Im Gastblog berichtet Planetenforscherin Ludmila Carone über die Arbeit mit dem bisher größten Weltraumteleskop. 

Es ist jetzt dreieinhalb Monate her, als das James Webb Space Telescope (JWST), am 12. Juli diesen Jahres das erste Mal zeigte, was es kann: Mit seinem einzigartigen, scharfen Infrarot-Blick nimmt das neue Weltraumteleskop die ältesten Galaxien ins Visier und ermöglicht die detaillierte Untersuchung der Atmosphären von Welten außerhalb unseres Sonnensystems. In der Zwischenzeit passierte einiges.

Komplexe Maschine, komplexer Lernprozess

Bei jeder neuen, komplexen Maschine müssen die Forscherinnen und Forscher erst lernen, was die Eigenarten dieser Maschine unter echten Operationsbedingungen sind. Das trifft auch hier zu. JWST ist nicht nur eine mächtige, sondern auch eine recht komplexe und einzigartige Maschine: Sein Primärspiegel, der das Licht aus den Tiefen des Weltraums sammelt, hat einen Durchmesser von 6,5 Meter und musste beim Start zu einem kompakten Origami zusammengefaltet werden, damit es überhaupt in die Rakete passte. Das Hubble-Weltraum-Teleskop mutet dagegen mit seinem Spiegel von 2,4 Metern Durchmesser geradezu winzig an. Der Spiegel des JWST musste im Weltall zudem fehlerfrei entfaltet werden – inklusive der Lagen, welche das Sonnensegel bilden.

James Webb Space Telescope (JWST)

Da das JWST im Infrarot operiert, das heißt Wärmestrahlung beobachtet, muss die größte Wärmequelle im Sonnensystem – die Sonne selber – mit einem "Sonnenschirm" ausgeblendet werden. Selbst das schärfste Teleskop kann nichts sehen, wenn es von der Sonne geblendet wird. Weiters muss das Teleskop auf eine äußerst frostige Betriebstemperatur von unter minus 223 Grad Celsius abgekühlt werden, damit die Eigenwärme nicht die Messungen überlagert. Die Bordelektronik benötigt aber plus 20 Grad Celsius für den optimalen Betrieb. Das heißt, es bedarf einer Wärmeregulierung an Bord. Es gibt also einige technische Herausforderungen, für die die Test-Phasen nach dem Start des Teleskops gedacht waren - das sogenannte "Commissioning".

Der Teufel liegt im Detail

Aber wie das so ist, Test-Phasen können zuerst einmal "nur" größere Fehler erkennen und überprüfen, ob alles den Erwartungen entsprechend funktioniert. Das Instrumente-Team hat auch im Juli immer wieder betont, dass noch nicht alle Kinderkrankheiten vorübergegangen sind und es etwas dauern könnte, bis die höchste Genauigkeit erreicht wird. Das Zauberwort heißt hier "Kalibrierung", was man sich als eine Art "Eichung der Infrarotstrahlungsmenge" vorstellen kann. Und diese dauert einfach; gut Ding braucht eben Weile. Wenn man an der Grenze des Machbaren und bereits Bekannten forscht, können Fehler von zehn Prozent einiges ausmachen.

Manche Kolleginnen und Kollegen wollten aber nicht auf weitere Kalibrierungen warten und verkündeten bereits Mitte Juli, die bislang ältesten bekannten Galaxien mit JWST gefunden zu haben. Aber bereits zwei Wochen später musste das Alter dieser Entdeckungen mit neu geeichten Daten hochkorrigiert werden. Im Drang, Neues zu entdecken, wird manchmal die gebotene Vorsicht über Bord geworfen. Letztendlich obsiegen meist die vorsichtigen Stimmen und es werden zuverlässigere Erkenntnisse produziert. Zu diesen durchaus zu erwartenden Schnellschüssen gesellte sich leider eine unliebsame Überraschung.

Launch Pad Astronomy

Ein Rad im Getriebe mit zu viel Reibung

Am 29. August wurde bekannt gegeben, dass bei MIRI, dem europäischen Mid-InfraRot-Instrument auf JWST, unerwartet hohe Reibungswerte gemessen wurden. MIRI beobachtet besonders langwelliges Infrarot-Licht (5 bis 28 Mikrometer). In diesem Instrument sind "Räder" eingebaut, mit denen man verschiedene Wellenlängenbereiche in verschiedenen Auflösung einstellen kann. Und eine dieser Einstellungen, "MRS" (Mid Resolution Spectrograph, also Spektrograph mit mittlerer Auflösung), scheint ein wenig zu klemmen.

