Am Gesundheitssystem wird immer wieder herumgedoktert. 2018 beschloss Türkis-Blau, die Zahl der Sozialversicherungsträger von 21 auf fünf zu reduzieren.

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Strukturen verschlanken und damit so viel Geld sparen, dass dann eine Milliarde Euro direkt für Patientinnen und Patienten zur Verfügung steht: Das war kurzgefasst der Plan der türkis-blauen Koalition zur 2018 beschlossenen Kassenreform. Das ließ sich politisch wunderbar vermarkten. Einem Rohbericht des Rechnungshofs (RH) zufolge, von dem das Nachrichtenmagazin "Profil" am Wochenende berichtete, hat sich die Botschaft der damaligen Regierung aber nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Es sollen sogar Mehrkosten in der Höhe von 214,95 Millionen Euro entstanden sein.

Gewerkschaftsvertreter reagieren wütend: Sie sehen in der Reform den "teuersten politischen Raubzug der Zweiten Republik" (FSG-Vorsitzender Rainer Wimmer) und ein "Unterseeboot", das man stoppen müsse (ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian). Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl fordert, dass die Selbstverwaltung den Versicherten zurückgegeben werden müsse. Der Generaldirektor der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), Bernhard Wurzer, verteidigt die Fusion, distanziert sich aber vom Politversprechen der Patientenmilliarde. Dagmar Belakowitsch, stellvertretende Klubobfrau der FPÖ, sagte in der "ZiB 2", die Reform werde sich noch rechnen und koste eben anfänglich mehr. Neos und SPÖ üben Kritik. DER STANDARD skizziert, was bisher passiert ist und wo es hakt.

Frage: Welche fünf Sozialversicherungsträger gibt es heute noch?

Antwort: Die Gebietskrankenkassen sind seit 1. Jänner 2020 zur Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) fusioniert. In einer gemeinsamen Kasse sind seither auch Beamte und Eisenbahner (BVAEB). Weiters wurden die Sozialversicherungen der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und der Bauern (SVB) zur Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS). Zusätzlich gibt es die Pensionsversicherungsanstalt (PVA) und die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (AUVA).

Frage: Wo sollte die Milliarde eingespart werden?

Antwort: Bei Beschluss der Reform wurde angenommen, dass der Verwaltungsaufwand um 30 Prozent sinken werde. Allerdings lässt sich laut RH nicht nachvollziehen, wie man genau auf diese Zahl gekommen ist. Auf eine Milliarde sei auch nie eine wirkungsorientierte Folgenabschätzung gekommen, die bei jedem neuen Gesetz zu erfolgen hat, kritisiert Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker. Auch ein Sinken der Mitarbeiterzahlen wurde angenommen, jedoch: Von 16.087 Vollzeitstellen 2018 wuchs die Zahl bis 2020 auf 16.189. Hinzu kommt, dass großzügige Sonder-Altersteilzeitangebote gemacht wurden. Der Rechnungshof sieht zwar die Führungsriege mancher Träger geringfügig verschlankt, eine Neudefinition von realistischen Zielen sei aber nötig, berichtet "Profil". Den größten Einsparungseffekt erhoffte man sich bei den IT-Kosten. Tatsächlich sollen sie aber zwischen 2018 und 2020 um 21 Prozent bzw. 35,5 Millionen Euro gestiegen sein.

Frage: Trotz Fusion gibt es bis heute keine einheitlichen Tarife für Kassenleistungen. Kommen die noch?

Antwort: Es bestehen enorme Unterschiede zwischen den noch bestehenden Kassen: also was zum Beispiel eine Ärztin für die Behandlung eines bei der BVAEB Versicherten und eines bei der ÖGK Versicherten erhält. Auch wenn sich Patientinnen bei der Kasse etwas zurückholen für einen Wahlarztbesuch oder eine Brille, ist die Höhe des Betrags verschieden. Innerhalb der ÖGK bestehen zudem noch regionale Unterschiede, aktuell sollen dazu aber Gespräche laufen.

Frage: Hört man aus der ÖGK auch reformkritische Stimmen?

Antwort: Der Vorarlberger ÖGK-Landesstellenvorsitzende Manfred Brunner meinte in den "Vorarlberger Nachrichten", es sei allen klar gewesen – auch jenen, die die Reform unterstützten –, dass die Patientenmilliarde "eine Illusion" sei. Die Reform sollte nach Ansicht des Arbeitnehmervertreters dazu dienen, den damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) "als Macher darzustellen". Und einigen Industriellen sei es darum gegangen, die Hand an das Geld der Arbeitnehmerkasse zu halten.

Frage: Welche Machtverschiebungen gab es durch die Fusion?

Antwort: In den Gremien der ÖGK verloren die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Mehrheit, stattdessen wurde eine Parität mit den Dienstgebvertretern hergestellt, womit die ÖVP de facto eine Mehrheit bekam. Der Vorsitz in der ÖGK, der Pensionsversicherung und im neu geschaffenen Dachverband wechselt halbjährlich zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern.

Frage: Was sagt Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) zu all dem?

Antwort: Minister Rauch sagt, der Rechnungshofbericht habe seine Zweifel an der Ankündigung einer "Patientenmilliarde" der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung bestätigt. Sein Ministerium prüfe "sehr genau die Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der laufenden Ausgaben der Sozialversicherungsträger", er wolle Einsparungspotenziale heben, das System der selbstverwalteten Sozialversicherung stärken und eine Gesundheitsversorgung für alle in hoher Qualität sichern. Das passiere laufend im ständigen Austausch zwischen Bund, Ländern und Sozialversicherung. (Gudrun Springer, APA, 4.7.2022)