Steigende Energiekosten, Lohnerhöhungen, teure Sachmittel: Die Universitäten sind in finanziellen Nöten. Doch gehört werden ihre Hilferufe von der Regierung nur bedingt. Am vergangenen Montag rief die Technische Universität Wien deshalb zur Demo auf. Am Dienstag werden die Unis in Graz für mehr Geld protestieren.

Unterstützung erhielten die Hochschulen am Sonntag von der grünen Wissenschaftssprecherin und ehemaligen Rektorin der Angewandten, Eva Blimlinger. Sie sagte im ORF-Magazin "Hohes Haus", dass die vom Wissenschaftsminister ausverhandelten 500 Millionen Euro mehr für 2023 und 2024 zu wenig seien. "Es muss zusätzliches Geld her", erklärte Blimlinger.

Die TU-Rektorin und Chefin der Universitätenkonferenz, Sabine Seidler, droht aber bereits mit dem nächsten Schritt: Sie will ihre Uni für zwei Wochen zusperren.

"Wir haben keine klassische Situation zurzeit, sondern eine sehr herausfordernde. Es ist wichtig, dass die Universität als Ganzes auftritt", sagt TU-Chefin Sabine Seidler.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Vor einer Woche haben die Angehörigen der TU für zusätzliches Geld demonstriert. Sie standen mit dem Megafon in der Hand an vorderster Front. Ist das nicht ein unkonventioneller Schritt für eine Rektorin?

Seidler: Wir haben keine klassische Situation zurzeit, sondern eine sehr herausfordernde. Es ist wichtig, dass die Universität als Ganzes auftritt. So etwas wie vergangene Woche werden wir sicherlich so schnell nicht wieder zusammenbringen.

STANDARD: Gab es schon Reaktionen auf Ihren Protest von der Regierung?

Seidler: Es gab auch auf unseren Aktionstag am Montag null Reaktionen. Aber ich mache weiter.

STANDARD: Aktuell bereiten Sie eine Zwangspause der TU im Dezember vor. Was bedeutet das für Ihre Mitarbeitenden und die Studierenden?

Seidler: Wir bereiten eine Schließung über Weihnachten – von Mitte Dezember bis Mitte Jänner – vor, um Energie zu sparen. Die Studierenden wären formal zwei Wochen betroffen. Was das für Lehrveranstaltungen bedeutet, kann ich noch nicht sagen. Es wird vermutlich virtuelle Lösungen geben. Lehrveranstaltungen, die in Präsenz stattfinden müssen, überlegen wir in einem Gebäude zu clustern. Die Forschenden werden aber stärker betroffen sein, da sie vorlesungsfreie Zeiten nutzen, um in Projekten voranzukommen. Wir werden aber nicht hundert Prozent runterfahren können.

STANDARD: Sie weisen bereits seit Monaten darauf hin, dass die Unis in Geldnot sind. Warum sind Sie nicht gehört worden?

Seidler: Das politische Bewusstsein für diese Notwendigkeiten ist offensichtlich nicht ausreichend ausgeprägt.

STANDARD: Bildungsminister Martin Polaschek war selbst Rektor der Uni Graz. Hätte er das Problem nicht früher erkennen müssen?

Seidler: Herr Polaschek hat zu Beginn dieses Jahres gesagt, das Jammern der Rektoren um Budget sei "Folklore". Muss ich dazu noch mehr sagen? Das Präsidium der Universitätenkonferenz hat am 24. Oktober einen Termin mit dem Minister gehabt. Dort wurde uns erklärt, man wolle sich bemühen, Mittel aufzustellen. Aber wir sehen nicht, dass es dieses Bemühen gibt. Und jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, an dem wir Druck erhöhen müssen.

STANDARD: Laut Ihren Berechnungen fehlen den Unis bis 2024 1,2 Milliarden Euro. Der Bund hat 500 Millionen zugesagt – nicht einmal die Hälfte. Wie weit kommen Sie damit?