Da das JWST weit weg von der Erde in einem der so genannten Lagrange-Punkte fliegt, ist es unmöglich MIRI zu reparieren, falls sich das Rad in diesem Modus ganz verklemmen sollte. Deswegen operiert die Erdbasis am Space Telescope Science Institute hier extrem konservativ und hat angeordnet, jede Messung im MRS-Modus erst einmal aufzuschieben. In der Zwischenzeit diskutieren die Ingenieurinnen und Ingenieure weltweit alle möglichen Szenarien sowie Lösungsansätze und spielen sie mit Modellen des Instruments in ihren Laboren durch. Wir sind aber sehr zuversichtlich, dass das Problem bald behoben sein wird.

Zum Glück ist nur ein Modus des MIRI-Instruments betroffen und nicht genau der "LRS"-Modus (Low Resolution Spectrograph), ein Spektrograph mit niedriger Auflösung, den wir in der Exoplaneten-Forschung verwenden, um den molekularen Fingerabdruck des Materials zu finden, aus dem die Wolken in Exoplaneten bestehen. Wir haben am Institut für Weltraumforschung diverse Szenarien am Computer für heiße Gasriesen -  riesige Planeten ähnlich wie Jupiter und Saturn, die vor allem aus Wasserstoff und Helium bestehen - mit 1000 Grad Celsius durchgerechnet. Diese Wolken sollten aus kondensierten Silikaten (Glas, Edelsteine) oder anderen exotischen Materialien bestehen, die in dem Wellenlängen-Bereich, in dem MIRI misst "aufleuchten" sollten - bei etwa zehn Mikrometer. Noch stehen diese Messungen aus, sind aber definitiv in der Planung für diverse heiße Planeten.

Mögliche Wolkenhöhen und -zusammensetzungen für Temperaturen, die auf heißen Jupitern üblich sind.
Foto: UC Berkeley, Peter Gao

Kohlendioxid im Exoplaneten WASP-39b?

Aber auch in den Aufnahmen vom Gasriesen WASP-39b in den kürzeren Wellenlängen (ein bis fünf Mikrometer) sieht man mit anderen Instrumenten auf JWST einiges. Wir sehen sogar mehr als erwartet. Es wurde bereits gemeldet, dass man in diesem 1000 Grad Celsius heißen Planeten, Kohlendioxid entdeckt hat.

Erster eindeutiger Beweis für Kohlendioxid auf einem Planeten außerhalb des Sonnensystems.
Foto: NASA/ESA/CSA/Leah Hustak & Joseph Olmsted

Dieses CO2 deutet einfach nur auf heiße Kohlenstoff-Chemie hin, wie sie etwa in einem Verbrenner-Motor stattfindet. Mit Leben hat das weder in der Atmosphäre des heißen Gasriesen noch im Motor erst einmal nichts zu tun. Wenn man sich das bislang veröffentlichte WASP-39b-Spektrum allerdings genau anschaut, dann fällt auf, dass da ein kleiner Hügel vor dem CO2-Fingerabdruck im Spektrum zu sehen ist.

JWST-Spektrum für den heißen Gasriesen WASP-39b
Foto: Eva-Maria Ahrer et al.

Stay tuned

Was bedeutet dieser Hügel? Dazu darf ich derzeit (noch) keine Angaben machen. Nur so viel sei verraten: Es kam für fast alle Exoplaneten-Forschenden unerwartet. Zum Glück stellte sich heraus, dass die Forschung in unserem eigenen Sonnensystem den Schlüssel für dieses Rätsel bereithielt.

Das ist für mich das Schöne an der Atmosphären-Forschung. Auch wenn wir fremde Welten außerhalb unseres Sonnensystems untersuchen, so sind die grundlegenden physikalischen und chemischen Gesetze auch dort gültig. Sie spielen sich "nur" in einem anderen Kontext ab als in unserem Sonnensystem: Es gibt bei uns eben keine 1000 Grad heißen Gasriesen. Diese ganz anderen Eigenschaften von extrasolaren Planeten machen sie zu "Laboren", in denen wir chemische Prozesse studieren können, die bei uns auf der Erde nur unter großem Aufwand produziert werden können. Von Exoplaneten lernen, heißt daher immer auch für unser Sonnensystem zu lernen – und somit für unsere Erde. Oder auch umgekehrt. (Ludmila Carone, 14.11.2022)

Künstlerische Darstellung von JWST
Foto: ESA/ATG medialab

Ludmila Carone ist Planetenforscherin am Institut für Weltraumforschung in Graz und Mitglied der Gruppe "Exoplaneten: Wetter und Klima" von Prof. Dr. Christiane Helling. Sie studierte Physik an der Universität Bonn und promovierte in Geophysik an der Universität zu Köln. In ihrer aktuellen Forschungsarbeit erstellt sie 3D-Klima-Modelle von extrasolaren Planeten.

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