Man kann Erwin Pröll viel nachsagen: etwa, dass er das machtverliebte schwarze "System Niederösterreich" auf eine Weise ausgebaut hat, die alles im Land dominierte; dass er die Interessen "seiner" ÖVP durchaus brutal durchsetzen konnte. Was man ihm nicht nachsagen kann: dass er keine weltoffene, vielfältig interessierte Kulturpolitik gemacht hätte. Pröll hat Hermann Nitsch mit einem eigenen Museum ein Denkmal gesetzt, ebenso Arnulf Rainer und dem Erfinder der Eat-Art, Daniel Spoerri. In seiner Amtszeit wurden interessante Museumsneubauten errichtet, dutzende Festspiele mit internationaler Beteiligung, etwa das Donaufestival, "erfunden" – oft auch gegen ÖVP-Widerstand.

Da war die schwarze Welt noch in Ordnung: Alt-Landeshauptmann Erwin Pröll und Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (beide ÖVP) beim Wahlkampfauftakt. Das Image eines modernen Landes wackelt jetzt gehörig.
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Das hat Niederösterreich das Image eines modernen und interessanten Landes verpasst. Der Kultur- und Kulinarik-Tourismus erblühte. Die Niederösterreich-Card ist auch in Wien ein beliebtes Geschenk für diverse Anlässe.

Dies hatte Johanna Mikl-Leitner natürlich im Blick, als sie bei der Präsentation ihres schwarz-blauen Regierungspaktes mit Nachdruck betonte, Kultur sei weiter Chefinnensache, da werde sich nichts ändern. Aber wie glaubwürdig ist das, wenn auf anderen Ebenen tiefster Provinzialismus einzieht? Wie passt Offenheit zusammen mit einer Förderung ausschließlich "einheimischer" Wirtshäuser? Wie geht sich Weltoffenheit aus mit einem Diktat, dass auf Schulhöfen künftig nur mehr Deutsch gesprochen werden darf? Wie modern kann man sein, wenn man sich 2023 Gendersensibilität verweigert?

Hier passt einiges derzeit nicht zusammen – und es ist fraglich, was dabei herauskommt, wenn es zusammenwächst.

Irritierend wirkt auch die plötzliche Animosität der Landeshauptfrau gegen Wien. Vor einem Jahr haben Mikl-Leitner und Wiens Bürgermeister Michael Ludwig noch in schönster Harmonie "gemeinsame Mobilitätsmaßnahmen" für Wien und Niederösterreich präsentiert. Beide Bundesländer bilden einen eng verflochtenen gemeinsamen Wirtschaftsraum. Über 200.000 Niederösterreicher arbeiten in Wien, fast 350.000 gebürtige Wienerinnen und Wiener wohnen in Niederösterreich. Die Ansage Mikl-Leitners, ihr Bundesland werde künftig ein "Kontrastprogramm" zum rot regierten Wien fahren, ist auch dahingehend irritierend.

In St. Pölten herrscht offenbar Sehnsucht nach der klischeehaft heilen Welt der Provinz. Die Gefahr besteht allerdings, dass das im unheilvollen Provinzialismus endet. (Petra Stuiber, 20.3.2023)