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Regisseur Martin Kusej hat gerade seinen Angstgegner, "Woyzeck", auf die Bühne gebracht. In Österreich fühlt sich der Kärntner Slowene "umklammert", am besten geht es ihm auf dem Berg und in der Wüste.

Foto: EPA/Kneffel
Der Theater- und Opernregisseur sucht im Theater auch Trost, findet dort auch seine "Abgründigkeiten und Ängste behandelt". Mit ihm sprach Renate Graber.

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STANDARD: Ich habe gerade gelesen, dass Elfriede Jelinek eine Lanze für Neil Shicoff als Direktor der Wiener Staatsoper bricht. Wäre das nicht ein Job für Sie gewesen? Sie waren 2005/2006 Schauspielchef der Salzburger Festspiele, ab 2011 sind Sie Intendant des Bayrischen Staatsschauspiels.

Kušej: Nein. Weil ich's nicht kann, dafür habe ich viel zu wenig Erfahrung. Die Staatsoper ist eines der größten Institute dieser Art, hat völlig verkrustete Strukturen, die dringendst aufgebrochen werden müssen. Man hat dort mit Chor und Orchester riesige Kollektive, die man planen muss. Das ist alles nicht so einfach, Shicoff hätte das auf keinen Fall gekonnt. Noch dazu wäre er die absolute Habererpartie gewesen, eigentlich erübrigt sich so gesehen jeder Kommentar.

STANDARD: Wie gefällt Ihnen die Lösung mit dem Duo Meyer und Welser-Möst?

Kušej: Beide Herren sind ausgewiesen professionell in ihrem Bereich. Wie weit das in eine Vision und Utopie mündet, welche Rolle die Staatsoper spielen soll, jenseits dessen, dass man Touristenscharen reinschickt und ihnen 35 Jahre alte Inszenierungen zeigt, das weiß ich nicht. Ich will eine Vision erfüllt sehen.

STANDARD: Ihre eigene erfüllen Sie in München. Sie sagen, man müsse sich "Österreich entziehen". Warum?

Kušej: Man muss sich immer entziehen, wenn man in der Kunst arbeitet: weggehen, anderes sehen, die engen Grenzen sprengen. Ich habe die in meinem Dorf, in Kärnten und schließlich in Österreich empfunden. Ich würde dasselbe aber auch über Spanien, Portugal, Russland sagen. Wobei Österreich gesellschaftlich eine Umklammerungsenergie hat, die uns alle betrifft.

STANDARD: Sie fühlen sich umklammert?

Kušej: Es gibt ein massives Identitätsbewusstsein, das auch mit "Österreich" überschrieben werden kann: Das fängt beim rot-weiß-roten Fahnen-Nationalfeiertag an, geht über österreichische Autoren, Neutralität, Staatsvertrag bis zum Beharren auf unserer seltsamen Sprache. Ich treffe im Ausland immer Österreicher, die ihren Dialekt reden und dieses Österreicher-Sein heraushängen lassen.

STANDARD: Sie sprechen mit mir anders als mit deutschen Journalisten?

Kušej: Absolut. Wenn in Österreich jemand hört, dass ich Hochdeutsch spreche, bin ich sowieso ein Verräter.

STANDARD: Mit mir können Sie reden, wie Sie wollen.

Kušej: Tu ich sowieso. In Deutschland lebend, muss man eine neue Sprache lernen. Wer seine Heimat verlässt, muss sich neu definieren, lernen, sein Gefühl mit dem zu sagenden Satz neu zu verbinden. Auch Deutsch ist schon eine Fremdsprache, die erste, die man lernen muss, wenn man aus Österreich weggeht. Daraus entsteht aber auch Energie, man reflektiert, woher man kommt, was einen ausmacht, was seine Identität, was Heimat ist. Das mein' ich. Aber sie dürfen das jetzt nicht im Dialekt schreiben.

STANDARD: Tu ich nicht. Sie selbst sagen, Ihre Heimat sei Ödon von Horvath, ein Buch über Sie heißt "Gegenheimat".

