"Ich mache es mir einfach: Ich klaue von Ofczarek, Moretti und Eidinger. Dann bin ich noch besser!": Michael Maertens im Interview.

Foto: Christian Fischer

Nur zwei Jahre lang gab Lars Eidinger den Jedermann in Salzburg. Mit seiner Interpretation des reichen Mannes, den der Tod holt, gelang ihm eine Modernisierung des über 100-jährigen Stoffs. Jetzt ist Michael Maertens dran. Der aus einer berühmten Hamburger Schauspielerfamilie stammende Burg-Schauspieler wird ab 21. Juli gemeinsam mit der ebenfalls neuen Buhlschaft Valerie Pachner in der Neuinszenierung von Michael Sturminger auf dem Salzburger Domplatz spielen. Die Videoversion dieses StandART-Gesprächs finden Sie hier.

STANDARD: Sie haben schon einmal im "Jedermann" gespielt, und zwar als Neunjähriger in Heppenheim im Odenwald. Gute Erinnerungen daran?

Maertens: Mein Vater war auch Schauspieler, er hat mit solcher Leidenschaft gespielt, dass er sich im Sommer auch noch kleine Engagements gesucht hat. Bei den Festspielen in Heppenheim hat er vier Jahre lang im Jedermann den Tod gegeben. Das wurde uns dann als Urlaub verkauft. Im zweiten Jahr hat meine Mutter angeregt, dass auch wir Kinder mitspielen. Meine Schwester und ich haben dann die Kinder des Schuldknechts gespielt.

STANDARD: Kinder müssen den "Jedermann" mit seinen allegorischen Figuren ja eigentlich lieben: Da tritt der Tod auf, Mammon und Teufel geben sich ein Stelldichein ...

Maertens: Dieses Stück ist in der Tat ein Fest für Kinder. Ich war schon damals unendlich eitel und wollte unbedingt auf die Bühne. Ich fand zwar meine Rolle gut, aber ich habe bald verstanden, dass die Rolle dieses Jedermann noch besser ist. Die wollte ich schon damals unbedingt einmal spielen.

STANDARD: Der "Jedermann" ist ein katholisches Lehrstück. Damit haben viele Probleme. Sie nicht?

Maertens: Angefangen mit Klaus Maria Brandauer habe ich den Jedermann schon oft gesehen. Mich hat dieser religiöse Aspekt aber nie besonders interessiert. Ich hatte auch nie das Gefühl, dass darauf das Hauptaugenmerk v on Hugo von Hofmannsthal lag. Was mich interessiert, ist die Frage: Warum sind wir hier, und warum müssen wir auf einmal gehen? Die Panik, in die Jedermann gerät, sein Festhalten am Leben, das Insichgehen, das fasziniert mich. Ich gestehe zwar, dass ich als Zuschauer auch schon Durststrecken beim Jedermann erlebt habe. Aber ich glaube an das Stück, und ich hoffe, mit meinen Kollegen einen unterhaltsamen, berührenden Abend hinzubekommen.

STANDARD: Sie sind 59, das ist für einen Jedermann ein stattliches Alter. Verändert das den Blick auf das Stück?

Maertens: Ich habe tatsächlich nicht damit gerechnet, die Rolle angeboten zu kriegen. Vielleicht, dachte ich, darf ich ja mal den Teufel spielen, aber dann kam das Angebot, worauf ich kokett gesagt habe, dass ich doch viel zu alt wäre für die Rolle. Man hat mich darauf hingewiesen, dass der Jedermann im Stück ein ganzes Stück älter sei als die Buhlschaft. Diese sagt, das wäre ihr egal, sie liebe ihn wegen seiner Persönlichkeit, Alter spiele doch keine Rolle. Curd Jürgens war übrigens auch etwas älter.

STANDARD: Lars Eidinger und Verena Altenberger haben den "Jedermann" behutsam modernisiert. Werden Sie diesen Weg weitergehen?

Maertens: Ich lerne gerade erst den Text, ich kann das derzeit noch nicht sagen. Was ich Regisseur Michael Sturminger aber gesagt habe, ist, dass mir seine Inszenierung und die Interpretation von Eidinger und Altenberger sehr gut gefallen haben. Es wird zwar eine Neuinszenierung geben, aber wir müssen nicht alles anders machen. Ich will nichts kopieren, die moderne Sicht auf das Stück würde ich aber gerne beibehalten. Ich mache es mir einfach: Ich klaue von Ofczarek, Moretti und Eidinger. Dann bin ich noch besser als alle drei! (lacht)

STANDARD: Sie sind ein Meister der Ironie und der Komik. Wie passt das zum "Jedermann"?

Maertens: Ich werde es nicht darauf anlegen, aber ich sehe beim Jedermann viel Raum für Komik – auch was den Hauptdarsteller anbelangt. Wir lachen meist über Figuren, die abstürzen oder wenn Menschen in prekäre Situationen geraten. Wenn man sich ans Leben klammert, hat das oft eine gewisse Komik.

STANDARD: Eidinger und Altenberger haben gängige Geschlechterzuschreibungen durcheinandergebracht. Werden Sie daran andocken?

Maertens: Meine Figuren haben immer etwas Androgynes, da spielt die weibliche Komponente immer eine große Rolle. Ich bin zuversichtlich, dass ich viel von dem gebrauchen kann, was uns Eidinger und Altenberger geschenkt haben.

STANDARD: Wie viel Tradition muss auf dem Domplatz sein, und wie viel Neuerung ist möglich?

Maertens: Da muss Veränderung rein! Die historische Inszenierung von Gernot Riedel lief 18 Jahre, sie wurde jedes Jahr auf Grundlage des Regiebuchs nachbuchstabiert. Ich finde, eine Inszenierung muss weiterentwickelt werden. Ich bin dafür, Autoren nicht zu beschädigen bzw. zu versuchen, besser als diese zu sein, aber ansonsten sollte alles erlaubt sein. Ach ja: Den Domplatz muss man auch nicht unbedingt abreißen.

STANDARD: Eine der interessantesten Neuerungen ist: Buhlschaft Valerie Pachner wird auch den Tod spielen. Eros und Thanatos zusammenzuspannen klingt ziemlich platt.

Maertens: Fand ich auch, wie ich davon gehört habe. Mir wurde dann aber erklärt, dass es sich um zwei eigenständige Figuren handeln wird. Die Doppelbesetzung bringt eine gewisse Spannung mit sich, öffnet einen Gedankenraum, da kann auch etwas Unheimliches passieren. Und für die Schauspielerin der Buhlschaft ist es natürlich auch reizvoll: Das ist zwar eine tolle Rolle, aber eine sehr kleine mit wenigen Sätzen und riesigem Kleid.

STANDARD: Sie haben in Interviews gesagt, dass der nächste Jedermann eine Frau sein werde. Was macht Sie da so sicher?

Maertens: Ich bin sogar ganz sicher, dass ich der letzte männliche Jedermann sein werde. Es gibt die Lear, die Richard III, die Hamlet: Warum soll es nicht auch die Jederfrau geben? Es hat sich ja wirklich etwas verändert, ich finde das auch ganz richtig. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass ein Herr Reinhardt und ein Herr Hofmannsthal da auch nichts dagegen hätten. Spannend wird es mit der Figur der Buhlschaft, ist das dann ein Mann?

STANDARD: Und welches Kleid den Medien dann präsentiert wird ...

Maertens: Ein roter Anzug, warum nicht? (Stephan Hilpold, 24.4.2023)