Ich werde nicht müde, dem immer wieder gehörten Spruch "Unsere Politiker sind doch das beste Kabarett" mit dem Einwand "Das ist kein Kabarett, denn es gibt einen Unterschied zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Komik" zu entgegnen. Dennoch muss ich zugeben: Das bloße Zitieren heimischer Spitzenpolitiker auf Kabarettbühnen kann große Heiterkeitsausbrüche im Publikum auslösen. Dies durfte ich jüngst wieder erleben, als ich eine Wortmeldung von Gerhard Karner – nach Ernst Strasser und Wolfgang Sobotka der dritte aus der niederösterreichischen Landespolitik ins Innenministerium abgeschobene Problembär – aus einem Interview im STANDARD vorlas: "Wissenschaft ist das eine, Fakten sind das andere."

Eine These von verblüffender Durchgeknalltheit, aber kann es sein, dass wir die dahinterstehende Absicht nicht erkannt haben? Eine diesbezügliche Spur verdanken wir der ÖVP Tirol.

Ein Wahlplakat der ÖVP für die Tiroler Landtagswahl.
Foto: APA/BARBARA GINDL

Logik und Mathematik gelten als Grundlagen der Wissenschaft. In der Schule lernen wir: Wenn A eine Teilmenge von B und B eine Teilmenge von C ist, ist A auch eine Teilmenge von C. Die Tiroler Volkspartei versucht dieses Gesetz nun mit folgender Erkenntnis zu widerlegen: Die Tiroler Jungbauernschaft ist Teil des ÖVP-Bauernbundes, der ÖVP-Bauernbund ist Teil der ÖVP, die Tiroler Jungbauernschaft ist aber kein Teil der ÖVP. Daraus folgt das Faktum, dass die Jungbauernschaft rund 800.000 Euro zu Unrecht kassierte Corona-Hilfe nicht zurückzahlen will.

Und das ist nicht die einzige Auflehnung gegen Paradigmen der Wissenschaft bei den Tiroler Schwarzen. Als Rebell gegen Gesetze der Mengenlehre hat sich auch der an sich vielen Gesetzen gegenüber skeptische Seilbahnen-Pate Franz Hörl profiliert. Seine in einem TV-Interview vorgebrachte These "Wir regieren seit dem Zweiten Weltkrieg dieses Land. Uns gehört die Tiwag, uns gehört die Wohnbauförderung, uns gehört die Hypo-Bank" stellt die bisher vorherrschende Lehrmeinung, die ÖVP sei ein Teil von Tirol, infrage und die Möglichkeit, dass es sich genau umgekehrt verhält, in den Raum.

Wissenschaftsabweisender Kurs

Auch der zweitmächtigste Mann im Bundesland, Anton Mattle, versuchte sich an neuartigen wissenschaftlichen Zugängen. Seine in vielen Wahlreden vorgetragene Erkenntnis, seine Befähigung für das Amt des Landeshauptmannes sei durch seine Fähigkeit, "ein Eis wie ein normaler Mensch zu essen", bewiesen, hat er allerdings durch die Ergänzung, er würde sein Eis löffeln, angreifbar gemacht.

Die auf diese Art vom "normalen Menschsein" ausgenommenen Eisschlecker könnten sich diskriminiert gefühlt und das am Wahltag mit einem lautstarken "Schleckerbätsch!" zum Ausdruck gebracht haben.

Die Reaktionen der ÖVP auf das daraus resultierende Wahlergebnis ("Minus 9,55 Prozentpunkte sind ein Erfolg!") lassen zunächst eine Fortsetzung des wissenschaftsabweisenden Kurses vermuten. Aber das kann sich ändern. Als Konsequenz der Wahl bekommt die Tiroler Volkspartei künftig weniger öffentliche Fördergelder. Nämlich rund 800.000 Euro weniger.

Die ÖVP-Jungbauern könnten also zur Rechtfertigung für das Nichtzurückzahlen ihrer 800.000-Euro-Förderung auf die mathematische Theorie des Nullsummenspiels verweisen.(Florian Scheuba, 29.9.2022)