Kušej: Das ist ein dialektischer Titel dafür, dass man die Heimat sowieso nie loswird, auch wenn man versucht, sie auszulöschen. Allein durch die Heimatauslöschung wird die Heimat schon wieder bestätigt, die Suche nach Gegenheimat generiert die Heimat.

STANDARD: Sie sagen, Wien sei nur gut, wenn man ein Flugticket in der Tasche hat, die "Wiener Brut ist kleinkariert". München soll anders sein?

Kušej: Im Gegenteil, München ist keine Metropole.

STANDARD: Ich wollte über diesen Umweg eruieren, ob das Münchner Publikum anders ist das in Graz, Stuttgart, Wien, Salzburg? Machen Sie Theater für ein bestimmtes Publikum?

Kušej: Bis zu einem gewissen Grad schon. Es wichtig, dass man den politischen, gesellschaftlichen Kontext kennt in der Stadt, in der man arbeitet. Aber die Städte, die Sie nennen, eint eine wirklich große Theaterleidenschaft.

STANDARD: Die Besucher der Salzburger Festspiele wollen nicht nur den Schmuck zeigen?

Kušej: Ich habe auch das erlebt, und es ist degoutant. Da geht es aber nur um einen Randbereich, der Kern des Publikums ist sehr interessiert. Ich mache sicher nie irgendwo irgendwas für den Geschmack, zugeschnitten auf ein Publikum. Ich mache immer mein Theater, kontroversielle Aufführungen – das ist Theater. Ich habe meine Seele leergespielt, in meiner jüngeren Zeit. In Salzburg habe ich mir die Seele vollgespielt, und ich werde sie jetzt wieder leerspielen. Die Unbedingtheit in meiner Haltung verändert sich nicht. Ich habe im Verhältnis zu meinem Publikum aber dazugelernt: Ich will ihm erleichtern, sich auf mein Theater einzulassen oder auf das, das ich als Direktor vertrete.

STANDARD: Noch sind Sie nur Regisseur. Beschrieben werden Sie nach Ihren Produktionen wie Kabale und Liebe, Glaube, Liebe, Hoffnung als Radikaler, Stückezertrümmerer, Parkettfeger, Publikumsschocker, Regisseur des Widerstands, der das Böse aus der heilen Welt holt. Zugleich werden Sie als sehr sensibler Typ beschrieben. Woher nehmen Sie die Wut für Ihre Arbeit?

Kušej: Das weiß ich nicht. Ich finde Ihre Anhäufung ja toll, obwohl man das differenzierter sehen könnte. Ein Blödsinn ist aber das mit dem Stückezertrümmerer, das müsste man mir erst einmal nachweisen, daraus spricht eine Sehnsucht nach einer heilen Welt, aber die hat es noch nie gegeben im Theater.

STANDARD: Gibt es sie überhaupt?

Kušej: Natürlich nicht. Aber auch Stücke sind nicht so kompakt wie sie erscheinen. Ich habe nichts zertrümmert, sicher etwas in Frage gestellt, aber mit größtem Respekt vor und viel Wissen über den Autor. In der Oper ist das Hinterfragen von Strukturen noch viel interessanter, weil sie dort so eng sind, weil Oper lang von einer gewissen bildungsbürgerlichen Schicht besetzt war. Aber langsam kann man anfangen, Opern aufzuweichen.

STANDARD: Sie sagen "aufweichen", Bildungsbürger würden "zertrümmern" sagen?

Kušej: Es geht auch da nicht ums Kaputtmachen, nur um kritische Analyse, aus der erwächst die Dekonstruktion.

STANDARD: An der Regie-Hochschule in Graz haben Sie ein Pamphlet gegen die Oper geschrieben, heute sagen Sie, sie bewahre Sie vielleicht vor Senilität. Am Theater abgearbeitet, jetzt kommt die Oper dran?

Kušej: Wenn man einmal 50 Schauspielinszenierungen gemacht hat...

STANDARD: ...2005 waren es schon 60...

