Mit 32 Jahren Aufsichtsrätin einer Bank, mit 37 nun eine leitende Position in der männerdominierten Cybersecurity: Wer ist die Karrierefrau Alice Rossi?

STANDARD: Zahlen oder Worte – was liegt Ihnen mehr?

Rossi: Definitiv Zahlen. Schon immer. In der Schule liebte ich Informatik und Mathematik.

STANDARD: War deshalb klar: Es wird eine Karriere in den Finanzen?

Rossi: Nein. Eigentlich wollte ich Schauspielerin werden. Meine Eltern waren von dieser Idee allerdings nicht sehr begeistert. Ich schwenkte um und entschied mich für ein Studium im Bereich Finance, Management und Banking Systems in Bukarest.

STANDARD: Sie haben Ihre Karriere in Rumänien begonnen?

Rossi: Ja. Bis ich 25 Jahre war, lebte ich dort. Absolvierte mein Studium, habe währenddessen meinen Sohn bekommen und Teilzeit beim rumänischen Rechnungshof gearbeitet. Mein Umzug nach Österreich kam für mich sehr plötzlich. Es war kurz vor Weihnachten, ich hatte meinen zweiten Job bei Deloitte Bukarest angefangen, als wir erfuhren, wir müssen umziehen. Mein damaliger Mann arbeitete bei OMV. 2011 versetzten sie viele ihrer Mitarbeitenden nach Österreich. Er war einer von ihnen. Ich musste mein gesamtes Leben umkrempeln. Meinen Job aufgeben. Meine Familie und Freunde zurücklassen. Mein Sohn war damals ein Jahr alt. Mein neues Leben begann.

"Ich hatte großes Glück, dass meine Arbeitgeber sehr flexibel und familienfreundlich waren", sagt Alice Rossi.
Foto: Natascha Ickert

STANDARD: War es schwer, hier Fuß zu fassen?

Rossi: Ich sprach kein Wort Deutsch. Um für Vorstellungsgespräche und mein weiteres Berufsleben gewappnet zu sein, büffelte ich acht Monate in einem Sprachkurs. Mein Plan ging auf. Das Bewerbungsgespräch bei Deloitte Österreich als Wirtschaftsprüferin war erfolgreich. Ich hatte großes Glück, dass mein damaliger Chef mich trotz mangelnder Sprachkenntnisse unterstützte und bei den Kollegen um Verständnis für mich bat. Mittlerweile bin ich voll angekommen und habe auch die österreichische Staatsbürgerschaft angenommen (obwohl das ein ziemlicher Aufwand war).

STANDARD: Sie haben relativ oft den Arbeitgeber gewechselt – warum?

Rossi: Das ergab sich. Ein Beispiel: Als ich bei Deloitte in Österreich arbeitete, kontaktierte mich ein Headhunter. Sie wollten mich für eine stellvertretende leitende Position in einer Bank anwerben. Ich traute mir das damals weder fachlich zu (es war ein etwas anderer fachlicher Schwerpunkt verlangt), noch wollte ich eine so verantwortungsvolle Position als Mutter übernehmen. Mein zweites Kind, meine Tochter, war zu dem Zeitpunkt ein Jahr alt. Die Headhunter ließen aber nicht locker. Viermal sagte ich ihnen ab, beim fünften Mal wurde ich dann doch überzeugt und begann bei der Semper Constantia Privatbank als Head of Internal Audit.

STANDARD: Zwei Kinder und eine Führungsposition – wie war das für Sie?

Rossi:Ich hatte das große Glück, dass meine Arbeitgeber sehr flexibel und familienfreundlich waren. Ich konnte mir immer ein oder zwei Tage Pflegeurlaub nehmen, wenn meine Kinder zum Beispiel krank waren. Sie konnten schon immer lange in den Kindergarten gehen und waren sehr anpassungsfähig. Das hat alles sehr erleichtert. Ich hatte das Glück, mich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen.

STANDARD: Mit 32 Jahren wurden Sie Aufsichtsrätin bei der Liechtensteinischen Landesbank. Sind Sie stolz darauf?

Rossi: Aufsichtsrätin zu werden war nie ein Ziel, auf das ich hingearbeitet hätte. Das ergab sich einfach. Manchmal frage ich mich: Was habe ich gemacht, um all das hier zu verdienen? Ja, ich arbeite viel und möchte immer alles perfekt machen. Aber ich hatte zusätzlich einen großen Vorteil: Immer haben meine Vorgesetzten erkannt, dass ich mich gerne weiterbilde und engagiert bin. Meine Chefs und Arbeitskollegen haben mich angespornt und mir Mut gemacht. Das hat mir Kraft gegeben, die jeweiligen Positionen anzunehmen. Ohne diese Unterstützung wäre ich nicht in meiner heutigen Position. Ich kann nicht beschreiben, wie glücklich und dankbar ich für alles bin.

STANDARD: Eine sichere und gut dotierte Position in einer Bank – wieso haben Sie das aufgegeben?

Rossi: Viele der Arbeitsvorgänge waren standardisiert. Es überwog die Routine. Mir macht die Arbeit allerdings am meisten Spaß, wenn ich Neues lernen kann. Deshalb wechselte ich zu Bitpanda, die im Bereich Kryptowährungen, Rohstoff- und Wertpapierhandel tätig sind. Dort durfte ich als Head of Group Risk Management mein eigenes Team aufbauen, die Aufgaben selbst definieren. Das war genau das, wonach ich suchte.

STANDARD: Haben Sie als Risikomanagerin den Sturz der Kryptos vorausgesehen und sind deshalb weg?

Rossi: Nein, so war das nicht. Ulrich Kallausch, der Managing Partner meiner jetzigen Firma Certitude, warb mich ab. Wir kannten uns noch aus der Zeit in der Semper Constantia Privatbank. Ich schätze unsere Zusammenarbeit sehr und wollte gerne wieder mit ihm und seinem Team zusammenarbeiten. Die Firma berät Unternehmen im Bereich IT- und Informationssicherheit, Risikomanagement und bei den dazugehörigen Vorschriften.

STANDARD: Was genau tun Sie bei Certitude?

Rossi: Ich weiß, das klingt kompliziert. Ganz knapp: Wir verbessern die IT-Sicherheit. Wo hat das IT-System einer Firma Probleme, wurden alle Vorgaben eingehalten (das ist vor allem mein Bereich), wo sind Lücken, die Hacker ausnützen könnten? Denn dazu kommt es leider immer wieder. Erst im Mai gab es ja beispielsweise einen Cyberangriff auf die Kärntner Landesverwaltung.

STANDARD: Verhandeln Sie auch mit Erpressern?

Rossi: Nein, das machen Kollegen in meiner Firma.

STANDARD: Was meinen Sie ist der Grund, warum Cybersecurity-Firmen so wenige Frauen in ihren Teams haben?

Rossi: Es ist eine sehr männlich dominierte Branche. Auf der einen Seite sollte man verstärkt Mädchen fördern, motivieren und unterstützen, sich in dieser Richtung zu bilden. Auf der anderen Seite kann ich es auch verstehen, wenn man als Mutter zögert, sich in einer überwiegend männlich besetzen Firma zu bewerben. Verstehen meine Kollegen zum Beispiel, dass ich Pflegeurlaub brauche, wenn mein Kind krank ist, dass ich Grenzen setzen muss, um auch Zeit für meine Kinder zu haben? Bei Certitude ist das der Fall. Wir vergrößern uns auch und suchen noch händeringend nach Personal. Ich hoffe, dass sich auch Frauen bewerben! (Natascha Ickert, 16.8.2022)