Das Bild ist seit vielen Jahren das gleiche: Wenn jemand eine Suchmaschine verwendet, dann ist der Begriff "Suchmaschine" fast immer gleichbedeutend mit Google. Die Dominanz des Softwareherstellers aus dem kalifornischen Mountain View ist geradezu erdrückend. Dass der Suchmaschinenmarkt mehr Wettbewerb vertragen könnte, ist insofern keine sonderlich kontroverse Feststellung, abgesehen von Google würden diesem Wunsch wohl fast alle zustimmen.

Neustart für Bing

Insofern war der Start des Jahres 2023 ebenso unerwartet wie erfreulich: Den aktuellen KI-Hype ausnutzend, kündigte Microsoft nicht nur eine generalüberholte Version seiner Suchmaschine Bing an, sondern blies auch gleich zum Angriff auf die Google-Marktanteile. Endlich sollte wieder Bewegung in den Suchmaschinenmarkt kommen, so die Hoffnung. Dass Google einige Wochen später ebenfalls ein KI-basiertes Suchexperiment demonstrierte, das sich zumindest in den USA mittlerweile sogar schon testen lässt, schien die Richtigkeit des Bing-Neustarts nur zu bestätigen.

Microsoft-CEO Satya Nadella
Microsoft-Chef Satya Nadella bei der Vorstellung der neuen Bing-Version mit KI-Integration. Die Begeisterung ist sichtbar, aber zumindest bisher hat das Bing in Hinblick auf die Marktanteile wenig gebracht.
AP

Mittlerweile sind einige Monate vergangen, und da die öffentliche Begeisterung rund um künstliche Intelligenz weiter nicht abzuflauen scheint, ist das ein sehr guter Zeitpunkt, um eine erste Zwischenbilanz zu ziehen. Also der Frage nachzugehen, wie viele Nutzer Microsoft der Konkurrenz bereits abzuluchsen vermochte.

Klare Verhältnisse bleiben klare Verhältnisse

Ein Blick auf die weltweiten Zahlen von Statcounter macht schon einmal klar: Der ganz große Umbruch scheint dabei noch nicht gelungen zu sein. Dort liegt Google im Mai 2023 bei einem Marktanteil von 93,77 Prozent, Bing schafft es mit 2,77 Prozent zwar auf den zweiten Platz, wirklich viel ist das aber nicht.

Andererseits wären so große Umbrüche in so kurzer Zeit auch nicht zu erwarten, wichtiger sind oft die Trends. Doch beim Blick auf ältere Zahlen folgt die nächste Ernüchterung. Ein Jahr zuvor – also im Mai 2022 – kam Bing noch auf 3,08 Prozent, im Dezember 2022 und damit knapp nach der Vorstellung von ChatGPT waren es 3,03 Prozent. Damit blieb der Bing-Marktanteil also praktisch unverändert.

Spurensuche

Weitere Versuche, irgendwo ein Wachstum für Bing zu finden, verlaufen ähnlich. Betrachtet man nur die Zahlen für Österreich, ist der Bing-Marktanteil mit 4,65 Prozent zwar höher, ein Jahr zuvor war dieser Wert mit 4,72 Prozent aber ähnlich. Diese Statistik noch weiter auf Desktop-Rechner eingeschränkt, erzielte Bing im Mai zwar schon einen Marktanteil von 9,81 Prozent – ein Jahr zuvor waren es aber noch 10,68 Prozent.

Auf mobilen Plattformen spielt Bing hingegen traditionell so gut wie keine Rolle, was Entwicklungen kaum messbar macht. Aber sagen wir es einmal so: Mit einem halben Prozent liegt Bing auf österreichischen Smartphones derzeit sogar klar hinter DuckDuckGo, ein Wachstum ist ebenfalls nicht zu erkennen.

