Sie gilt als Entdeckung dieses Salzburger Sommers: In Barrie Koskys dichter Inszenierung von Janáčeks Operndrama "Kát’a Kabanová" glänzte Corinne Winters in der Titelrolle.

Foto: APA / Barbara Gindl

Krisenmanagement in Salzburg? Da gibt es noch viel Luft nach oben. Links Intendant Markus Hinterhäuser, neben ihm die neue Präsidentin Christina Hammer. Mit im Bild: der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Von einem Tag auf den anderen war man politisch gefordert: Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine standen in Salzburg nicht mehr künstlerische Fragen im Vordergrund, sondern die engen Bande mit Kunstschaffenden und Sponsoren, deren Rolle im Einflussbereich Putins alles andere als klar erschien. Vor allem rund um den graeco-russischen Dirigenten Teodor Currentzis entspann sich eine Debatte, die Intendant Markus Hinterhäuser anfangs über den Kopf wuchs.

Als dann auch noch einer der Sponsoren, das Bergwerksunternehmen Solway, Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen bezichtigt wurde, schlitterten die Festspiele in den Krisenmodus. Darauf war man im ersten Jahr ohne Helga Rabl-Stadler alles andere als vorbereitet.

Verzahnung von Kunst und Geld

Schlimmer noch: Es war justament das System selbst, das die ehemalige Festspielpräsidentin perfektioniert hatte – also die enge Verzahnung von Kunst und Geld –, das seine mehr als problematischen Seiten offenbarte. Von der neuen Präsidentin, Marketingfrau Christina Hammer, waren keine Hilfestellungen zu erhoffen, ihre Verbindungen zu internationalen Konzernen waren im Gegenteil wohl der Grund, warum sie bestellt wurde.

Statt zu "agieren", wie der Intendant im ersten Schreck verkündete, tauchte man unter – beziehungsweise verzog sich ins Schmolleck. Gutes Krisenmanagement schaut anders aus, und es kann wohl nur von Glück gesprochen werden, dass es vor allem rund um das Engagement von Teodor Currentzis nicht zu größeren Eruptionen kam.

Tritt fasste man in Salzburg erst wieder mit der Eröffnungsrede von Ilija Trojanow, der den Festspielen die dringend notwendige intellektuelle Schützenhilfe verpasste: Der Eindimensionalität der Politik müsse man die Vielstimmigkeit von Kunst gegenüberstellen. So abgegriffen das klang, so hilfreich war Trojanows Überbau, den Tanker Festspiele sicher durch die heißen Sommerwochen zu navigieren.

Aushängeschild Currentzis

In Hinterhäusers Programm ist Currentzis schließlich nichts weniger als das Aushängeschild und dessen Zusammenarbeit mit dem italienischen Regisseur Romeo Castellucci eines jener Highlights, deren Festspiele so dringend bedürfen. Dass justament Castellucci von der V-A-C Foundation des russischen und von manchen Ländern sanktionierten Oligarchen Leonid Michelson fürstlich gesponsert wird, wischte man großzügig zur Seite.

Die Programmatik des Intendanten, ungewöhnliche künstlerische Paarungen zu ermöglichen, sollte sich denn auch heuer bewähren: Wobei es in diesem Festspielsommer vor allem einige sängerische Leistungen waren, die herausstachen. Inszenatorisch war dagegen – abgesehen von Castellucci – wenig Aufregendes zu sehen.

In Barrie Koskys dichter Inszenierung von Janáčeks Operndrama Kát’a Kabanová glänzte Corinne Winters. In Romeo Castelluccis bilderstarkem Bartok/Orff-Tandemabend überzeugte Aušrinė Stundytė als Judith. Christof Loys wie immer prägnante Regiehandschrift bot wiederum bei Puccinis Il Trittico Asmik Grigorian Gelegenheit, ihre Qualitäten als Sängerdarstellerin zu entfalten, die sie einst Salzburger Salome zum Star werden ließ.

Beharrlichkeit

Wer das vokale Niveau der Bayreuther Festspiele beim neuen Ring mit dem der Salzburger Premieren verglich, konnte nur von einem Kantersieg der Mozartstadt sprechen. Mit der Idee, nicht vollständig gelungenen Inszenierungen eine zweite Chance zu geben, hat Intendant Markus Hinterhäuser übrigens die Werkstattmethode Bayreuths aufgegriffen. Das hat bei der Zauberflöten-Inszenierung von Lydia Steier, die auch 2018 ihre Qualitäten hatte, zur Reduktion der Ideenüberfülle geführt. Und wenngleich die Aida in der Regie von Shirin Neshat jene Schwächen, die sie vor Jahren aufwies, nicht beseitigen konnte, war es eine gute Idee, diese ganz eigene, auch weibliche Sicht auf Krieg und Gewalt zu präsentieren.

Man sieht: Die Beharrlichkeit, mit der man in Salzburg am eigenen Kurs festhält, betrifft auch die ästhetischen Entscheidungen. Deren Niveau war bisher die Stärke von Hinterhäusers Konzept. In Hinkunft könnte dieses aber auch zu Routine auf hohem Niveau führen, zum Gefühl, durch das Festhalten an hochkarätigen alten Bekannten wären die Festspiele in gewissen Sichtweisen einzementiert. Da wird man über eine Durchlüftung nachdenken müssen, um wieder als ein Ort der Überraschung und Vielfalt zu punkten. Das betrifft auch den Konzertbereich, der im Detail raffiniert konzipiert war.

So bedauerlich es etwa war, dass Klavierstar Evgeny Kissin absagen musste, so belebend war es, dass Yuja Wang einsprang und neben den Dauergästen Grigory Sokolov oder Arcadi Volodos eine individuelle Note einbrachte.

Schwaches Schauspiel

Und das Schauspiel? Hier fällt die Bilanz weitaus durchwachsener aus. Die Entdeckung der Marieluise Fleißer für die Gegenwart blieb auf der Halleiner Pernerinsel hinter hochgesteckten Erwartungen zurück. Regisseur Ivo van Hove schnürte in Ingolstadt zwei Texte zum fernsehtauglichen Plot. Ein junges Ensemble verausgabte sich in einer fulminanten Bühnen-Wasserschlacht, nur wofür? Verrückt nach Trost war dagegen ein Fest für vier überragende Schauspieler von einer Qualität und Sorgfalt, wie man sie hierzulande selbst an den ersten Häusern lange schon entbehrt. Bei Thorsten Lensing vergehen zwischen zwei Produktionen oft Jahre. In Salzburg sorgte der Regisseur für ein einsames Schauspiel-Highlight.

Auch die Neudeutung des Iphigenie-Stoffes durch Regisseurin Ewelina Marciniak geriet zum Flop, ebenso die Überschreibung von Schnitzlers Reigen, die von gleich zehn Autoren vorgenommen wurde. Einer der neuen Dialoge hatte es allerdings in sich: Im Beitrag des russischen Autors Mikhail Durnenkov erklärt ein Sohn seiner Mutter, warum er das Land verlassen werde. Zumindest für einen Moment hatte man das Gefühl, dass man sich auch in Salzburg den Fragen der Gegenwart stelle. (Stephan Hilpold, Ljubisa Tošic, Uwe Mattheiss, 20.8.2022)