Nicht immer werden Partei-freundliche Videos direkt von der jeweiligen Partei geteilt. Wer hinter den einzelnen Accounts steht, weiß man oft nicht.

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Ein Beschluss der Regierung mache es "ukrainischen Flüchtlingen möglich, direkt ins deutsche Hartz IV-System einzuwandern", lässt der deutsche AfD-Politiker René Springer auf Tiktok wissen. Er erhält dafür über 200.000 Likes, knapp 38.000 Menschen teilen das Video auf der Plattform. Gesehen haben es natürlich noch weit mehr. Der Politiker Manfred Haimbuchner (FPÖ) stellt in einem aktuellen Video der FPÖ Oberösterreich klar, dass seine Partei nicht ausländerfeindlich sei. "Nur weil man die Wahrheit sagt, ist man noch nicht ausländerfeindlich".

Es sind meist Infragestellungen von Regierungsentscheidungen, aber auch Spitzen gegen diverse Minderheiten, die "uns" was wegnehmen könnten. Bisher war es schwierig, solches Gedankengut bei einem Großteil der Jugendlichen zu verbreiten, aber dann kam vor zwei Jahren die App Tiktok auf den Markt. Die Videoplattform, die vor allem junge Menschen anspricht, wird seitdem immer stärker zu einem beliebten Propaganda-Tool für viele rechte Parteien und generell rechtes Gedankengut. Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung von Minderheiten und Kritik am bestehenden System. Oftmals formuliert als Frage oder mit einem Augenzwinkern in Form eines Smileys. Rechts kann Social Media.

Vor allem rechte Parteien fühlen sich auf dem jungen Medium zuhause.
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Reichweitenstark

"Wenn man einen toten Menschen ausgräbt, dann gibt es nur zwei Geschlechter, die man feststellen kann". Begleitet von Lachsmileys sind Videos dieser Art beliebt auf Tiktok. Vor allem Inhalte von Privatpersonen sprechen selten in aller Deutlichkeit gegen Minderheiten, wie sich das Parteien oftmals trauen. Es wird viel mehr mit Witz und Zweideutigkeit gearbeitet, um niemanden zu verschrecken. Es geht darum, auch politisch Andersdenkende zumindest für die eigene Sache zu interessieren, indem man die vor allem von einer jungen Zielgruppe bevölkerte Plattform mit all ihren Vorteilen nutzt.

Kurze, prägnante Nachrichten, sind der Inhalt von Tiktok, die in einer nicht enden wollenden Welle auf den Nutzer oder die Nutzerin hereinprasseln. Nur selten wird eine Quelle angegeben, stattdessen werden die eigenen Aussagen als Fakten verkauft.

400 Videoschnipsel sieht man in zwei Stunden auf Tiktok, stellte die Non-Profit-Organisation "Media Matters" in einer Studie im Jahr 2021 fest. Rund 100 davon enthielten trans- oder homofeindliche Aussagen. Interagiert man mit Inhalten wie "es gibt nur zwei Geschlechter", landet man laut der Studie ganz schnell bei anderen diskriminierenden Videos. "Die exklusive Interaktion mit Anti-Trans-Inhalten veranlasste TikTok, frauenfeindliche Inhalte, rassistische Inhalte, Anti-Impfstoff-Videos, antisemitische Inhalte, Verschwörungstheorien, Hasssymbole und allgemeinere Gewaltaufrufe zu empfehlen", beschreibt die Studie die "User Journey".

Ein Video wird in der Studie als Beispiel genommen, wie zweideutig diese inszeniert sein können. Im dem Beispiel gibt der Nutzer an zu weinen, parallel zu einem eingeblendeten Text: "50 Prozent der Trans-Personen begehen Suizid. Das erfüllt mich mit ganz viel Traurigkeit", ist dort zu lesen. Als Hintergrundmusik wurde die Passage "We’re halfway there" aus dem Song Livin’ on a Prayer gewählt – was impliziert, dass der Nutzer die Suizid-Rate offenbar noch höher sehen will.

