Heute, am Internationalen Tag der Pressefreiheit, bleiben die Titelseiten der Tageszeitungen Österreichs weiß. Es ist ein Aufschrei der Redaktionen, dass die privaten Medien in Österreich massiv bedroht sind. Bedroht von einer Medienpolitik von ÖVP und Grünen, die unabhängigen Journalismus aus privatwirtschaftlich organisierten Verlagen gegenüber dem ORF noch weiter benachteiligen will.

Weiße Titelseiten am Tag der Pressefreiheit. Damit machen die Verlage auf die durch die ORF-Novelle entstehende Schieflage am österreichischen Medienmarkt aufmerksam.
Bildmontage: Otto Beigelbeck

Schon jetzt stecken Österreichs Verlage in der ökonomischen Klemme: Die Kosten steigen rasant, die Umsätze sinken. Die Teuerung treibt die Herstellungskosten von Print-Zeitungen in die Höhe, unter anderem durch einen explodierten Papierpreis. Parallel sinken die Werbeerlöse, da Google und Facebook bereits die Hälfte des heimischen Werbevolumens absaugen. Was im Printbereich an Umsätzen wegfällt, lässt sich jedoch mit Online-Erlösen nicht kompensieren – sogar bei jenen Verlagen, die wie DER STANDARD seit Jahren konsequent in die Digitalisierung investieren (die Anzahl unserer Online-Leserinnen und -Leser hat sich in den vergangenen Jahren auf 3,5 Millionen massiv erhöht).

Verzerrter Markt

Der winzige österreichische Medienmarkt ist per Design als schiefe Ebene gestaltet: Mit intransparenten Regierungsinseraten wird der Markt zugunsten des Boulevards verzerrt, erratisch vergebene Förderungen gehen an teils absurde Projekte, und der ORF betreibt mit der "blauen Seite" Österreichs mit Abstand größte Nachrichtenseite. Für ORF.at wurden dem Rundfunk schon vor Jahren mehr Rechte eingeräumt, als ARD und ZDF in Deutschland erlaubt ist. Und nun kippt diese schiefe Ebene, die in ihrem Marktdesign unabhängigen, kritischen Journalismus jenseits des ORF maximal erschwert, noch weiter: Mit der Digitalnovelle sollen dem Rundfunk online noch mehr Möglichkeiten gegeben werden. Ein Medien-Riese, der 710 Millionen Euro pro Jahr aus der Haushaltsabgabe, weitere 100 Millionen Euro an Kompensationen und obendrauf noch Werbeerlöse erhalten soll. Insgesamt macht er so viel Umsatz wie alle privaten Zeitungsverlage zusammen. Das kann nicht gutgehen. Die geplanten Einschränkungen bei Textbeiträgen werden diese Allmacht des ORF nicht schmälern.

Schon ertönen Rufe nach einer Privatisierung des ORF oder nach einer Abschaffung der "blauen Seite". Das ist jedoch überzogen. Warum soll es im Sinne der Menschen sein, die für den ORF zahlen, ORF.at zu schließen? Warum soll weniger Journalismus in diesen komplexen Zeiten eine Lösung sein?

Vielmehr ist es nötig, für eine Balance zu sorgen. Wenn man auf der einen Seite dem ohnehin schon größten Marktteilnehmer noch mehr Rechte und Finanzmittel geben will, dann muss man auf der anderen Seite für Chancengleichheit sorgen. Es war ein Fehler, die ORF-Digitalnovelle an die Sicherung der Finanzierung des ORF zu koppeln. Bei Letzterem gibt es wegen eines Verfassungsgerichts-Erkenntnisses zur GIS Zeitdruck. Bei der Digitalnovelle gibt es diesen Druck hingegen nicht. Die Regierung sollte innehalten, die Digitalnovelle aus dem ORF-Paket herausnehmen und für einen sinnvollen Dialog sorgen: Für welche öffentlich-rechtlichen Aufgaben will die Gesellschaft den ORF finanzieren? Wie können alle fair auf diesem Markt partizipieren? Geschieht das nicht, dann verlagert sich die Debatte um Beihilfen und Wettbewerb auf die EU-Ebene, wo ähnliche Vorhaben aus Skandinavien gescheitert sind, öffentlich-rechtliche Medien einseitig zu bevorzugen. Aber das dauert Jahre – bis dahin wäre die Medienvielfalt in Österreich irreparabel geschädigt.

Notwendige Förderungen

Sebastian Kurz wollte den ORF zerschlagen. Die Grünen haben es sich hingegen in der Regierung zum Ziel gesetzt, den ORF maximal abzusichern. Das ist ihnen gelungen. Dabei haben sie jedoch die Auswirkungen auf den privatwirtschaftlich organisierten Qualitätsjournalismus übersehen. Eigentlich ist es unwürdig, dass sich die Marktteilnehmer nun untereinander streiten müssen: ORF-Journalisten gegen Journalisten privater Medien, ORF-Generaldirektor gegen Verleger. Im Gegenteil, so wie vor Jahren die privaten Medien über das Volksbegehren mithalfen, den ORF zu stärken, sollten jetzt auch ORF-Mitarbeiter mithelfen, für eine starke Konkurrenz zu sorgen.

Nachdem der ORF nun abgesichert ist, muss die Medienpolitik auch den privat organisierten Journalismus absichern. In einem so winzigen Markt sind Förderungen – anders als im zehnmal so großen Markt Deutschland – notwendig, um die Vielfalt zu sichern. Aber auch abseits der Finanzmittel gibt es Möglichkeiten, wie der ORF zur Partnerschaft mit privaten Medien gesetzlich verpflichtet werden kann.

Es muss in Österreich möglich sein, dass ein Medium auch künftig existieren kann, das sich an die Regeln hält, bei krummen Inseratendeals nicht mitmacht, medienethisch korrekt arbeitet, in Qualität investiert, sich laufend digitalisiert sowie hohe Reichweite und Relevanz auf dem Markt genießt.

Geschieht das nicht, wird es weniger Journalisten und damit weniger Journalismus geben. Die Kürzungen in den Redaktions-Etats mehrerer Medien waren erst der Anfang. Manche Medien werden danach nur noch ein Schatten ihrer selbst sein. Dem gegenüber wird ein ORF stehen, der zwar finanziell abgesichert, aber im Stiftungsrat nicht entpolitisiert wurde. Und dann stelle man sich vor, ein mediales System aus dem ORF – auf den die Politik via Stiftungsrat Zugriff hat – und ausgedorrten privaten Redaktionen trifft auf eine FPÖ in der Regierung oder gar auf einen Kanzler Kickl. Es soll keiner sagen, er wäre nicht gewarnt worden. (Martin Kotynek, 3.5.2023)