Die Polizei in Griechenland nahm neun Personen fest, die im Zusammenhang mit dem gesunkenen Migrantenschiff stehen sollen.
Die Polizei in Griechenland nahm neun Personen fest, die mit dem Sinken des Migrantenschiffsin Zusammenhang stehen sollen.
REUTERS/STELIOS MISINAS

Kalamata – Nach dem Untergang eines Schiffs mit Migranten an Bord vor Griechenland haben die Behörden einem Insider zufolge neun Personen festgenommen. Es handle sich um Ägypter, denen die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Menschenschmuggel und ein Schiffsunglück angelastet würden, sagte ein Vertreter des griechischen Schifffahrtsministeriums am Donnerstag. Zu den Verhafteten soll auch der Kapitän des Schiffes zählen. Bisher ist nicht bekannt, ob die Vernehmungen zu neuen Erkenntnissen geführt haben.

VIDEO: Tausende Griechen fordern mehr Schutz für Geflüchtete nach Schiffsuntergang
AFP

An Bord des am Mittwochmorgen havarierten Bootes könnten sich zwischen 400 und 750 Menschen befunden haben, jedenfalls war es völlig überladen. Die griechischen Behörden gaben am Donnerstag die Zahl der Geretteten mit 104 an. Die Rettungskräfte setzten ihre Suche nach Überlebenden fort, die Hoffnung, Überlebende zu finden, sinkt mit jeder Stunde. Das Suchgebiet in den Gewässern südwestlich von Griechenland wurde am Freitag nochmals ausgeweitet, wie die Küstenwache mitteilte. Nach Medienberichten soll die Suche im Laufe des Tages aber eingestellt werden.

Bergung des Wracks unwahrscheinlich

An Bord soll eine Massenpanik ausgebrochen sein, die das übervolle Schiff zum Kentern brachte. Seither wurden 78 Todesopfer geborgen. Die Behörden vermuten, dass das Boot sehr schnell sank. Deshalb sei es den Menschen unter Deck vermutlich nicht gelungen, sich ins Freie zu retten.

Foto der griechischen Küstenwache.
Hellenic Coast Guard

Am Freitag begannen die Behörden, die Überlebenden in ein Auffanglager nördlich von Athen zu bringen, wo sie registriert werden und Asylanträge stellen können. Lediglich die neun mutmaßlichen Schleuser blieben in Kalamata in Polizeigewahrsam. Dabei handelt sich nach Angaben der Küstenwache um Ägypter im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Ihnen werden fahrlässige Tötung, Menschenhandel und die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.

Der Unglücksort befindet sich in der Region der tiefsten Stelle des Mittelmeers, des bis zu 5.267 Meter tiefen Calypsotiefs. Eine Bergung des Wracks ist deshalb kaum wahrscheinlich. Expertinnen und Experten halten einen solchen Versuch für sehr aufwendig und teuer.

Frontex-Chef: "Können keine Wunder vollbringen"

"Ich wünschte, ich hätte den Einfluss, das Sterben zu stoppen", sagte Frontex-Chef Hans Leijtens der "Süddeutschen Zeitung" vom Freitag. "Aber wir können keine Wunder vollbringen. Wir überwachen ein Meer, das doppelt so groß ist wie Frankreich, Spanien und Italien zusammen." Es sei "sehr schwer, jedem zu helfen, der in Not" gerate. "Denn die Menschen sind bereit, große Gefahren auf sich zu nehmen. Und natürlich versuchen sie unbemerkt, auf die europäische Seite zu kommen", so Leijtens.

Der Niederländer ist seit März Chef der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Im vergangenen Juli hatten der "Spiegel" und "Le Monde" von einem geheimen Bericht der Antibetrugsbehörde Olaf berichtet, der Frontex unter Leijtens Vorgänger Fabrice Leggeri das bewusste Wegsehen beim Zurückdrängen von Flüchtenden auf dem Meer durch die griechische Küstenwache vorwarf.

Die Lage auf dem Mittelmeer sei sehr dramatisch, sagte Leijtens. "Meine Kollegen haben am Dienstag das Fischerboot entdeckt, auf dem mutmaßlich 600 Menschen Richtung Griechenland unterwegs waren – wohl eng zusammengepfercht von Schmugglern. Wir haben das Boot den Behörden vor Ort gemeldet, wie es unsere Aufgabe ist. Es ist unfassbar traurig, dass es am Mittwoch gesunken ist und es zu einem erneuten tragischen Unglück gekommen ist."

Vorwürfe gegen Küstenwache

In Griechenland wirft indes unter anderen Alexis Tsipras, Chef der größten Oppositionspartei Syriza, der Küstenwache eine Mitschuld vor. In einem Streitgespräch fragte er den Interimsminister für Bürgerschutz, Evangelos Tournas, warum diese nicht eingegriffen habe. Tournas erklärte, ein Eingreifen in internationalen Gewässern sei nicht möglich, wenn der Kapitän des Bootes dies ablehne. Hilfe sei der Besatzung mehrfach angeboten, diese aber konsequent ausgeschlagen worden.

Das Unglück und die Debatte fallen in eine innenpolitisch unruhige Phase in Griechenland. Am 25. Juni finden erneut Parlamentswahlen statt, nachdem bei der Wahl im Mai keine Regierung zustande gekommen war. Politikerinnen und Politiker vor allem linker Parteien sehen die konservative Regierung der vergangenen vier Jahre in der Verantwortung. Aufgrund von ihr eingeführter strenger Kontrollen auf dem Meer wählten Schleuser nun gefährlichere, längere Routen an Griechenland vorbei direkt nach Italien, lautet ein Vorwurf.

Noch weiter geht der ehemalige EU-Abgeordnete Kriton Arsenis. Er beschuldigt die Küstenwache, dass sie das Boot aus griechischen Gewässern habe bringen wollen: "Das Boot der Geflüchteten war mit einem Seil am Schiff der Küstenwache befestigt", sagt Arsenis in einem Video, das die norwegische NGO Agean Boat Report auf Twitter veröffentlicht hat. Demnach hat Arsenis mit Überlebenden gesprochen. Plötzlich sei das Schiff gesunken. Doch diese Information scheine in den Berichten der Küstenwache nicht auf. Die Küstenwache selbst hat sich zu dem Vorwurf bisher nicht geäußert. (luza, Reuters, APA, 16.6.2023)