In der Praterstraße läuft Budweiser jetzt unpasteurisiert – und ohne zugesetztes CO2 – aus den Tanks in die Humpen.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Im Fenster reift ein Bein vom Schwein, ein strammer Rücken mit akkurat parierten Knochen, ein Englischer vom Rind und anderes mehr: In der Auslage der Praterstraße 45 gibt es Ware der zusehends raren Art. Wo noch vergangenes Jahr ein Libro-Markt auf internetferne Kundschaft wartete, ist eine Fleischhauerei eingezogen.

Wie kann das sein? Seit Jahrzehnten haben Nachrichten aus dem fleischverarbeitenden Gewerbe in Wien nur noch von Schließungen und Betriebsumsiedlungen an die Peripherie zu berichten gewusst. Und auf einmal sperrt wahrhaftig ein neuer Fleischhacker auf, noch dazu mit angeschlossenem Wirtshaus (eventuell auch umgekehrt, aber egal)? Ist das jetzt, mitten in der großen Gastrokrise, etwa die Rückabwicklung der Handwerksmisere, der Anfang vom Ende des Gasthaussterbens, die Wirtshaus-Reconquista?

Auf jeden Fall ist hier ein Team mit echten Visionen und erstklassigen Referenzen am Werk. Mile Palikukovski, Simon Steiner und Geronimo Schiedlbauer kennt man aus dem schräg vis-à-vis gelegenen Dogenhof, wo sie gemeinsam mit Florian Kaps ein ausschließlich mit Glutgrube, offenem Feuer und Holzofen bekochtes Restaurant haben, das als bemerkenswerteste Neueröffnung der letzten Jahre gelten darf.

Dreamteam

Mit dem neuen Praterwirt soll dem offenbar noch eins draufgesetzt werden. Max Klaghofer, Spross einer traditionsreichen Wiener Fleischerdynastie (noch aktiv!), steuert die handwerkliche Kompetenz bei. Lukas Stagl, zuvor oberster Hüter des Feuers im Dogenhof, darf hier wieder an einem normalen Herd stehen. Alexander Mayer, der legendäre Koch, steuert Tipps und Kniffe zum richtigen Umgang mit urösterreichischen Spezialitäten bei. Klingt nach Dreamteam? Kommt hin.

Geöffnet ist, wie es sich für eine Fleischerei gehört, von der Früh weg. Bis 17 Uhr gibt es diverse Imbisse, am Käseleberkäse mit 24 Monate gereiftem Bergkäse kommt man auch morgens kaum vorbei, die Verheißung hat hier die Form eines prachtvoll schwitzenden Ziegels angenommen. Schinkenrolle, diverse Hauswürste, Innviertler Grammelknödel, Gulasch klein/groß gibt es auch, darf man alles als Aufforderung zum Gabelfrühstück verstehen.

Noch dazu, wo Bier hier in bislang ungeahnter Herrlichkeit fließen darf. Budweiser wird im Tankwagen aus Böhmen geliefert, vor Ort in prominent platzierte Kühltanks gefüllt und darf, einzigartig im Lande, unpasteurisiert (und ohne zusätzlichen CO2-Druck!) gezapft werden. Was soll man sagen? Die glockenhelle Herrlichkeit der Schweizerhaus-Krügel (auch kein CO2, aber Fassl- statt Tankbier) hat hier tatsächlich ein Pendant gefunden.

Das Budweiser rinnt hier in monumentale Humpen, die vorgekühlt aus einem Bassin kalten Wassers gehoben werden. Unerreicht weich und nektargleich saugt der goldene Saft sich durch den Schlund, eine ganz eigene, magnetische Kraft scheint da im Spiel zu sein.

Großes Gesülze

Foto: Gerhard Wasserbauer

Abends ordert man dazu Haussulz, zart schweinischen Glibber, hauchdünn geschnitten und mit Kernöl dezent benetzt – die beste Sulz seit langer Zeit. Stosuppe bekommt einen winzigen Selchfleischknödel als Einlage, der lenkt aber nur ab von der herrlich bissigen Säure und Kümmeligkeit der Suppe.

Kalbsbutterschnitzel werden als kräftig gebratene Wuchteln in Tennisballgröße interpretiert, dafür geraten sie herrlich fleischig, elastisch – rund und gut. Paprikahendl hat zu wenig bissfeste Nockerl an der Seite, die intensiv paprizierte Sauce ist aber makellos, das Fleisch bewundernswert saftig – sehr gut.

Beim Altwiener Backfleisch würde man sich mehr Kren- und Senfschärfe unter der perfekt soufflierten Panier wünschen – und Gurkensalat statt der schmalzigen Rösterdäpfel. Aber das sind Kinkerlitzchen. Hingehen, feiern! Prost. (Severin Corti, RONDO, 17.6.2022)

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