Der südlichste Zipfel von Utah wirkt wie von einem anderen Planeten. Eben noch haftete der Blick auf der Restaurantterrasse des Camps, plötzlich gleitet er Sandsteinfelsen hinauf und horizontale rote Linien entlang, die aussehen, als hätte jemand einen riesigen Reißverschluss auf die fast senkrechten Klippen gemalt. In Anbetracht der 20 Millionen Jahre alten Sedimentschichten steigen Demut und Ehrfurcht auf. Den Süden Utahs zu bereisen bedeutet, in ein Land vor unserer Zeit aufzubrechen. In dem riesige Reptilien um die Vorherrschaft rangen – und der Mensch vermutlich nur einen Wimpernschlag lang überlebt hätte.

Beste Gegend für Dinosaurierspuren

Das Camp Sarika mit seinen sonnenuntergangsroten Felsmassiven beschwört Leinwandbilder von einem der aktuell größten Blockbuster herauf – Jurassic World, in dem Dinosaurier mit Killerinstinkt und Wissenschafter mit grabentiefen Gesichtsfalten ums Überleben kämpfen. Sam Neill spielt solch einen Paläontologen, der angesichts der Millionen Jahre alten Felsen den bedeutungsschwangeren Satz sagen darf: "In diesen Steinen steckt die Wahrheit." Und wo befällt den Mann diese philosophische Tiefe? Auf einer Ausgrabungsstätte im US-Bundesstaat Utah – in einer der besten Gegenden der Welt, um nach Dinosaurierspuren und Fossilien zu suchen. Gar nicht weit weg vom echten Camp und seinen Ablenkungen. Jurassic World ist hier, man muss nur danach graben.

Das Amangiri ist so etwas wie der Rückzugsort der amerikanischen Royals. Die Kardashians schauen regelmäßig vorbei, Brangelina waren Gäste, als sie noch verheiratet waren, Apple-Chef Tim Cook kommt hier zur analogen Ruhe.
Foto: Aman Resorts

Der richtige Mann dafür ist Scott Richardson, 66 Jahre, Paläontologieexperte, der immer eine Schaufel in seinem weißen Chevrolet-Jeep hat. Mit dem Wagen holt er Gäste des Amangiri Resort ab, zu dem auch das Camp gehört, und fährt mit ihnen zur Fossilienschnitzeljagd hinaus in die Hochebene. Seit 20 Jahren gräbt er nach Knochen und Überresten, trägt einen breitkrempigen Hut, eine lange Hose und ein langärmliges Hemd, um der größten Gefahr für seine blasse Haut zu begegnen: der unbarmherzigen Sonne.

Der Buckingham Palace wäre neidisch

Ihm sind bereits sensationelle Funde in der Nähe geglückt. Er hat eine bis dato unbekannte Spezies des Entenschnabelsauriers entdeckt sowie "the horniest dinosaur in the world". Man fragt nach, ob er das eben wirklich gesagt hat. Doch, doch, Richardson malt mit seinen Fingern Hörner in die Luft. Missverständnis geklärt. Er meint nicht das vergnügungssüchtigste, sondern das gehörnteste Tier: 15 dieser Waffen krönten das Haupt des nashorngroßen Pflanzenfressers, der sich damit vor seinen Feinden schützte. 2006 hat Richardson die ersten Knochen gefunden, drei Monate hat es gedauert, den Schädel fachgerecht auszugraben, zwei Jahre das gesamte Skelett. Am Ende landete es in der University of Utah und erhielt den Namen seines Finders: Kosmoceratops richardsoni.

Jeden Mittwoch um 17 Uhr hält der Entdecker im Camp einen Vortrag und erläutert die Saurierfunde. Wobei der Name Camp leicht in die Irre führt. Das ist kein Campingplatz mit Gemeinschaftsklos, sondern ein Luxusresort mit Serviceanspruch, der den Buckingham Palace vor Neid erblassen lässt. Zehn aufwendig ausgestattete Zelte (eigene Badelandschaft inklusive) locken seit knapp zwei Jahren Gutverdienende in die Abgeschiedenheit, um sich am Pool zu sonnen, Helikopterausflüge in den Grand Canyon zu buchen, Kletterpartien über wacklige Hängebrücken zu wagen oder einfach nur bass erstaunt diese überirdischen Jahrtausendmassive anzustarren.

Jurrasic World ist hier – man muss nur danach graben.
Foto: Getty Images/iStockphoto/gorodenkoff

Das Amangiri ist so etwas wie der Rückzugsort der amerikanischen Royals. Die Kardashians schauen regelmäßig vorbei, Brangelina waren Gäste, als sie noch verheiratet waren, Apple-Chef Tim Cook kommt hier zur analogen Ruhe. Da das Resort Übernachtungspreise hat, die einem indischen Kleinwagen entsprechen, lauschen gelegentlich die Reichen, Schönen und Diskreten Richardsons Vorträgen. Als er vor einem Jahr wieder die Geschichte von seinem Sensationsfund erzählte, meldete sich aus der hinteren Reihe ein Gast: "Ich hätte auch gern einen Dinosaurier nach mir benannt." Es war der Hollywoodstar Chris Pratt, Hauptdarsteller der "Jurassic World"-Filme.

