Wenn der indische Premier Narendra Modi und US-Präsident Joe Biden dieser Tage in Washington zusammenkommen, dann schwingt immer die Idee einer Wertegemeinschaft mit. Beide Länder schreiben sich die Demokratie auf ihre Fahnen, etwa wenn sich Indien als "größte Demokratie der Welt" bezeichnet oder Biden mit dem "Demokratie versus Autokratie"-Prisma Außenpolitik macht.

Auf Staatsbesuch: US-Präsident Joe Biden empfängt den indischen Premier Narendra Modi in Washington.
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Dass dieses zu kurz greift, zeigt sich gerade im Fall von Indien. Natürlich haben die USA nicht zuletzt unter Donald Trump an Glaubwürdigkeit eingebüßt, was das Einfordern demokratischer Werte betrifft. Und es stimmt, dass beide Demokratien auf ihre eigene Art mangelhaft sind.

Und doch müssen die USA Probleme in Indiens Demokratie offen ansprechen: dass der politische Raum schrumpft, dass religiöse Intoleranz zunimmt, dass zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten ins Visier genommen werden, worauf zum Beispiel in einem Brief von US-Abgeordneten an Biden hingewiesen wird. Bei allen geopolitischen Interessen darf das nicht unter den Teppich gekehrt werden.

Indien darf die Kritik wiederum nicht als Affront verstehen, sondern als Teil jenes demokratischen Prozesses, den das Land selbst propagiert – egal ob die Kritik von Medien, Protestierenden oder einem Staatschef kommt. Solch ehrlicher Austausch ist unerlässlich für die Beziehungen, aber auch für die Glaubwürdigkeit über die eigenen Landesgrenzen hinaus. (Anna Sawerthal, 22.6.2023)