Seidler: Unsere Kalkulationen beruhen auf Annahmen. Klar ist: Die 500 Millionen werden nicht reichen, da wir allein aus der Personalkostenentwicklung auf eine Summe kommen, die diese 500 Millionen auffrisst. Und da haben wir noch keine Stromrechnung bezahlt. Trotzdem hilft das Geld natürlich unterschiedlich weiter, und zwar gerade bei kleinen Universitäten, die einen geringeren Energieverbrauch haben.

STANDARD: Die TUs haben hingegen hohe Energiekosten, wie viel kann gespart werden?

Seidler: Wir rechnen mit Mehrkosten von 90 Millionen Euro für Strom und Gas. 20 Millionen Euro davon können wir mit Sparmaßnahmen selbst aufbringen – mehr geht nicht.

STANDARD: Wie spart die Uni konkret im Energiebereich?

Seidler: Unsere Heizperiode haben wir bereits verkürzt. Wir setzen zudem auf bewussten Umgang mit elektrischen Geräten: Jeder kann dazu beitragen, seinen Computer abzudrehen. Aber das bringt uns nicht die Effekte, die wir benötigen. 60 Prozent des Energieverbrauchs liegen in unseren Laboren und deren Infrastruktur. Hier wird es schwierig zu sparen. Ein Beispiel: Wir haben chemische Labore, in denen ständig die Luft gereinigt werden muss, damit keine Schadstoffe in die Umwelt kommen. Das heißt, wir können unseren Energieverbrauch nie auf null fahren.

"Wenn Professuren nicht nachbesetzt werden, leidet das Betreuungsverhältnis. Aber die Auswirkungen auf die Lehre sind vielschichtiger", kritisiert Uniko-Chefin Sabine Seidler.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Die Uni Wien hat einen Aufnahmestopp bei Nachbesetzungen. Wird das auch die TU Wien treffen?

Seidler: Wir besetzen zurzeit nur dringend notwendige Stellen. Wenn nicht mehr Geld kommt, werden wir frei werdende Stellen nicht mehr besetzen können. Das Schlimme ist: Selbst wenn wir jetzt aufhören, Stellen zu besetzen, bekommen wir nicht die Summe zusammen, die uns fehlt.

STANDARD: Der ehemalige Rektor der Uni Wien, Heinz Engl, hat in einem STANDARD-Interview erklärt, durch Einsparungen beim Personal könnte die Reputation der österreichischen Universitäten auf Jahrzehnte zerstört werden.

Seidler: Das sehe ich auch so. In den letzten drei Jahren hatten wir ein Wachstum, haben uns in den Rankings verbessert. Man sieht, dass, wenn man Geld in das System investiert, es interessant wird für hervorragende Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus dem Ausland. Die tragen dazu bei, unsere Reputation zu erhöhen. Wenn wir Stellen nicht mehr besetzen können, sinkt die Attraktivität des Standorts. Es ist eine Abwärtsspirale: Wenn wir anfangen, das System zurückzubauen, wird der Verlust nicht wieder aufzuholen sein.

STANDARD: Was bedeuten Stelleneinsparungen für die Studierenden?

Seidler: Wenn Professuren nicht nachbesetzt werden, leidet das Betreuungsverhältnis. Aber die Auswirkungen auf die Lehre sind vielschichtiger. Dann können auch Tutorenstellen nicht besetzt werden, und das hat natürlich massiven Einfluss auf die Qualität der Lehre – bis hin dazu, dass bestimmte Lehrveranstaltungen gar nicht mehr stattfinden können.

STANDARD: An welchen Rädchen kann man noch drehen?

Seidler: Es gibt für uns neben den Sachmitteln drei Kostentreiber: die Energie, das Personal und die Mieten. Damit sind unsere Möglichkeiten stark beschränkt. Es geht sehr schnell in Richtung Personaleinsparungen.