Kušej: ... irgendeine große Zahl halt. Und ja, das nützt sich ab. Von Oper hatte ich keine Ahnung, musste mich erst damit auseinandersetzen.

STANDARD: Am Donnerstag hatte Ihr Woyzeck Premiere. Wieder mit aller Verve gemacht, oder?

Kušej: Ja. Ich versuche ja, mich fit zu halten. Dass ich ausgerechnet Woyzeck mache, hat ja einen Grund: Damit habe ich ein sehr, sehr schwieriges, sehr schönes Stück gefunden, um das ich bis jetzt einen großen Bogen gemacht habe. Jetzt stelle ich mich der Herausforderung. Ich habe einen Heidenrespekt und Angst davor gehabt – jetzt ist der Zeitpunkt dafür gekommen: Jetzt weiche ich nicht mehr aus, ich stell mich dem, ich mach das.

STANDARD: Büchner war mein Maturathema: "Der optimistische Pessimismus in Georg Bücherns Werk." Warum ist Büchner so schwieirg?

Kušej: Bei mir war es: "Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Menschheit." Günter Eich. Woyzeck ist schwierig, weil es so viele Interpretationsmöglichkeiten gibt: Du kannst es als groteske Komödie machen, als existenzialistisches Spiel, absurdes Theater, als Mörderdrama. Ich zeige Woyzeck als Meditation über archaische, menschliche Zustände, Verhaltensweisen. Ich habe Büchner lange studiert, eine Stelle in einem Brief an seine Verlobte hat mich elektrisiert: Da schreibt der 24-Jährige, dass er sich als Automat fühlt. Er war poltisch engagiert, plötzlich erkennt er, dass alles Bemühen keinen Sinn hat, keine Verbeserung bringt. Mit dem Gedanken gehe ich an Woyzeck heran: Das Humanistische Projekt per se ist als gescheitert anzunehmen. Woyzeck kommt auch zu so einem Punkt des Automatischen, Gefühllosen und wird Mörder der Marie.

STANDARD: Sie standen ja selbst einmal unter Mordverdacht, einst in Wien.

Kušej: Ja, da gab es diesen Mädchenmord, Christina Beranek, 1989. Plötzlich hält mir einer eine Polizeimarke durch die Tür, ich kam mit auf die Wache. Da hatte mich ein anynoymer Anrufer angezeigt, 700 andere aber auch. Ich hatte ein wasserdichtes Alibi.

STANDARD: Sie sagen in Ihren Werken: "Es gibt keinen Trost." Ist ur-unkatholisch. Einer Ihrer engsten Freunde ist der Grazer Bischof Egon Kapellari, der Sie einst aus Finanznot rettete. Ihre Mutter war Religionslehrerin. In Kabale haben Sie 50 Madonnen aufgestellt, zum Teil mit Blut gefüllt. Welche Rolle spielt Religion für Sie?

Kušej: Die Religion sitzt mir im Genick. Ich kenne die Probleme der Kirche, trotzdem habe ich dort für mich sehr wichtige Freunde. Ich bin ausgetreten, weil ich die "Gemeinschaft der Heiligen" für verlogen und scheinheilig halte. Der Diskurs mit spirituellen Themen interessiert mich. Ich suche aber sicher nicht Trost in der Religion. Ich habe übrigens auch im katholischen Hochschulheim gewohnt in Graz, ein Jahr lang.

STANDARD: Das war die Zeit, als sie so beneidet wurden, weil Sie immer die hübschesten Freundinnen hatten, Miss Austria, Mercedes Stermitz, etwa.

Kušej: Das war 1981: Die unglücklichen Momente meines Lebens vergesse ich nicht. Aber zurück zur Religion: Ich suche sicher nicht Trost in der Religion.

STANDARD: Aber im Theater.

Kušej: Suche ich da Trost? Ja, auf eine gewisse Weise hat das Theater für mich Teile der spirituellen Erfüllung übernommen. Ich erlebe als Künstler im Theater Zustände und Momente, in denen ich meine Fragen, Emotionen, Abgründigkeiten, Ängste behandelt fühle. Da rede ich nur für mich als Kreator, als wer, der wie ein Mystiker in sich geht und spirituelle Erfüllung erreicht.

