Vorbei – oder zumindest fast vergessen – schienen die Zeiten, in denen Polen wegen der umstrittenen Justizreform der EU Probleme bereitete: Da war zunächst ab 2020 die Corona-Krise: Die Pandemie verschob den Fokus, es galt, eine globale Gefahr abzuwenden. Und Polen machte mit.

Dann geschah 2022 das, wovor – zugegeben – besonders Polen jahrelang fast ungehört gewarnt hatte: Russland griff tatsächlich die Ukraine an. Die Regierung in Warschau setzte sich hier mit an die Spitze jener Demokratien, die Wladimir Putins brutalem Expansionsstreben Paroli bieten. In beeindruckender Weise nimmt Polen flüchtende Menschen aus dem Nachbarland auf, leistet Hilfe, macht politisch Druck, damit die Ukraine Waffen bekommt, um sich verteidigen zu können.

Der Europäische Gerichtshof hat Polen erneut wegen seiner Justizreform verurteilt.
imago/Steinach

Und bei der Verleihung des renommierten Aachener Karlspreises hielt Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erst vor wenigen Tagen eine zentrale, vielbeachtete Rede, in der er den diesjährigen Preisträger, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, als "Verteidiger europäischer Werte" würdigte.

Ist Polen also endlich im europäischen Mainstream angekommen? Mitnichten. Wir haben letzthin bloß nicht genau genug hingesehen. Die Bevölkerung des Landes, sie weiß sehr genau, dass sich der innenpolitische Kurs der nationalkonservativen Regierungspartei PiS nicht geändert hat. Das bewies am Wochenende die größte Protestkundgebung seit Jahrzehnten: Es habe sich nichts gebessert, von einem Einschwenken auf den "europäischen Weg" könne keine Rede sein, hieß es dort.

Und auch die Tatsache, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Montag neuerlich urteilte, dass die Warschauer Justizreform dem Unionsrecht widerspricht, macht klar: Die polnische Demokratie steht noch immer auf dem Prüfstand. (Gianluca Wallisch, 5.6.2023)