Gestern Baugruppe, heute Wohnfreunde im Vorstadthaus Breitensee: im Bild drei der insgesamt neun Haushalte der Wohngruppe, die sich auch um die Pflege der Dachterrasse kümmert.

Foto: Czaja

Sechster Stock, wir sitzen unter der Pergola, am Horizont die Otto-Wagner-Kirche am Steinhof. "Das ist zwar eine klassische Gemeinschaftsterrasse mit Sitzmöbeln und Blumenbeeten", sagt Stephan Gruber, "aber wir als Baugruppe haben mit dem Bauträger einen Rahmenvertrag geschlossen und darin vereinbart, dass wir uns um die Pflege und Instandhaltung kümmern, sodass hier ein angenehmer Wohlfühlort für alle entsteht. Und ich glaube, das ist uns gelungen. Vor allem hier bei uns auf der sechsten Etage fühlt es sich an, als würde man an einer kleinen Dorfstraße leben. Jeder kennt jeden, die Kids können einfach irgendwo anklopfen, wenn sie spielen wollen."

Stockwerks-Enklave

Gruber, 39 Jahre alt, Lektor und Übersetzer, ist Sprecher des Vereins Vorstadthaus Breitensee und wohnt mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Wiens einziger Baugruppe, die nicht ein ganzes Wohnhaus für sich beansprucht, sondern sich als Stockwerksenklave in ein gefördertes Wohnhaus hineinintegriert: 22 Menschen zwischen Baby- und Pensionsalter, verstreut auf neun Wohnungen, das Berufsspektrum umfasst Sozialarbeit, Pädagogik, Psychotherapie sowie Fahrradmechanik für den Kalorienschwund und Konditormeisterei für das Gegenteil davon.

Auch der STANDARD-Datenjournalist Moritz Leidinger hat hier ein Zuhause gefunden. Von der Dachterrasse kann man ihm direkt ins Wohnzimmer reinschauen, aber das, sagt er, störe ihn gar nicht. Sei halt ein bissl holländisch.

Ein Buch gab den Ausschlag

Die erste Idee, eine eigene Baugruppe zu gründen, reicht ins Jahr 2017 zurück. Ausschlaggebend war ein Buch über Wohnen in Gemeinschaft. "Ich habe mich in meinem Bekanntenkreis umgehört", erinnert sich Stephan Gruber, "und es hat sich herausgestellt, dass sich einige von uns nach so einem gemeinschaftlichen Wohnen abseits großstädtischer Anonymität durchaus sehnen. Es ist ein Wohnen, bei dem man den Nachbarn nicht nur vom Milch- und Eier-Ausborgen kennt, sondern auch mal spontan beschließt, gemeinsam ins Freibad schwimmen zu gehen." In der Zwischenzeit sind im Vorstadthaus Breitensee Freundschaften entstanden.

"Wir haben bereits einige Erfahrungen mit Baugruppen machen können", sagt Michael Gehbauer, Geschäftsführer der gemeinnützigen Wohnbauvereinigung für Privatangestellte (WBV-GPA), "und ich halte diese Form selbstbestimmten und mitgestaltenden Wohnens im Rahmen des sozialen Wohnbaus für sehr wichtig. Daher habe ich mich sehr gefreut, dass die Baugruppe auf uns zugekommen ist."

Das Stadtentwicklungsprojekt auf dem Areal der ehemaligen Theodor-Körner-Kaserne war damals gerade in Arbeit, im Wettbewerb und im städtebaulichen Vertrag wurde auch eine Baugruppe gefordert. "Es hat einfach alles zusammengepasst", so Gehbauer.

Mitreden bei Grundrissen

Rechtlich fügt sich die Baugruppe, die sich selbst eher als Wohngruppe versteht, "denn gebaut hat ja zum Glück die WBV-GPA" (Gruber), auf recht simple Weise ins bestehende, gefördert errichtete Wohnhaus namens Rosalie. "Den ganzen sechsten Stock haben wir für die Baugruppe reserviert, die als Kollektiv in den Planungsprozess involviert war und auch einige spezifische Wünsche zur Grundrissgestaltung hatte", erklärt Gehbauer. "Die Mietverträge aber haben wir – wie mit allen unseren Mieterinnen und Mietern – einzeln abgeschlossen." Die einzige rechtliche Besonderheit ist ein Rahmenvertrag, in dem die Pflege von Dachterrasse, Kinderspielraum und gemeinschaftlichen Einrichtungen festgehalten wurde.

"Eine integrierte Baugruppe hat eine hohe soziale Vorbildwirkung", so Gehbauer, "denn so kann die Energie der wenigen 22 Menschen aufs ganze Haus ausstrahlen." Und der Mehraufwand? "In den Baukosten kaum ein Unterschied, auf Bauträgerseite ist es eher ein gewisser Kommunikations- und Koordinationsaufwand. Am Ende ist es eine gute Investition in eine nachhaltige Immobilie." (Wojciech Czaja, 9.9.2022)