Der Unternehmer Heinrich Staudinger beim Interview mit dem STANDARD im Wiener Café Eiles.

Foto: Robert Newald

STANDARD: Wie sah ein typischer Tag von Ihnen aus, bevor Sie kandidiert haben?

Staudinger: Arbeitsreich. Mein Lebensmittelpunkt ist Schrems im Waldviertel. Dort haben wir eine Schuhwerkstatt, Taschenwerkstatt, Matratzenwerkstatt, Möbelentwicklung, Seminarbetrieb und ein Wirtshaus. Das ist ein buntes, aber arbeitsreiches Feld.

STANDARD: Das klingt ausgefüllt. Woher kommt die Idee, Bundespräsident werden zu wollen?

Staudinger: Es hat im Frühling ein Treffen mit der Gruppe "Zukunft jetzt" gegeben. Da waren der Felix Gottwald (Sportler, Anm.), der Christian Felber (Ökonom) und die Christine Bauer-Jelinek (Beraterin). Dort gab es die Idee, dass man durch eine Kandidatur wichtige Themen auf eine Bühne hebt. Die Regionalisierung der Wirtschaft, der Felber nennt das die Gemeinwohlwirtschaft, der faire Handel, weil wir lassen einen Handel zu, der alle Gesetze der Fairness hinter sich lässt und mehr schaut, wo es um einen Groschen billiger ist. Mit der Folge, dass zum Beispiel nur mehr 30 Prozent vom Brot in den Supermärkten mit österreichischem Getreide gemacht werden. Ich sag jetzt nicht alles, was ich mir denke. Dieser europäische Gleichklang, der neoliberale Wahnsinn. Wo sitzt da die zentrale Lenkungseinheit?

STANDARD: Wo denn?

Staudinger: Wir haben jetzt etliche Sachen erlebt, wo man nur so staunt und sich fragt, wie das geht, dass es europaweit im Ukraine-Krieg nur einen Scheinwerfer gibt. Wir waren immer so stolz darauf in Österreich, dass verschiedene Meinungen auf einem Tisch hart diskutiert wurden, etwa im "Club 2". Jetzt wird man zu einer Einheitsmeinung vergattert.

STANDARD: Wie vergattert man Sie? Sie werden doch überall interviewt.

Staudinger: Wie mich der Martin Thür in der "ZiB 2" behandelt hat, weil ich im Ukraine-Krieg anderer Meinung bin als er, das war wie ein Erschießungskommando.

STANDARD: Wie haben Sie empfunden, dass er Sie behandelt hat?

Staudinger: De facto wie einen Idioten, der glaubt, dass man den Krieg mit Friedensappellen beeinflussen kann. Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass die Kriegstreiber das nicht wollen. Und es gibt auch nicht den geringsten Zweifel, wer der große Sieger in diesem verdammten Krieg ist: die Waffenindustrie.

STANDARD: Und wer ist der große Aggressor für Sie?

Staudinger: Da gibt es zwei. Der eine heißt Putin, und der andere heißt Nato. Die sich seit 1990 einen Scheißdreck um das gekümmert haben, was nach dem Mauerfall vereinbart worden ist. Die Nato hat ein Rüstungsbudget von 120 Millionen Dollar pro Stunde. Das wollen sie jetzt auf 150 Millionen Dollar pro Stunde erhöhen. Das ist obszön.

STANDARD: Wir haben viele Geflohene aus der Ukraine in Österreich. Was sagen Sie denen?

Staudinger: Ich sage, wir müssen uns um Fluchtursachen kümmern.

STANDARD: Die Fluchtursache dieser Menschen ist der Überfall Putins. Sagen Sie denen nicht: Wir sind auf eurer Seite und helfen euch?

Staudinger: Wir brauchen offene Herzen. Wir haben in der Firma Asylanten aus Syrien, aus Eritrea, aus dem Kongo, aus Afghanistan. Ich bin wahnsinnig froh, dass wir sie haben, sie sind unglaublich motiviert, ihren Beitrag in unserer Gesellschaft zu leisten, und ich möchte eigentlich, dass Flüchtlinge aus diesen Ländern gleichgestellt werden mit Flüchtlingen aus der Ukraine.

STANDARD: Sie haben sich vor Jahren von vielen privaten Darlehensgebern Geld geborgt, damit gegen geltendes Recht verstoßen und sich mit der Finanzmarktaufsicht angelegt. Würden Sie das wieder tun?