STANDARD: Die meisten Unigebäude gehören der Bundesimmobiliengesellschaft. Wieso gibt es bei den Mieten kein Entgegenkommen?

Seidler: Die Rahmenbedingungen der Bundesimmobiliengesellschaft und die Gesetzeslage sind nicht ganz simpel. Es gab aber in der Vergangenheit Wege, bei den Mieten zu kalkulieren. Es würde sich jedenfalls lohnen, sich das vonseiten des Ministers gemeinsam mit der BIG anzuschauen.

STANDARD: Wenn Polaschek nichts tut, in wen setzen Sie Ihre Hoffnung auf Rettung: in Finanzminister Magnus Brunner oder Beamtenminister Werner Kogler vielleicht?

Seidler: Es reicht nicht, dass sich nur ein Regierungsmitglied committet. Es braucht die ganze Regierung: beginnend beim Kanzler. Und es darf kein Lippenbekenntnis sein, sondern ein Bekenntnis, das uns aus dieser Situation heraushilft. In Sonntagsreden geht es immer um Wissenschaft und Innovation. Wir haben Nobelpreisträger Anton Zeilinger gefeiert. Aber wenn es ums Geld für die Universitäten geht, haben wir keine Lobby.

STANDARD: In Österreich werden die Unis aus öffentlicher Hand finanziert. Ist das in diesen Krisenzeiten noch zeitgemäß, oder braucht es andere Finanzierungsmodelle?

Seidler: Wir an der TU betreiben bereits Fundraising. Aber in Österreich ist es schon in wirtschaftlich guten Zeiten nicht leicht, Sponsoren zu finden, die bereit sind, ohne Gegenleistung zu unterstützen. In Krisenzeiten ist es noch schwieriger. Der zweite Teil sind Drittmittel. Wenn wir über Drittmittel reden, dann sind das in der Regel Projektmittel, die über Fördergelder ausgeschüttet werden.

"Zum jetzigen Zeitpunkt eine Diskussion über Studiengebühren anzuzetteln halte ich für kontraproduktiv. Die Studierenden sind üblicherweise Niedrigverdienende und dadurch bereits besonders stark von der Teuerung betroffen", betont Sabine Seidler.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Und Studiengebühren?

Seidler: Zum jetzigen Zeitpunkt eine Diskussion über Studiengebühren anzuzetteln halte ich für kontraproduktiv. Die Studierenden sind üblicherweise Niedrigverdienende und dadurch bereits besonders stark von der Teuerung betroffen.

STANDARD: Die Universitäten haben alle – in unterschiedlichen Ausmaßen – Rücklagen. Wird auf diese zurückgegriffen?

Seidler: Ja, das wird es. Aber zu diesen Rücklagen gehören auch gebundene Mittel für Forschungsprojekte. Das heißt: Die Universitäten können nur auf einen geringen Teil davon zurückgreifen. An der TU ist es nur ein kleiner Teil unserer Finanzierungslücke von 175 Millionen.

STANDARD: Die TU Wien schlittert laut Ihnen in die Zahlungsunfähigkeit. Sie sagten: Sollte sich nichts tun, dann könnte es 2024 die TU nicht mehr geben. Gleichzeitig entsteht in Linz eine neue TU. Sollten nicht erst die bestehenden Unis gerettet werden, bevor neue entstehen?

Seidler: Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Universität, die in der Größenordnung 5000 bis 6000 Studierende Mitte der 2030er-Jahre in Vollbetrieb gehen soll, keinesfalls in der Lage ist, die Lücke zu füllen, die eine nicht mehr existierende TU Wien hinterlässt. Wo sollen dann die Industrieunternehmen ihre Mint-Fachkräfte finden, wenn es möglicherweise keine Absolventinnen und Absolventen mehr gibt? (Oona Kroisleitner, 14.11.2022)