Vergangene Woche besuchte ich erstmals das Viktor-Frankl-Museum im neunten Bezirk in Wien. In vier Räumen werden didaktische und biografische Schautafeln sowie Ausschnitte aus Fernsehinterviews mit dem Begründer der dritten Wiener Schule der Psychotherapie gezeigt. Die kleine Ausstellung lebt durch ihre Initiatorinnen, die das Erbe Frankls und seine Existenzphilosophie bei Führungen anschaulich vermitteln.

Laut Frankl stellt nicht der Mensch die Fragen, sondern das Leben, und wir sollten antworten, indem wir Verantwortung für uns selbst und andere übernehmen.
APA/ROBERT JAEGER

Ich interessierte mich für Frankl, nicht weil ich dort an der Rax wohne, wo er die Kletterwände und seine Höhenangst bezwang. Ich finde seinen Zugang zum Menschen und zum Leben inspirierend und für unsere Zeit relevant. Frankl liefert keine einfache Ratgeberliteratur, sondern fordert uns zum Denken auf. Seine Biografie und seine Philosophie sind untrennbar miteinander verbunden.

Als Kind einer jüdischen Familie in Wien geboren, skizzierte Frankl bereits in jungen Jahren als Therapeut und Arzt die Grundprinzipien seiner Logotherapie, die er als "Heilung durch Sinnstiftung" beschrieb. Obwohl er nach dem Einmarsch der Nazis ein US-Visum erhielt, blieb er wegen seiner Eltern in Österreich und wurde schließlich mit diesen zwangsdeportiert. Er überlebte mehrere Konzentrationslager, doch der Großteil seiner Familie und seine erste Frau wurden im Holocaust ermordet. Am Ende des Krieges sagt er "trotzdem Ja zum Leben".

Frankls Haltung kommt aus der tiefen Überzeugung, dass der Geist des Menschen stärker ist als unser Körper oder unsere Psyche. Wir haben immer die Freiheit, zu entscheiden, wie wir zu unserem Schicksal stehen, selbst wenn unsere Existenz und unser Leben keinen umfassenden Sinn zu ergeben scheinen. Laut Frankl stellt nicht der Mensch die Fragen, sondern das Leben, und wir sollten antworten, indem wir Verantwortung für uns selbst und andere übernehmen. Resilienz bedeutet für ihn, auch in schwierigsten Situationen innere Stärke und Widerstandsfähigkeit zu entwickeln.

In Kanada brennen tausende Hektar Wald, die Rauchschwaden verdunkelten den Himmel von New York, laufend werden Hitzerekorde gebrochen, Pole und Gletscher schmelzen schneller als prognostiziert. Wir nehmen Abschied von der uns vertrauten Welt, stolpern in eine unsichere Zukunft. Je dramatischer die Lage, desto mehr scheint unsere Wohlstandsgesellschaft in eine Sinnkrise zu verfallen. Täuscht mich mein Eindruck, oder hat die Pandemie den Rückzug in eine Art radikales Biedermeier weiter verstärkt? Lieber bleiben wir zu Hause und verlieren uns im Rauschen digitaler Medien, als uns mit den schwierigen Fragen der Gegenwart zu konfrontieren. Und ist nicht auch die Zunahme psychischer Erkrankungen mit dieser Sinnkrise verbunden? Noch vor kurzer Zeit dominierte ein "nicht wahrhaben wollen", jetzt wächst bei vielen die Überzeugung, alleine nichts bewegen zu können.

Was würde Frankl dazu sagen? Möglicherweise, dass unsere Frage nicht lauten sollte, wie wir als Einzelne die Klimakrise lösen können. Angesichts der Situation ist dies für ein Individuum eine unlösbare Aufgabe. Unsere Frage sollte stattdessen lauten, was wir aufgrund unserer Fähigkeiten trotz der Klimakrise tun können? Wo liegen unsere individuellen Ressourcen und Kompetenzen, wo unser Handlungsspielraum hier und heute? (Philippe Narval, 25.6.2023)