Andere Zahlen

Jetzt ist eine Datenquelle natürlich immer nur ein einzelner Blick auf die Lage. Leider sieht es bei anderen Statistiken für die Microsoft-Suchmaschine aber nicht besser aus. So zeigen auch Zahlen, die Yipit Data vor einigen Wochen "The Information" zur Verfügung gestellt hat, keine relevante Bewegung bei den Suchmaschinenmarktanteilen. Über einen Zeitraum von drei Monaten – und damit mitten im Höhepunkt des KI-Hypes und der Vorstellung von Bing Chat – legte die Microsoft-Suche demnach selbst auf Desktopsystemen lediglich um 0,25 Prozentpunkte zu, statistisch ist das kaum relevant.

Dass das neue Bing bisher nicht der ganz große Erfolg ist, gesteht auch der Hersteller selbst ein. Gegenüber "The Information" betonte Yusuf Mehdi, Marketingchef von Microsoft, dass der eigene Anteil am Suchmaschinenmarkt noch immer "superklein" sei. Mehdi versucht sich aber an einer positiven Perspektive. Laut ihm sehe man nämlich erstmals zumindest ein bisschen Bewegung bei Smartphones, wo Bing bisher gar keine Rolle gespielt habe. Anhand von öffentlichen Zahlen lässt sich das wie gesagt nicht nachvollziehen, aber die Formulierung von Microsoft war ohnehin äußerst vage.

Bing bleibt die Default-Suche für Windows und sonst nicht viel

Bislang hat sich damit an der Bing-Realität wenig geändert: Der größte Teil der Nutzung der Microsoft-Suchmaschine geht weiter auf Desktopsysteme zurück und ist dabei vor allem eine Konsequenz davon, dass sie unter Windows und im Browser Edge von Haus aus eingestellt ist.

Auch wenn es für eine endgültige Bilanz natürlich noch viel zu früh ist, ist das doch eine wenig erfreuliche Erkenntnis für Microsoft. Immerhin investiert man derzeit massiv in Bing, die KI-basierte Suche kostet nicht nur sehr viel, sie verbraucht auch jede Menge Ressourcen. Nun hat Microsoft natürlich genügend Geld, um sich das leisten zu können, trotzdem würde man wohl gerne zumindest den Anflug eines positiven Trends erkennen.

Marktanteil-Shopping

Angesichts dessen scheint Microsoft auf andere Wege zu hoffen, um den Marktanteil auszuweiten. Wie vor einigen Wochen zu hören war, will das Unternehmen um die Position der Default-Suche im Mozilla-Browser Firefox mitbieten. Klingt nach einem Plan, hat aber auch ein Problem: Ob das eine erfolgsbringende Strategie ist, ist ziemlich umstritten.

Microsoft wäre nämlich nicht das erste Unternehmen, das Google die Default-Suchposition im Firefox abnimmt. Vor einigen Jahren hatte Yahoo das genau Gleiche probiert, nur um bald festzustellen, dass die Nutzer fast zur Gänze wieder manuell auf Google wechselten und so die erhofften Zuwächse beim Marktanteil ausblieben. Auch dass europäische Android-Nutzer beim Einrichten eines Smartphones seit einigen Jahren explizit ihre Suchmaschine selbst wählen müssen, hat nicht das Geringste an der Google-Dominanz geändert.

Dazu kommt noch etwas anderes: Firefox ist längst nicht mehr so relevant, wie es früher einmal der Fall war. Nach Jahren sinkender Marktanteile wird mittlerweile selbst in früheren Hochburgen wie Österreich Microsofts eigener Edge stärker genutzt – von Chrome ganz zu schweigen.

Jackpot iPhone?

All das wiederum lässt vermuten, dass Google für die Suchmaschinenpositionierung bei Firefox zu viel bezahlt, einfach nur, um sich abzusichern. Zu viel bezahlt heißt aber wiederum, dass Microsoft für einen zweifelhaften Effekt doch eine mitthohe EU-Strafe investieren müsste. Rund 500 Millionen US-Dollar dürfte sich Google derzeit diese Position im Firefox kosten lassen, ein Bieterwettstreit würde diese Zahl sicher weiter nach oben treiben.