STANDARD: Theater als Therapie für den Regisseur.

Kušej: Nein. Aber ich als Künstler habe das Glück, aus meiner Arbeit auch etwas für mich privat herauszukriegen, weiterzubringen. Diese Erfahrung mache ich öffentlich.

STANDARD: Wenn Ihnen, wie einst in Klagenfurt, jemand zuruft: "Sie sind für die Fisch!" Kränkt Sie das?

Kušej: Das war ja fast läppisch. Ich habe viel schrecklichere Dinge über mich gehört und gelesen; "Kusek, Kot und Koitus" in der Krone, nach meinem Edward II. Das ist höchstens belustigend, tut meiner Mutter mehr weh als mir.

STANDARD: Hat auch einen guten Werbeeffekt.

Kušej: Diese Werbung brauche ich Gott sei Dank nicht mehr. Ich lese ja auch seit vielen Jahren keine Kritik mehr, die ist mir so egal, das können Sie sich gar nicht vorstellen.

STANDARD: Stimmt. Was wollten Sie denn als Kind werden?

Kušej: Gehirnchirurg.

STANDARD: Sind Sie ja eigentlich, man kann Ihnen beim Operieren zuschauen. Als Surflehrer am Wörthersee haben Sie Ihre Schüler angehalten, einen Kopfstand auf dem Brett zu machen, damit sie die Angst vorm Sturz ins Wasser verlieren. Ist Woyzeck Ihr Kopfstand?

Kušej: Mein Kopfstand ist jede Produktion, absolut und immer. Ich habe immer noch Schiss, bin zwei, drei Tage vor Probenbeginn extrem nervös und unnahbar.

STANDARD: Und bei der Premiere? Von wo aus schauen Sie zu?

Kušej: Gar nicht, ich sitze an der Bar, oder im Hof vorm Theater bei einer guten Flasche Rotwein. Ich habe nie, noch nie bei einer Premiere zugeschaut. Geht nicht. Ich würde sterben oder in die Stuhllehne vor mir beißen oder irgendwann losschreien. Wobei, zwei Mal habe ich zugeschaut: bei einem Kinderstück in Klagenfurt, da wollte ich sehen, wie die Kinder reagieren. Und einmal in Zürich bei einer Elektra-Premiere: Da ist die Elektra-Sängerin am Premierennachmittag eingesprungen. Ohne Ahnung von der Inszenierung. Und es ist super gegangen. Coole Frau: Sie hat fast in Trance mitgespielt. Das war das größte, was ich je im Theater erlebt habe. Sich auf so ein Wagnis einzulassen, das tät ich gern können. Ein Alptraum, aber gelebt.

STANDARD: Sie gehen gern in die Berge, in die Wüste. Weil man dort die Unendlichkeit sieht?

Kušej: In Marokko bin ich ein paar Tage lang durch die Wüste geritten, nur mit einem Tuareg. Das ist unfassbar, was man sich dort alles denkt, Endlichkeit, Unendlichkeit, man fängt an zu spinnen, sieht Dinge, die nicht da sind. Die lustigste Begegnung war bei einer Wasserstelle, ich war vermummt wie ein Tuareg, nicht zu erkennen. Da kommt ein Jeep daher, biegt ab zur Wasserstelle. Blinkt vorher. Drin zwei Typen. Angeschnallt. Da wusste ich, das können nur Deutsche sein. Einer steigt aus. Aufschrift auf seinem T-Shirt: Uni Tübingen. Er fragt mich, ob er auf dem richtigen Weg nach Irgenwohin ist. In perfektem Arabisch. Wunderbar.

STANDARD: Richtiger Weg, richtiges Stichwort: Worum geht's im Leben?

Kušej: Das maile ich Ihnen, jetzt fällt mir nichts Schönes mehr ein.

STANDARD: Tut mir leid, aber das ist nicht vorgesehen.

Kušej: Also, worum es geht? Um ewiges Hinterherlaufen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24.6.2007)