen, die mangelhaft ausgestattet sind, nicht mehr leisten. Wir brauchen eine Schule, in der die Kinder genug Zeit und Unterstützung bekommen, damit sie das Gelernte durch individuelles Üben festigen können."

Die zusätzlichen Unterrichtseinheiten sind für viele Familien unerschwinglich geworden, wie die Erhebung der AK zeigt. Und die Corona-Pandemie hat die Situation zusätzlich verschärft. Im Vergleich zum Jahr 2020 ist der Anteil der Eltern von Schülerinnen und Schülern ohne frühere bezahlte Nachhilfe, die sich aber eine solche für ihre Kinder gewünscht hätten, um acht Prozent auf ein Fünftel gestiegen.

Bezahlen für gute Noten

Hauptgrund für Nachhilfestunden sind gute Noten, nicht ein nachhaltiges Verständnis des Lernstoffs, wie die Untersuchungen der AK zeigen. So wird der teure Zusatzunterricht vor allem kurzfristig und vor Prüfungen oder Tests gebucht. Wie groß der Notendruck, um eine gute weiterführende Schule besuchen zu können, bereits ist, zeigt die Zahl von 16 Prozent der Volksschülerinnen und -schüler, die bereits eine externe Nachhilfe bekommen haben.

Für den Schulerfolg müssen auch die Eltern selbst anpacken. Denn die Schulorganisation setzt nach wie vor auf Lernen zu Hause, kritisiert die AK. 58 Prozent der Kinder erhalten mindestens einmal oder oder mehrmals pro Woche elterliche Hilfe, ein Viertel sogar täglich. Wobei hier Kinder höher gebildeter Eltern klar im Vorteil sind. Denn 46 Prozent der Eltern mit Pflichtschulabschluss gaben an, beim Helfen überfragt zu sein. Unter den Eltern mit Hochschulabschluss lag dieser Anteil nur bei rund 26 Prozent. Das Mitlernen ist auch eine Zeitfrage: Vier von fünf Eltern erklärten, dass Schulaufgaben sie spürbar zeitlich belasten.

Frauen tragen Hauptlast

Unbezahlte Lernbetreuung der Kinder geht zudem hauptsächlich zulasten von Frauen. Sie leiden damit oft unter einer Mehrbelastung von Berufstätigkeit und Lernunterstützung. "Schulen so zu organisieren, dass Kinder und Jugendliche dort gut lernen können, ist damit auch eine Frage der Vereinbarkeit und Chancengerechtigkeit für Frauen", sagt AK-Präsidentin Anderl. Zwar spiele die übliche Arbeitszeit der Eltern dabei eine Rolle. Sie könne jedoch nicht die Unterschiede zwischen den Geschlechtern erklären. Denn während Männer, die Vollzeit arbeiten, die geringste Beteiligung äußern (19 Prozent), berichten auch Frauen, die Vollzeit arbeiten, signifikant häufiger, dass sie selbst die Unterstützungsarbeit für ihre Kinder übernehmen (60 Prozent).

Für Anderl muss sich das rasch ändern: "Schule soll Kindern Wissen vermitteln, Spaß machen, sie in ihrer Entwicklung fördern. Lehrerinnen und Lehrer müssen Arbeitsbedingungen vorfinden, die das ermöglichen. Eltern müssen die Sicherheit haben, dass ihre Kinder in der Schule eine gute Basis für ein gutes Leben aufbauen können." Lerndruck oder Angst vor schlechten Noten stünden dazu im Widerspruch: "Nachhilfe und überbordendes Lernen zu Hause müssen endlich der Vergangenheit angehören."

Ganztagsschule als Lösung

Als Lösung erachtet Anderl Ganztagsschulen und Förderunterricht. Denn das Nachhilfebarometer habe gezeigt, dass dort, wo Schulen so organisiert sind, dass genug Zeit zum Lernen, Üben und Fragenstellen bleibt, die privat finanzierte Nachhilfe deutlich reduziert werden kann. Und qualitativ hochwertiger schulischer Förderunterricht am Nachmittag habe nachweislich positive Effekte in Richtung einer Eindämmung von bezahlter Nachhilfe während des Schuljahrs.

Daher fordert die AK eine nachhaltige Personal- und Investitionsoffensive an Österreichs Schulen. Denn Schulerfolg von Kindern solle nicht vom Vermögen der Eltern abhängen. Der AK-Chancenindex wäre dazu geeignet, treffsicher in Schulentwicklung zu investieren, so Anderl. Dabei würden Mittel für Schulen je nach Unterstützungsbedarf der Kinder zugeteilt. Um die Qualität an den Schulen zu steigern und zu garantieren, fordert die AK vom Bildungsministerium, bessere Rahmenbedingungen für Lehrkräfte zu schaffen.

AK: Schulkosten müssen gesenkt werden

Flächendeckend beitragsfreie Ganztagsschulen würden nicht nur Eltern merklich entlasten, der Ausbau der Betreuung würde auch zusätzliche Arbeitsplätze schaffen, sagt Anderl. Angesichts der steigenden Verbraucherpreise plädiert die AK dafür, Schulkosten massiv zu senken. Dazu brauche es Budgets für Schulmaterialien, die Lehrkräfte unbürokratisch verwenden können, nach dem Vorbild des Wiener Warenkorbs, um Kinder und Jugendliche mit den notwendigen Materialien auszustatten, damit sie gut lernen können.

Vor allem armutsgefährdete Familien und Alleinerziehende benötigten dringend Hilfe, betont Anderl. Denn sie träfen Teuerungen besonders hart, und sie hätten während der Pandemie auch am schwersten mit psychisch-emotionalen Folgen zu kämpfen gehabt. Die Arbeiterkammer fordert daher die Regierung auf, ein Entlastungspaket sowie spezifische Unterstützungsangebote zu schaffen. Auch die Anhebung und Ausweitung der Schülerbeihilfe sei unerlässlich. (Steffen Arora, 9.6.2022)