Kallas lässt sich am Wahlabend feiern.

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Noch am Abend ihres Wahlsieges stellte die estnische Premierministerin Kaja Kallas klar, worum es ihr im Kern geht: den Schutz des Landes gegen Wladimir Putins Russland. "Wir müssen in unsere Sicherheit investieren", gab die 45-Jährige als Devise aus.

Über mögliche Koalitionspartner schwieg sich die Chefin der Reformpartei noch aus. Es sei aber klar, dass sie – bis auf die extreme Rechte und die Zentrumspartei – mit allen beim Thema Ukraine auf einer Linie liege.

Für Kallas ist Außenpolitik Teil der innenpolitischen Werte – und die müssten gewahrt werden. Immerhin steht Estland gemessen an der Einwohnerzahl an der Spitze der Hilfe für Kiew – mit 60.000 aufgenommenen Flüchtlingen und mehr als einem Prozent der Wirtschaftsleistung für Militärhilfe.

Politischer Stammbaum

Dass sie einmal an der Spitze der estnischen Regierung gegen den aggressiven Nachbarn auftreten wird, wurde der studierten Juristin und dreifachen Mutter quasi in die Wiege gelegt. In ihrem Stammbaum findet sich Urgroßvater Eduard Alvar, der gegen die Rote Armee gekämpft und ein freies Estland im Jahr 1918 mitbegründet hat. Ihre Mutter, Kristi Kallas, wurde 1949 als Baby von sowjetischen Soldaten mit ihrer Mutter und Großmutter in einen Viehwagon gesperrt und nach Sibirien verschleppt. Erst nach zehn Jahren konnte die Familie zurückkehren.

Es ist vor allem diese Geschichte, die Kallas im Zusammenhang mit dem russischen Einmarsch in die Ukraine erzählt. Und über ihre eigene Furcht, als Panzer aus Moskau 1991 nach Estland rollten. Sie war 14 Jahre alt und befand sich bei den Großeltern auf dem Land, hatte aber Angst, dass sie ihren Vater, Siim Kallas, nie wieder sehen würde. Die Gewalt der sowjetischen Soldaten gegen jene, die sich widersetzten, waren auch der Jugendlichen bekannt.

Hilfe für Kiew

Die Familie fand wieder zusammen, Vater Siim wurde später Außenminister und Premierminister Estlands. Er bereitete die EU-Mitgliedschaft des Landes vor und verhandelte den Nato-Beitritt mit. Seine Tochter wird seit Monaten als mögliche Nachfolgerin von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gehandelt.

Ihre ersten politischen Sporen verdiente sich Kallas als EU-Abgeordnete. 2014 war sie in Straßburg, als das Assoziierungsabkommen der Union mit der Ukraine unterzeichnet wurde. Dank ihres Wahlsiegs darf Kiew wohl weiterhin mit tatkräftiger Hilfe aus Tallinn rechnen – auch wenn es um einen EU-Beitritt geht. (Bianca Blei, 6.3.2023)