Bliebe noch der Versuch, nach dem Jackpot in Hinblick auf die Suchmaschinenpositionierung zu greifen: jener am iPhone. Da reden wir dann aber noch einmal von ganz anderen Beträgen. Google lässt sich das derzeit bereits einen zweistelligen Milliarden-Dollar-Betrag kosten – und zwar jedes Jahr. Zudem ist längst nicht klar, ob Apple solch einem Ansinnen von Microsoft überhaupt nachkommen würde, hatte man Alternativen zu Google ja bisher auch mit Hinweis auf Nutzerinteressen und die Qualität der Kernsuche abgelehnt.

Falls Microsoft wirklich versucht, den Pre-Install-Hebel anzusetzen, ist insofern nur eines sicher: Die wahren Gewinner wären Apple und Mozilla, die sich auf zusätzliche Einnahmen freuen dürften.

Die Herausforderung für Google ist eine ganz andere

All das soll übrigens nicht heißen, dass die aktuelle Position der Google-Suche auf lange Sicht einzementiert ist. Die wahre Herausforderung ist aber eine ganz andere als Bing. Der Abstieg von dermaßen dominierenden Services wird üblicherweise nicht durch neue oder auch verbesserte Konkurrenten, sondern durch eine generelle Verschiebung des Nutzungsverhaltens ausgelöst. Das hat die IT-Geschichte immer wieder gezeigt.

Insofern sind KI-Chatbots natürlich sehr wohl eine Herausforderung für Google, doch was die aktuellen Zahlen ebenfalls zeigen: Der wahre Konkurrent ist – zumindest bisher – nicht Bing Chat, sondern ChatGPT. Dieses verzeichnet nämlich sehr wohl eine weiterhin stark wachsende Nutzung, wie Zahlen von Yipit Data sowie Similarweb übereinstimmend belegen.

Bing Chat

Das ist erfreulich für ChatGPT-Hersteller OpenAI, für Microsoft grenzt das aber beinahe an eine Demütigung. Denn was die Zahlen von Yipit Data ebenfalls zeigen: ChatGPT wird mittlerweile fast doppelt so viel genutzt wie Bing als Ganzes. Man könnte also in Anspielung auf die ähnliche Softwarebasis der beiden Services auch sagen: Die Nutzer gehen lieber zum Schmied als zum Schmiedl.

Manche mögen an dieser Stelle einwerfen, dass die beiden Firmen – also Microsoft und OpenAI – eng kooperieren, und das ist natürlich richtig. Trotzdem stehen sie bei diesen Diensten natürlich auch in einem Konkurrenzverhältnis, und zwar einem, bei dem es bisher einen sehr deutlichen Gewinner gibt. Wie das langfristig ausgeht, lässt sich derzeit natürlich noch nicht sagen, vor allem auch, was die erwähnte Verschiebung des Nutzungsverhaltens angeht – und damit auch, wie sich Google in dieser neuen Welt behaupten kann.

Nur ein Ausschnitt

Das bedeutet natürlich nicht, dass deswegen Microsofts riesige Investitionen in diesen Bereich verfehlt wären – ganz im Gegenteil. Das Unternehmen ist gerade sehr geschickt dabei, GPT-4 und andere KI-Modelle in so gut wie jeden seiner Dienste zu integrieren – allen voran in die für das Geschäft wirklich zentralen Office-Tools.

Die aktuellen KI-Anstrengungen des Unternehmens sind also mehr als gerechtfertigt und gehen weit über einen einzelnen Bereich hinaus. Das ändert aber wiederum nichts an einem anderen Umstand: Der neue Anlauf zur Eroberung des Suchmaschinenmarkts ist bisher so gut wie wirkungslos verpufft. (Andreas Proschofsky, 25.6.2023)