Blauer Himmel, rote Erde

Im Kino spielt Pratt einen Dino-Bändiger, der den Raubtieren eine Art Choreografie zur Aggressionsvermeidung beibringt. Ob dieser im wahren Leben auch so gut Bescheid wusste über die Tiere? "Nein", sagt Scott Richardson. "Wissen Sie, wer die kundigsten Gäste sind? Die Sechsjährigen." Die kommen auf seinen Touren mit, ein Elternteil im Schlepptau, und fachsimpeln mit dem Experten über Lebewesen, die vor 100 Millionen Jahren dieses Land bevölkerten. Als Richardson in seinen Wagen steigt, fällt ihm sofort ein Beispiel ein. Der Schriftsteller Colson Whitehead feierte 2020 seinen zweiten Pulitzer-Preis mit einem Aufenthalt im Resort, sein kleiner Sohn wusste über Tierarten Bescheid, deren Namen so kompliziert auszusprechen sind wie medizinische Fachbegriffe auf Kroatisch, und pflügte begeistert mit Ausgrabungswerkzeugen durch den Boden. Der Lohn der Mühen: Er fand Fossilien, die älter waren als das mesopotamische Reich.

Richardson hat den Vortrag beendet, dreht sich nun zu den Gästen auf der Rückbank seines Jeeps um und verkündet: "Heute suchen wir nach 95 Millionen Jahre alten Muscheln." Zunächst fährt er durch den kleinen Ort Big Water, in dem er auch lebt. Knapp 500 Einwohner, blauer Himmel, rote Erde, erst Highway, dann Schotterpiste. In der Nähe gibt es ein kleines Museum mit Knochenfunden, ein paar Trailer stehen auf einem Parkplatz, ansonsten erstreckt sich ein Hochplateau bis zum Horizont, aus dem Felsblöcke wie dicke Baumstümpfe herausragen.

In diesem Spielzeugland für Laienforscher braucht man den richtigen Wagen – und genügend Benzin.
Foto: Ulf Lippitz

Es ist trocken und heiß. "Das hier war einmal ein riesiger Sumpf", sagt Scott Richardson. Die Kadaver seien in den Morast abgesunken, dort konserviert worden, später habe sich ein Ozean darüber gelegt und schließlich eine Wüste. Dieser Sedimentmantel habe dafür gesorgt, dass sich bis heute die Überreste so gut erhalten haben, erklärt Richardson. Nur in Argentinien und China gäbe es noch bessere Ausgrabungsbedingungen, sagt er und lenkt den Jeep durch ein fast ausgetrocknetes Flussbett.

Gefährlicher Hochmut

Auf der Rückbank merken die Gäste schnell, dass sie hier nicht wie auf einer Landpartie entspannen können. Das ist der Highway to Hell, mit einer Hand müssen sie sich am Fenstergriff festhalten, mit der anderen auf dem Polster abstützen. In diesem Spielzeugland für Laienforscher braucht man den richtigen Wagen – und genügend Benzin. Scott Richardson erzählt von Deutschen und Italienern, die sich ohne Ortskenntnisse auf dem Weg in die Unwirtlichkeit begeben und nicht selten liegen bleiben. Sie halten das für Urlaubsfolklore, Richardson für gefährlichen Hochmut.

Die Region ist bei Touristen beliebt, weil fünf Nationalparks in der näheren Umgebung liegen, darunter der legendäre Grand Canyon. Am besten sieht man diese von oben. Wer mit dem Flugzeug in Page landet, etwa 20 Minuten mit dem Auto vom Hotel entfernt, sieht die Seltsamkeiten der Gegend. Hunderte grobe Risse ziehen sich durch die Landschaft, als hätten riesige Finger versucht, die rote Erde aufzureißen – diese unregelmäßigen Linien bilden mehr oder weniger große Canyons.

Blockbustererinnerung

Ihretwegen kommen Reisende hierher. Apple-Chef Tim Cook soll öfter im Amangiri einkehren und bei Wanderungen durch die windgeformten Gänge, geschwungene Wege wie aus dem 3D-Drucker, entspannen. Google-Gründer Larry Page nimmt bei seinen regelmäßigen Besuchen an der Fossilienjagd mit Richardson teil.

Richardson ist in Phoenix, Arizona, aufgewachsen, hat früher Geologie studiert, in der Umweltabteilung einer Airline in Kalifornien gearbeitet – und vor 20 Jahren seine Karriere an den Nagel gehängt. Er erinnerte sich an jenen Ort ein paar Stunden von seiner Heimatstadt entfernt, an dem die Familie vor dem heißen Sommer geflüchtet ist, aufs relativ kühle Plateau. Hier ließ er sich nieder, begann zu graben – und hörte bis heute nicht mehr auf.

Am Ende der Tour macht Scott Richardson einen Abstecher hinaus auf die Hochebene. Er hält an einer Felsformation, die wie eine urzeitliche Schildkröte mit Kopf in den Himmel ragt. "Kennen Sie die?", fragt er. "An dieser Stelle wurde in den 1960er-Jahren eine Szene für Planet der Affen mit Charlton Heston gedreht." Und tatsächlich regt sich im Hinterkopf eine Zelle, noch eine Blockbustererinnerung im Fossilien-Hotspot Utah. (Ulf Lippitz, RONDO, 23.1.2023)