Zweideutigkeit macht das Löschen bestimmter Videos schwieriger.
Foto: Media Matters

Verweilzeit gegen Menschlichkeit

Die Plattform weiß, was Verweilzeit und Reaktionen bewirkt: Emotionale Videos und provokante Aussagen. Vieles, was man bisher vor allem auf der Messengerplattform Telegram zu lesen bekam, dort aber in Gruppen und Kanälen, in die man die Leute erst hineinbringen musste. Tiktok spielt Videos vor allem an neue Zielgruppen aus, die sich für das Thema interessieren könnten. Dabei erreicht die App mittlerweile 1,5 Milliarden Menschen weltweit und kämpft regelmäßig mit Facebook um den Titel meistgeladene App der Welt.

Für TikTok ist diese Doppeldeutigkeit eine Herausforderung. "Wir dulden keine Inhalte, die Hassrede oder hasserfülltes Verhalten beinhalten, und entfernen diese von unserer Plattform", heißt es in den Nutzungsbestimmungen der Plattform. "Hasserfüllte Ideologien sind mit der inklusiven und positiven Community unserer Plattform unvereinbar. Daher entfernen wir Inhalte, die für hasserfüllte Ideologien werben." Dies geschieht allerdings in der Regel langsam, immer wieder erst nach Beschwerden anderer Nutzer.

So sind es vor allem Videos, die der Gewöhnung an Positionen dienen, die die Plattform so problematisch machen. Ein wenig über das "Gendern" witzeln etwa oder amtierende Politiker beim Stottern filmen. Humor als Waffe, die nicht oder nur schwer angezeigt werden kann.

Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen Plattformen wie Tiktok als gedankenanregende Nachrichtenplattform nutzen. Eine Studie aus den USA verriet kürzlich, dass 2020 nur 22 Prozent der erwachsenen Tiktok-Mitglieder regelmäßig in der App Nachrichten konsumierten, heute sind es bereits rund 33 Prozent – Tendenz weiterhin steigend. Der Einfluss der Plattform und seinen Algorithmen auf den Nachrichtenkonsum der US-Bevölkerung dürfte jedoch noch deutlich größer sein und in der Zukunft weiter stark ansteigen: Neben 136,5 Millionen erwachsenen Nutzerinnen und Nutzern verwendeten laut "Forrester" im vergangenen Jahr auch 61 Prozent der Zwölf- bis 17-Jährigen in den USA die Kurzvideoplattform.

15 Sekunden Ruhm

Immer wieder finden sich Videos von dem Audio-File "Teddy" unterlegt: "Die industrielle Revolution und ihre Konsequenzen sind ein Desaster für die menschliche Rasse". Das File referenziert auf das Manifest des "Unabombers" Ted Kacznskis aus dem Jahr 1978. Damals ermordete der Mann drei Menschen und verletzte 23 andere mit selbstgemachten Bomben. In der rechten Tiktok Bubble werden damit regelmäßig Videos unterlegt, die eine Montage von Screenshots zeigen. Jeder Screenshot steht dabei für einen LGBTQ-Streamer. "Diese Videos sind nicht nur eine Hommage an einen Terroristen, sie promoten auch LGBTQ-Tiktoker zu belästigen", schreibt "Media Matters". Doppelt verwerflich, konnte die Aufdecker-Plattform zudem beweisen, dass immer wieder Bauanleitungen für Bomben auf Tiktok zu finden waren.

So scheint eine der erfolgreichsten Apps der Welt machtlos gegen die zunehmende Propaganda-Maschine des rechten Randes zu sein. Ein Phänomen, das man vor vielen Jahren bereits der Video-Plattform Youtube zuschrieb, das ebenfalls viel von jungen Menschen konsumiert wird. Geändert hat sich seitdem wenig und es bleibt zu hoffen, dass irgendwann Regelungen eingeführt werden, die solch eine Propaganda auf Social Media Plattformen ein für alle mal einen Riegel vorschieben. (aam, 26.10.2022)