"Die größte Gemeinheit überhaupt sind die Privilegien der Konzerne", sagt Staudinger.
Foto: Robert Newald

Staudinger: Selbstverständlich. Eine völlig vertrauensunwürdige Saubande wie die Banker haben sich mit ihrer Lobbykraft, obwohl sie Milliarden und Abermilliarden versenkt haben, ein Gesetz bewahren können, damit sie die Einzigen sind, die ein Geld haben und verborgen dürfen. Die größte Gemeinheit überhaupt sind die Privilegien der Konzerne. Die zahlen fast keine oder gar keine Steuern und zerstören die ganze Regionalwirtschaft zum Nutzen weniger und zum Schaden aller.

STANDARD: Zurück zu Ihrer Kandidatur. Sie wollen also gar nicht ins Amt, es geht rein um eine Kampagne?

Staudinger: Lass ma die Kirche im Dorf, Präsident wird der Van der Bellen. Aber unsere Gruppe hat gesehen, dass er diese Themen nicht mit Nachdruck auf die Bühne bringt. Da hat's die Idee gegeben, dass der Felix Gottwald oder der Heini antreten. Es war spannend, ob wir die Unterschriften zusammenkriegen.

STANDARD: Was machen Sie, wenn Sie überraschend gewählt werden?

Staudinger: Meine Aufgabe ist, die Vorwahlzeit zu nutzen, dass die Themen Welterschöpfungstag, regionale Wirtschaft, Armut und Gerechtigkeit in den Fokus kommen. Wissen Sie, was die größte Gruppe der Armen in Österreich ist?

STANDARD: Ja. Alleinerziehende Frauen. Aber was, wenn man Sie wirklich ins Amt wählen würde?

Staudinger: Dann würd ich sagen, mindestens jedes Monat wird eine Gruppe von Betroffenen in die Hofburg eingeladen, um ihnen eine Bühne zu geben.

STANDARD: Würden Sie Staatsbesuche wahrnehmen?

Staudinger: Sicherlich. Können Sie bitte dazuschreiben, wohin die erste Auslandsreise gehen würde? In den Kongo. Da war ich 1973 mit dem Moped. Auf Durchreise von Oberösterreich nach Tansania. Wir sind dort wie die Könige behandelt worden. Wir haben kein Geld gebraucht, weil wir jeden Tag Nutznießer der unglaublichen Gastfreundschaft der Leute waren. Aber sie haben ein Pech: Sie sitzen auf unglaublich reichen Bodenschätzen. Das hat Millionen Leben gekostet.

STANDARD: Was wollen Sie dort als österreichisches Staatsoberhaupt tun?

Staudinger: Wir sind eine Menschheitsfamilie, und damit werden wir uns eines Tages auseinandersetzen müssen. Dass im Kongo jetzt Leute hungern, ist ein Skandal. Die Bergbaukonzerne verfügen über so viel Geld, holen Lebensmittel aus aller Welt zu Preisen, dass die regionalen Bauern nicht mehr arbeiten können. Deswegen hungern die. Ich will die europäische Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, weil wir Nutznießer der Rohstoffe dort sind.

STANDARD: Also wollen Sie international und in Österreich den Scheinwerfer auf Probleme richten?

Staudinger: Absolut.

STANDARD: Haben Sie einen Betriebsrat in Ihren Unternehmen?

Staudinger: Es hat immer wieder Bemühungen gegeben vonseiten der Belegschaft. Aber wie sich dann herausgestellt hat, dass das eine nennenswerte Hackn ist, haben sie die Hackn wieder sein lassen. Das war das erste Mal 1998 oder so.

STANDARD: Sie haben aber diese Bemühungen nicht behindert?

Staudinger: Nie und nimmer. Man kann keinen Betriebsrat verbieten.

STANDARD: Man könnte damit drohen, Leute hinauszuwerfen, die in diese Richtung initiativ werden.

Staudinger: Wir sind in Schrems jetzt 170 Leute insgesamt. Auf jeden Fall haben wir niemals einen Betriebsrat verhindert.

STANDARD: Also kann es sein, dass Sie in Zukunft einen haben werden?

Staudinger: Ja, selbstverständlich.

STANDARD: Danke für das Interview.

Staudinger: Eins noch: Kennen Sie "Imagine" von John Lennon?

Mit seinen Träumen sei er nicht allein, sagt Staudinger frei nach John Lennon.
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STANDARD: Freilich.

Staudinger: Meine Übersetzung vom Refrain heißt: Mag schon sein, dass du jetzt sagst, ich sei ein Träumer. Mit diesen Träumen aber bin ich nicht allein. Und eines Tages, hoffe ich, wirst du einer von unserer Träumergruppe sein. (Colette M. Schmidt, 20.9.2022)