Das Positive gleich zu Beginn: Dass sich die EU-Mitgliedsländer auf gemeinsame Regeln in Sachen Asyl verständigen, ist nach Jahren oder gar Jahrzehnten enervierender Uneinigkeit ein Erfolg. Ob es tatsächlich etwas bringt, wird aber die Zeit zeigen. Zweifel daran sind durchaus berechtigt. 

Nancy Faeser Ylva Johansson
Vor allem die deutsche Innenministerin Nancy Faeser und EU-Innenkommissarin Ylva Johansson (rechts) haben sich für eine Einigung eingesetzt.
EPA/Julien Warnand

Dass es zu einer Verschärfung der Asylregeln kommt, war angesichts der Entwicklung der vergangenen Jahre nahezu unvermeidlich. In vielen Mitgliedsstaaten erstarkten Parteien des rechten Spektrums. Jene an der Macht, die sich für den humanitären Imperativ und die Einhaltung der Menschenrechte einsetzten, wurden immer weniger. 

Die EU-Mitgliedstaaten haben sich auf Asylverfahren an den Außengrenzen geeinigt. Viele Flüchtlinge sollen hier bereits aufgehalten werden.
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Illegale Mittel an der Außengrenze

Dies und die Blockadepolitik einiger Länder in der EU führte dazu, dass Länder mit EU-Außengrenzen zu illegalen Mitteln griffen, seien es Pushbacks oder, wie die "New York Times" berichtet, sogar Entführungen. Nicht zu vergessen sind auch die brutal geführten Internierungslager in Libyen, die mit europäischen Geldern unterstützt werden. 

Nun also soll es große, streng kontrollierte Asyllager an den EU-Außengrenzen geben, in denen Menschen unter haftähnlichen Bedingungen untergebracht werden. Ausnahmen für Familien mit minderjährigen Kindern, wie von Deutschland gewünscht, wurden abgelehnt. Die Vorstellung allein lässt erschaudern, Erinnerungen an das griechische Skandalcamp Moria werden wach. Betont wird, dass in den neuen Einrichtungen penibel darauf geschaut werden soll, dass menschenrechtliche Standards eingehalten werden. Man wird sehen.

Rechtsruck erwartet

So oder so wird das Asylrecht ausgehöhlt, das muss klar kritisiert werden. Auf der anderen Seite könnte das angesichts der EU-Wahlen im Frühling 2024 noch zu den milderen Lösungen gehören. Denn es ist davon auszugehen, dass die FPÖ in Österreich, die AfD in Deutschland oder auch Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich gehörig dazugewinnen werden. Wer weiß, was diesen Parteien dann in Sachen Asyl in den Sinn kommt. So betrachtet ist die jetzige Einigung zu begrüßen. 

Allerdings stellt sich die Frage, ob sie überhaupt umgesetzt werden kann. Es gibt zwei Kernprobleme, an denen sich die Union bisher die Zähne ausgebissen hat. Einerseits geht es um die Abschiebung abgelehnter Asylwerberinnen und Asylwerber. Jene aus Ländern, die europaweit eine Anerkennungsquote von unter 20 Prozent aufweisen, sollen in den Lagern festgehalten werden. Das Schnellverfahren für sie soll maximal zwölf Wochen dauern, binnen weiterer zwölf Wochen sollen abgelehnte Personen abgeschoben werden. Doch wohin?

Die meisten Herkunfts- und Transitstaaten nehmen diese Menschen nicht zurück. Um dem entgegenzuwirken, soll jedes EU-Land selbst entscheiden können, in welches Land abgeschoben wird. Deutschland blitzte mit der Forderung ab, dass der oder die Abgeschobene eine Verbindung zu dem Land haben soll, also entweder Verwandte dort hat oder mal dort gelebt hat. 

Drittstaaten überzeugen

Ein Abgeschobener oder eine Abgeschobene kann sich theoretisch also in einem Land wiederfinden, mit dem er oder sie überhaupt keine Verbindung hat. Das ist mehr als fragwürdig. Außerdem stellt sich auch hier die Frage, wieso Drittstaaten diese Menschen aufnehmen sollen. Die Überlegung ist, diese mit finanziellen Anreizen zu überzeugen. Das hat bislang schon kaum geklappt, wieso sollte es künftig anders sein. 

Das zweite Kernproblem ist die Verteilung von Asylwerbern, um die Länder mit EU-Außengrenzen zu entlasten. Jene EU-Staaten, die keine aufnehmen wollen, und davon gibt es ja einige, haben die Möglichkeit, sich freizukaufen, für 20.000 Euro pro Person. Dass man bestimmten Menschen nun ein Preisschild umhängt, ist zutiefst zynisch. Doch es ist besser als nichts, denn genau das war bisher der Beitrag von Ländern wie Ungarn und Polen in Sachen Flüchtlingsverteilung. 

Wie aber bringt man diese Länder dazu, ihre Rechnung zu begleichen? Zieht man das Geld im schlimmsten Fall dann einfach von irgendwelchen EU-Geldern ab? Denn es wird Widerstand geben, vor allem aus Budapest. Auch der Ausgang in dieser Angelegenheit wird darüber entscheiden, ob die Asylreform ein Erfolg oder ein Misserfolg wird. (Kim Son Hoang, 9.6.2023)